© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Kampf um die Alten Meister
Museumskrieg: Die Gemäldegalerie am Berliner Kulturforum soll weichen
Wolfgang Saur

Über die Deutschen sagt Nietzsche, sie seien „von vorgestern und übermorgen – sie haben noch kein Heute“. Das scheint sich exemplarisch im Schicksal Berlins zu erfüllen. Berlin, die zerstörte, zerrissene und verödete, ausgespiene und hochgestampfte Stadt kommt nicht zur Ruhe. Berlin ist seit der Wende eine Baustelle und wird es bleiben, ist es doch seine Tragik, „immerfort zu werden und niemals zu sein“. (Scheffler)

Ins Gesicht schlägt uns diese Einsicht in Gestalt des neuen „Museumskriegs“, der die Hauptstadt und die bundesdeutsche Kulturszene erschüttert. Zwar steht die Kontroverse seit vielen Jahren im Raum, doch werden die strittigen Punkte jetzt erst richtig brisant.

Ausgelöst wurde sie durch einen Beschluß des Bundestags, der zehn Millionen Euro im Nachtragshaushalt freistellt für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Bestimmt ist der Betrag für die Umrüstung der Gemäldegalerie in ein künftiges „Museum des XX. Jahrhunderts“, das womöglich schon 2016 ins Haus der alten Meister einziehen soll. Diese müßten 2013 dort verschwinden, mit wenigen Stücken ins Bodemuseum auf der Museumsinsel umziehen und dann jahrelang geduldig warten, bis – vielleicht! – ein neuer Museumskomplex am Kupfergraben entsteht.

Waren derlei Pläne zuletzt eher unwahrscheinlich, nutzen die Funktionäre von Stiftung, Land und Bund nun die Gunst des Augenblicks zu einer frechen „Rochade“ und versuchen, der Öffentlichkeit das fait accompli in die Fresse zu hauen. Nachdem zwanzig Jahre die Berliner Museen umstrukturiert, um- und neugebaut wurden und einige Häuser zu geradezu idealer Gestalt fanden, meinte man, ein Stück aufatmen zu können. Nun aber soll alles wieder aufgekocht und umgeschmolzen werden.

Ins Rollen gebracht hat den Museumskrieg eine Stiftungszusage des Sammlerehepaars Pietzsch. Der Unternehmer Heiner Pietzsch hat seit den 1960ern moderne Klassiker gesammelt, vorwiegend Surrealisten wie Magritte, Miró und Max Ernst. Allerdings knüpft Pietzsch an seine Schenkung wesentlichen Bedingungen. Er tritt dabei nicht nur als privater Sammler, sondern auch als umtriebiger Agent der Nationalgalerie auf. Seine Schenkung macht er abhängig von vier Voraussetzungen, die es in sich haben. Sämtliche Werke sollen dauernd präsentiert werden, keine Auswahl. Abgelehnt wird eine separate Ausstellung, wie die Sammlung Berggruen in Charlottenburg etwa; verlangt dagegen die integrierte Präsentation, eine Darbietung also im baulich-optischen Kontext des Gesamtbestands der klassischen Moderne. Man fragt sich, wie das gehen soll. Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, kann schon jetzt nur geringe Teile seines Bestands zeigen.

Daß Sammler, die mit Stiftungsprojekten den Kommunen den Mund wäßrig machen, hoch pokern, ist bekannt. Daß eine solche Initiative aber in die Entwicklung einer musealen Infrastruktur massiv einzugreifen sucht, dürfte ein Novum sein. Tatsächlich fordert Pietzsch dreist einen völlig neuen Museumskomplex als drittes Haus der Moderne: „Sollte es nicht zu dem Museum des 20. Jahrhunderts kommen, werden wir die Sammlung nicht nach Berlin geben“, lautet ungeschminkt die Erpressung. Die Begehrlichkeit richtet sich gleich auf den Nachbarn am Kulturforum: die Gemäldegalerie. Sie soll ihren Platz zugunsten der Moderne räumen und umziehen nach Mitte, spekuliert man doch von langer Hand dort auf einen Museumsbau am Kupfergraben.

Hier liegt der Hase im Pfeffer! Schon vor über zehn Jahren hatte die Preußenstiftung angesichts des Geldsegens für den Masterplan die Idee eines weiteren Neubaus in Mitte lanciert. Diese Propaganda ebbte freilich seit 2007 ab; vor dem Hintergrund der Finanz- und Schuldenkrise erübrigten sich derlei Luxusbedürfnisse.

Jetzt scheint es ultimativ noch einmal möglich, dem Bund finanzielle Zusagen abzuringen. Das erklärt die Hektik der Einlassungen und die Bereitschaft, das neu Geschaffene wieder preiszugeben – was scharfen Protest provoziert und in den letzten Wochen zu hitzigen Medienschlachten geführt hat. Energischer Widerstand formiert sich beim Verband deutscher Kunsthistoriker, der im Namen von 4.500 Fachleuten einen kritischen Aufruf an die Stiftung sandte: Zu Recht stellt er die gewaltige Leistung des bislang Erreichten heraus, was sich besonders in der Gemäldegalerie dokumentiere. „Diesen nach größten Mühen und mit sehr erheblichen finanziellen Mitteln als glückliches Resultat der Wiedervereinigung endlich erreichten, völlig intakten Zustand jetzt wieder zur Disposition gestellt zu sehen – und dies nicht infolge Krieg, Besatzung, Teilung der Nation, sondern durch die Verantwortlichen selbst – macht uns fassungslos.“

Ergänzt wird der Widerstand der Fachleute durch den sich formierenden bürgerschaftlichen Protest, der sich rasch ausweitet. Daß sich hier ein urdemokratischer Impuls zeigt, stimmt optimistisch.

Foto: Rembrandt, Gleichnis vom reichen Mann (Öl auf Eichenholz, 1627): Dieses Bild aus dem Bestand der Gemäldegalerie Berlin könnte schon bald in Depots verschwinden

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