© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

König Horst der Unberechenbare
Bayern: CSU-Chef Seehofer stößt mit seinem Führungsstil und seiner Sprunghaftigkeit in der eigenen Partei immer stärker auf Widerstand
Paul Rosen

Die Lage für die einst erfolgsverwöhnte CSU ist gar nicht gut, mag auch ihr Generalsekretär Alexander Dobrindt mit schwarzgerandeter Brille noch so sehr modischen Trends folgen und sich der Vorsitzende Horst Seehofer mit einer Facebook-Party selbst zum Ritter der Netzgesellschaft schlagen. Die Demoskopen zeichnen ein ernüchterndes Bild: Mehr als 44 Prozent scheinen bei der für den 15. September 2013 angesetzten bayerischen Landtagswahl nicht drin zu sein. Das entspräche etwa dem als desaströs empfundenen Ergebnis von 2008.

Zwar regiert Seehofer seit vier Jahren recht bequem mit der FDP. Die bayerische Regierung arbeitete sogar erfolgreich, wie ihr solider Landeshaushalt ausweist. Aber der FDP scheint dies nicht zu helfen, sie wird weit unter fünf Prozent gehandelt. Fällt Seehofers kleiner Koalitionspartner aus, muß sich der CSU-Chef und Ministerpräsident nach einem anderen Bündnispartner umsehen: Doch weder SPD noch Grüne mögen sich vorstellen, zur CSU ins Boot zu steigen. Und die Freien Wähler, die 2008 zehn Prozent holten und jetzt mindestens ähnlich stark gesehen werden, kommen der CSU wie ein Stachel im eigenen Fleisch vor. Was die Freien Wähler postulieren, etwa mit ihrer Kritik an gigantischen Euro-Rettungsschirmen, müßte eigentlich von der CSU kommen, wären Seehofer und seine Truppen nicht in die Berliner Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel eingebunden.

Bei Seehofer, für den es in einem Jahr auch um die eigene politische Existenz geht, kommt es in immer kürzeren Abständen zu verbalen Ausbrüchen, von denen seine Frontalattacke gegen den nordrhein-westfälischen CDU-Wahlverlierer Norbert Röttgen einer der kleineren war. „Das können Sie alles senden“, rief er Fernsehreportern zu, nachdem der „Alpen-Taliban“ (Bild) nach Ende des offiziellen Interviews über Röttgen hergefallen war. Der einstige CDU-Star Röttgen war damit erledigt.

Insgesamt zeichnet sich das System Seehofer, wenn man überhaupt von einem System sprechen kann, durch anhaltende Unberechenbarkeit aus. Von „gelenkter Anarchie“ mit Seehofer als oberstem Anarchen schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung und setzte fort: „In Seehofers Welt bedarf es oft nur eines Wimpernschlags – und weiß ist, was noch gerade schwarz war.“ Unterdessen amüsierte sich die Financial Times Deutschland: „Und täglich droht der Seehofer.“

Gemeint waren die mehr oder minder deutlichen Erklärungen Seehofers, die CSU aus der Berliner Koalition zu nehmen. Beim Betreuungsgeld, an dem der CSU sehr viel liegt, kamen solche Töne (eine „conditio sine qua non“). Noch deutlicher wurde Seehofer kürzlich im Stern zum Thema Euro-Rettung: Falls Deutschland Finanzhilfen für Schuldensünder ohne Auflagen zustimmen sollte, sei „irgendwann ein Punkt erreicht, wo die Staatsregierung und auch die CSU nicht mehr Ja sagen können“. Allerdings hatten Seehofer und seine Parteifreunde bereits früher rote Linien bei der Euro-Rettung gezogen, die jedoch alle genauso schnell wieder überschritten wurden.

Das hat Glaubwürdigkeit gekostet und die eurokritischen Freien Wähler gestärkt. Folge: „Seehofer arbeitet seit einigen Wochen nur noch auf eigene Rechnung“, beobachtete die Süddeutsche Zeitung völlig richtig. Allerdings stimmt auch, daß Seehofers Narzißmus immer schon nicht unbedingt unterentwickelt war.

Jetzt, so wird spekuliert, könnte ihm daran gelegen sein, die Berliner schwarz-gelbe Koalition scheitern zu lassen und in Neuwahlen möglichst noch Ende 2012 oder im Frühjahr 2013 zu schicken. Damit wäre der Termin der Bundestagswahl, die nach regulärem Zeitplan kurz nach der bayerischen Landtagswahl abgehalten werden soll, vom eigentlichen Schicksalstermin der CSU entkoppelt. Seehofer könnte einen bayerisch orientierten Wahlkampf führen und wäre nicht von der bundespolitischen Themenstellung und dem Wahlkonzept der CDU abhängig.

Daß Seehofer seinen Ruf als „schnellster Schütze der Republik“ (FAZ) zu festigen versteht, zeigte der Streit um das vom Bundestag in kleinster Besetzung in einer Nachtsitzung während des EM-Spiels Deutschland gegen Italien beschlossene Meldegesetz. Nachdem Datenschützer eine Empörungslawine losgetreten hatten, erkläre Seehofer, Bayern werde dem Gesetz im Bundesrat nicht zustimmen. Er brüskierte damit Innenminister Hans-Peter Friedrich und den CSU-Innenexperten Hans-Peter Uhl, die beide das neue Gesetz als datenschutzrechtliche Errungenschaft gepriesen hatten.

Daß die FAZ eine „Sehnsucht nach Stoiber“ in der CSU erkannte, den man vor fünf Jahren mit Schimpf und Schande davongejagt hatte, liegt an Seehofers mangelndem Mannschaftsgeist. Ein autistischer Zug in seiner Persönlichkeit läßt ihn tagelang schweigen, wo das eine oder andere Telefongespräch nötig wäre. Die Berliner Landesgruppe der CSU-Bundestagsabgeordneten hat er mindestens ein halbes Jahr lang nicht mehr besucht, aber nicht nur Friedrich und Uhl vorgeführt, so daß die Süddeutsche Zeitung schon ein „Rumoren in der CSU-Landesgruppe“ beobachtete.

Seehofer schließt offenbar nichts mehr aus. Manchmal, wenn er vor ein Mikrofon tritt, muß er einfach die Wahrheit geradeheraus sagen – unüblich für Politiker dieser Kategorie: Wenn er 2013 wieder als Spitzenkandidat antrete, „dann stehe ich für die komplette Amtszeit zur Verfügung – ob mich die Bevölkerung als Ministerpräsident will oder in der Opposition“.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen