© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

„Grüß dich, Meister Dürer“
Sehenswert: Ein Besuch der Ausstellung „Der frühe Dürer“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg
Sebastian Hennig

Die Ausstellung „Der frühe Dürer“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg nimmt nicht den ausgereiften Meister in den Blick, sondern einen Dürer, der gerade im Entstehen begriffen ist und der sich erst langsam zu dem auswächst, was wir mit diesem Namen heute verbinden. Es ist die Zeit vor den Meisterstichen, der zweiten italienischen Reise und den Bemühung um eine präzise Wissenschaft der Kunstausübung.

1484 hat er sich „selbst konterfeit, da ich noch ein Kind war“. Der Goldschmiedelehrling im Vaterhaus auf der Burgstraße pflegt nachbarschaftliche Beziehungen zu den Familien Koberger, Pirckheimer, Schedel und Scheurl. Mit jener Zeichnung hat er sich ein frühes Denkmal gesetzt. 1882 wird Friedrich Salomon Beer „Albrecht Dürer als Knabe“ in genau dem gleichen Kostüm, mit Kappe, Lockenhaupt und weitem Oberhemd in Marmor meißeln. Die Figur aus dem Besitz der Nationalgalerie kam als Leihgabe an das Wirtschaftsministerium und blieb bis 2010 unerkannt und verschollen geglaubt im Garten der Villa Arnhold in Berlin.

„Albrecht Dürer aus Nörmerk“, so kündet ein über fünfhundertjähriger Federzug auf der Rückseite einer Birnenholzplatte. Es handelt sich dabei um einen von 132 Druckstöcken, die zur Illustration einer Basler Ausgabe der Komödien des Terenz bestimmt waren, die nie erschienen ist. Nur fünf der Platten wurden fertig geschnitten. Auf den präparierten Kreidegrund einiger der anderen hat vermutlich Dürers Hand die Zeichnungen aufgebracht. Die Zuschreibung hat vieles für sich, muß aber insgesamt für ungewiß gelten, wie überhaupt das Reisen und Wirken in der Zeit vor seiner dauerhaften Niederlassung in der Vaterstadt.

Gerade in jenen Jahren hat sich viel vollzogen in dem jungen Mann. Die Federzeichnung „Thronende Maria mit den Engeln“ (1485) ist noch ganz spätgotisch feierlich mit dekorativ verschnörkelten unnatürlichen Gewandfalten. Bereits zehn Jahre später hat der „Engel mit der Laute“ schon die ganze gespenstische Gegenwärtigkeit an sich, die dem Dürer der „Melancholia“ und von „Ritter, Tod und Teufel“ eigentümlich ist.

Der Künstler hat Tradiertes hinter sich gelassen und sucht mit aller Kraft nach neuer starker Bindung aus der Naturanschauung und den vorbildhaften Leistungen der südlichen Kunst. Der italienische Stich nach der Vorlage des „Bacchanal mit Silen“ (1475) von Andrea Mantegna ist eine abgründig-helldunkle Gravur mit tiefgekerbtem Linienwerk. Dürer machte 1495 daraus eine lichtvolle, strahlende Federzeichnung. Ganz ambitionslos, wenn man so will ohne Fantasie, ist jedes Detail wiedergegeben und doch ist alles zarter, sanfter, lieblicher geworden, ohne dadurch minder geheimnisvoll zu werden. Die eigentümliche sanfte Strenge, die er in den späten Meisterstichen erreicht, kommt aus diesem abgewogenen Verhältnis zwischen Homogenität und Kontrast, Zusammenhang und Einzelheit. In der Ausstellung kündigt sich das schon im Stich „Adam und Eva“ (1504) an. Der graphische Schwerpunkt liegt in dieser Zeit vorerst noch im Holzschnitt, vertreten mit Blättern aus den Zyklen der Apokalypse und des Marienlebens.

Das lange angezweifelte Bildnis der Mutter aus dem Eigenbestand darf hier neben dem Vaterbild von 1490 aus den Uffizien hängen. Der Achtzehnjährige beabsichtigte offenbar eine Einzeldarstellung des Vaters, die doch hinter seiner Erwartung zurückblieb. So malte er die Mutter dazu, um seiner Arbeit im Doppelbildnis mehr Festigkeit zu verleihen. Diese ungeplante Entscheidung erklärt, warum die Reihenfolge umgekehrt zur gebräuchlichen Darstellungsweise ist, wo in Blickrichtung erst der Mann und dann seine Frau erschaut werden. So hat er es dann auch im Doppelporträt der Tuchers gemacht. Zwei weitere Doppelbildnisse von Paaren der Tucher-Dynastie von der Hand Nürnberger Meister werden gezeigt.

Während Dürers Lehrer Michael Wolgemut durch Eheschließung mit der Witwe des Malers Hans Pleydenwurff dessen Werkstatt mit allem Material und Hilfsmitteln übernehmen kann, muß der aus Basel und Straßburg zurückkehrende Dürer ganz ohne Einrichtung und Vorlagen beginnen. Abweichungen und Vorstöße sind eigentümlich für Dürer und bezeichnen sein rastloses Ungenügen, mit dem er danach strebt, in der Kunst Großes zu erreichen. Zwischen der wechselnden Wahrnehmung von Martin Schongauer, dem gemeinen Feldhasen, Andrea Mantegnas Stichen und einer Drahtziehmühle am Ufer der Pegnitz vollzieht sich die Ausbildung Dürers. Sein Werk verdankt Kunst und Natur vieles, das meiste aber seiner selbstgewissen, umformenden Kraft und Beharrlichkeit, mit der er die Dinge ergriffen hat.

Dabei gibt es auch Zaudern und Zögern. An manchen Blättern bleibt das Zusammenfügen bemerkbar. Wo andere Maler und Zeichner aus der Schutzzone einer handwerklichen Verfahrensweise nie heraustraten und sich im Zweifelsfall ganz ihrem Dämon ergaben, da forscht der junge Albrecht, experimentiert und probiert, bis es paßt. Er war ein großer Autodidakt. Sein urtümliches Talent und die Assimilationskraft bewahren auch den verzweifelten Versuchen die Würde eines Bildes. So wie Altdorfer, Huber und Grünewald dämonisch-lutherisch sind, so wirkt Dürer erasmisch-klug.

Doch auch der helle Geist hat seine Tücken. Zuletzt verstrickt er sich in Theorien. Und ein wenig gilt dann von ihm, was er selbst reimte: „Welchen bedunkt, er könn fast viel, der scheusst nahend zum Narrenziel.“ Blätter mit Konstruktionen von männlichen Idealköpfen und eines weiblichen Aktes lassen die Gefahren der Systematik für seine lebendige Kunst offensichtlich werden. Die Nähe zur lokalen fränkischen Tradition mit ihrer Verbindung von künstlerischer und naturkundlicher Darstellung zeigen die zwei Aquarellstudien zum Maul eines Rindes.

Aber von dem passionierten Kunstlehrer Dürer berichtet die Ausstellung nicht mehr. Sie hält sich daran, daß man aufhören sollte, wenn es am schönsten ist und endet vor des Künstlers zweiter Italienreise. Staunenswert ist die morbide Grazie der beiden Knabenköpfe aus der Nationalbibliothek Paris. Wie Pergament und Perlmutter schimmern die pausbackigen Lockenköpfe auf dem dunklen Grund. Die Leinwandmalereien von 1506 sind die jüngsten und italienischsten Werke der Ausstellung.

Die Ausstellung ist zugleich der krönende Abschluß eines Forschungsprojekts zum jungen Dürer, dessen Ergebnisse im dickleibigen Katalogbuch dokumentiert sind. Daß sie an der Wiege und Heimat des Meisters stattfindet, wird viele Leihgeber überzeugt haben, Werke beizutragen. Die „Anbetung der Könige“ und das Vaterporträt aus den Uffizien, die herrlichen Landschafts-aquarelle aus dem Louvre und dem Britischen Museum, die „Haller-Madonna“ aus der Nationalgalerie in Washington und viele bedeutende Werke aus deutschen Sammlungen sind darunter.

Es gab aber auch provozierte Mißverständnisse im Vorfeld, die durch Politik und Presse noch zusätzlich verstärkt wurden. Die Auseinandersetzung um die Verfügbarkeit des „Selbstbildnis im Pelzrock“(1500) hob nebenbei eine unbestreitbare Tatsache ins Bewußtsein: Gefährlich ist das Bewegen sehr alter Bilder immer, zumal bei den für Temperaturschwankungen sehr empfindlichen Holztafeln. Das frühe Selbstbildnis darf die Münchner Pinakothek seit der letzten Ausleihe nach Nürnberg vor vierzig Jahren nicht mehr verlassen.

Auch die Verfügung über das monumentale Mosesfenster, welches in Straubing wegen der Innensanierung der Jakobskirche derzeit ausgebaut ist, wurde verwehrt. Dem mehrteiligen Gemälde mit den sieben Schmerzen der Maria aus der Gemäldegalerie Dresden wird ebenfalls keine Wegstrecke mehr zugemutet. Kunstfreunde müssen die Unbequemlichkeit einer Reise auf sich nehmen, um einzelnen Werken zu begegnen, deren verdichtete Kraft es unter Umständen mit einem ganzen Sonderausstellungsrummel aufnehmen kann, zumal der reguläre Betrachter durch kein Sonderpublikum bei der Betrachtung der Schätze einer ständigen Sammlung gestört wird. Einmal vorausgesetzt, er trifft die lokalen Werke auch dort an, und sie werden nicht gerade als Reisetrophäen um die Welt gesendet und weiter abgewetzt.

Die Ausstellung „Der frühe Dürer“ ist bis zum 2. September im Germanischen Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro (ermäßigt 5 Euro). Telefon: 09 11 / 13 31-0

www.gnm.de

Fotos: Albrecht Dürer, Selbstbildnis als Dreizehnjähriger, 1484; Albrecht Dürer, Haller Madonna, um 1498: Autodidakt

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