© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

Banges Warten auf den ESM-Entscheid des Verfassungsgerichts
Zeit ist Geld
Bernd Noske

Das Bundesverfassungsgericht hat gut daran getan, durch eine längere Beratungszeit zunächst einmal den Druck aus der Entscheidungssituation zu nehmen. Die EU-Regierungen Europas haben die „Euro-Karre“ so nachhaltig in den Treibsand gefahren, daß sie im Augenblick weder vor noch zurück kommt.

Dabei ist es bemerkenswert, daß die Politik wohl der einzige Berufsstand ist, bei welchem die Problemverursacher sich auch noch als Problemlöser berufen fühlen. Eine Firmenleitung, die ihr Unternehmen unter eklatanter Verletzung von Satzung und Geschäftsordnung und durch Verstöße gegen Recht und Verträge in existentieller Weise beschädigt und sich eine derartige Konkursverschleppung geleistet hätte, wäre vom Aufsichtsrat oder den Gesellschaftern längst in die Wüste geschickt worden.

In der Politik haben die Kontrollmechanismen restlos versagt, und es drängt sich die Frage auf, ob die führenden Politiker um Merkel, Schäuble & Co. bzw. ihre Vorgänger persönlich zur Rechenschaft zu ziehen sind, weil sie gegen ihren Amtseid, „Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“, verstoßen haben: Sie haben das Euro-Abenteuer gegen den ausdrücklichen Rat anerkannter Fachleute und verantwortungsbewußter Politiker begonnen und dann in schamloser Weise geltendes Recht und Verträge gebrochen.

Das konnten sie tun, weil es ihnen gelungen war, das Parlament zu entmündigen, indem sie über die Jahre nur handverlesene Parteimitglieder auf die Wahllisten gelangen ließen, die sich bis auf wenige rühmenswerte Ausnahmen als willenlose Parteisoldaten dem Fraktionszwang unterwarfen und damit dem Idealbild des nur dem Gesetz und seinem Gewissen verpflichteten, geistig unabhängigen und fachlich kompetenten Abgeordneten hohnsprechen. Wie wollen sie also die ihnen vom Bundesverfassungsgericht durch frühere Urteile auferlegte Verantwortung schultern, wenn jetzt schon absehbar ist, daß sie sich aus solchen Zwängen nicht befreien können?

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundgesetz, der Satz „Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit“ ist längst mutiert zu „Alle Staatsgewalt geht von den Parteien aus“. Bleibt zu hoffen, daß das oberste Gericht im besten Sinne der Existenzsicherung unseres Volkes gegenüber den aufgescheuchten Politaktivisten nun zunächst einmal durch eine gründliche Abwägung aller Gesichtspunkte die in der Sache notwendige und der Verantwortung entsprechende Ruhe in die Diskussion hineinbringt.

Dann wird höchstwahrscheinlich schon in wenigen Monaten deutlich werden, daß mit der Erschöpfung des EFSF-Finanzrahmens sich die Euro-Problemstaaten selbst durch die dann zwingend notwendigen Reformen soweit wir möglich aus dem Finanzdilemma befreien. Wenn sich zudem die hochspekulativen Gläubiger-Großbanken und deren ebenfalls hochspekulativen Großgläubiger dann eine Zeitlang die Wunden lecken, wird sich schließlich zeigen, wer überlebensfähig ist.

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