© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

EU-Gerichtshof erlaubt den Konzernen im Saatgutstreit nicht alles
Mehr Bauernschläue gefragt
Volker Kempf

Der Agrarsektor steht unter zunehmendem Wettbewerbsdruck. Hinzu kommt eine EU-Bürokratie, die immer mehr Kompetenzen an sich zieht. Die EU-Saatgutrichtlinie etwa beinhaltet Zulassungsverfahren mit anschließender Registrierung, auf die sich nur finanzstarke Konzerne einlassen können. Dem bäuerlichen Landwirt bleibt nur, sich in ihre Abhängigkeit zu begeben, indem er deren Saatgut kauft.

Doch der Bauer ist der Urtypus des selbständigen Menschen, er ist gerade auch in der jüngeren Generation „problembewußt, innovativ, oftmals risikofreudig“ (Thomas Fliege). Nicht Schicksalsergebenheit ist daher angesagt, sondern sich in ländlich-bäuerlichen Netzwerken zusammenzuschließen. Bauern betreiben so mit altem, aber nicht amtlich zugelassenem Saatgut Handel. Weltkonzerne fühlen sich umgangen und wittern Verluste. Folglich wurde das französische Netzwerk Kokopelli vom Saatguthersteller Graines Baumax auf 50.000 Euro Schadensersatz verklagt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied nun aber, Kokopelli-Saatgut dürfe regional und in kleinen Mengen hergestellt und vermarktet werden. Das ist eine Niederlage für die Konzerne und deren Griff nach der totalen Marktkontrolle im Saatgutsektor. Doch der Haken ist die Mengenbeschränkung. Denn es geht faktisch um Saatgut mit Marktanteilen im Promillebereich, so Heike Schiebeck von der Österreichischen Bergbauernvereinigung (ÖBV). Dabei stellen die alten Saatgutsorten einen wichtigen Genpool dar.

Die EU arbeitet mit ihrer Saatgutrichtlinie Großkonzernen zu, sie schadet bäuerlicher Landwirtschaft, der Artenvielfalt und schränkt zudem den unternehmerischen Handlungsspielraum ein. Daran kann das EuGH-Urteil nur wenig ändern, denn es geht nicht weit genug. Es bedarf noch einiger Bauernschläue mehr, um den Tanker EU von seinem Kurs in eine „Sowjetunion light“ abzubringen, in der vor allem bevormundet wird.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen