© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/12 20. Juli / 27. Juli 2012

Meldungen

Klopstocks Modernität: Nationale Affektpolitik

STUTTGART. Noch die Literaturgeschichten der 1920er Jahre würdigen neben Gotthold Ephraim Lessing Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) als wichtigsten Wegbereiter der deutschen Klassik, auf dessen Schultern Herder, Goethe, Schiller stehen. Davon wollte Arno Schmidt 1958, in einem seiner legendären Nachtprogramme, nichts mehr wissen, als er, mit Ausnahme der „Gelehrtenrepublik“ (1773), Klopstock, den Verfasser des „Messias-Monstrums“ und ebenso unlesbarer „Oden“ („Baukastenarbeit“) der Vergessenheit überantwortete. Trotzdem wurde zum 250. Geburtstag eine „Historisch-kritische Ausgabe“ aufgelegt, die mit geplanten 40 Bänden bis heute nicht abgeschlossen ist. Daß Klopstocks Werk trotzdem noch intellektuelle Feinkost biete, glaubt der Literaturwissenschaftler Mark-Georg Dehrmann (Hannover), der dessen „Hermann“-Trilogie einer ausführlichen Deutung unterzieht (Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 2/2012). Hielt Arno Schmidt diese „Bardiete“ um den Cheruskerfürsten mit Schiller für ein „fratzenhaftes Produkt“, präsentiert Dehrmann die Texte als ein um 1770 modernes „Modell von Geschichte, Hermeneutik, Affektpolitik“, als handlungsleitende Vermittlung nationaler Identität, die das von Literaten und Historikern getragene deutsche Geschichtsdenken im 19. Jahrhundert geprägt habe. (ob)

 

Eichendorff: Nur geringe Bezüge zu Polen

HEIDELBERG. Die Mär von Joseph von Eichendorffs Polonophilie wurde zum 200. Geburtstag quasi amtlich beglaubigt, als Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Gedenkrede einfließen ließ, der 1788 im oberschlesischen Ratibor geborene Dichter habe „selbstverständlich auch die polnische Sprache“ beherrscht. Wie Gerhard Kosellek nachweist, sind solche Zuschreibungen nur ein Element in der nach 1945 „tendenziös polonophilen Eichendorff-Darstellung“. Der Nachprüfung halten weder die Behauptung, der Oberschlesier sei zweisprachig aufgewachsen noch viele der konstruierten biographischen „Affinitäten“ Eichendorffs zum polnischen Nachbarn stand. Ebenso weise sein literarisches Werk „verschwindend geringe Bezüge zu Polen“ auf. Am Schicksal der seit 1793 von der Landkarte entfernten Nation sei der preußische Beamte eher desinteressiert gewesen und deshalb finde sich sein Name nicht unter den deutschen Dichtern, die mit einfältigen „Polenliedern“ Solidarität bekundeten. Lediglich amtlichen Dokumenten wie seiner Denkschrift zur Wiederherstellung der Marienburg (1843) könne man eine konziliante Haltung gegenüber Polen entnehmen, da Eichendorff die von den Teilungsmächten betriebene „Entnationalisierungspolitik“ für einen politischen Fehler hielt (Euphorion 1/2012). (fm)

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