© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/12 03. August 2012

CD: Peter Ruzicka
Nähe durch Distanz
Jens Knorr

Einschreibungen sollen sie alle drei sein: die 2009 komponierte Erinnerung für großes Orchester „…Zurücknehmen…“, die 2010 komponierten sechs Stücke für großes Orchester „Einschreibung“ und die 2011 komponierte Musik für Oboe und Kammerorchester „Aulodie“. Auftragswerke sind sie allesamt. Der deutsche Komponist Peter Ruzicka, geboren 1948, Rechts- und Musikwissenschaftler, Intendant und Hochschulprofessor, künstlerischer Leiter und Berater, Dirigent und immer auch Tonsetzer, ist als Komponist keiner, der neue Räume eröffnet, aber einer ihrer ersten tätig freien Bewohner.

Hieß für Mahler eine Symphonie, nach der Überlieferung Nathalie Bauer-Lechners, „eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen“, so ergründet Ruzicka in seinem Auftragswerk des NDR für das Mahler-Jahr eine schadhafte Welt in all ihren Mitteln. Nun kann solcherart Komponieren leicht in den Ruch kommen, sich allein darum in das Werk des anderen einzunisten, weil es ohne das Wirtswerk allein nicht bestünde. Doch lassen sich Titel und Werk „Einschreibung“ auch andersherum lesen. Insonderheit in der Kunst lastet die Tradition aller toten Geschlechter auf dem Gehirne der Lebenden; nicht der lebende Komponist schreibt sich in das Werk des toten Komponisten ein, sondern vielmehr der tote sich in das Werk des lebenden. Innerer und äußerer Auftrag kommen zur Deckung.

Ruzickas Orchesterstücke sind keine Zitatenkiste zum Motivraten und auch keine abgemagerten Partituren-Skelette, die der erinnernde Hörer erst noch mit Mahlerscher musikalischer Prosa anzufüttern hätte, und sie sind, zum dritten, kein Mahler-Kommentar. Und doch fällt es schwer, sie mehr auf uns als auf Mahler (und auf Anton von Webern!) bezogen zu hören. Sie klingen, als gälte es, das Objektive, das aus Mahlers Musik spricht, auf den Webernschen Punkt zu bringen. Dort harren sie in der Erwartung, daß ihr transzendenter Kern ausgefaltet werde, der nicht von Mahler geborgt ist.

Ausbrüche ohne Durchbruch, Dammbrüche nach innen auch in dem Orchesterstück „…Zurücknehmen…“, das an nicht weniger als Adrian Leverkühns Rücknahme von Beethovens Neunter erinnert. Die hat zwar Thomas Manns Tonsetzer nicht geleistet, wohl aber John Cage mit seinem Klavierstück „4’33“, in dem Stille neu definiert ward. Wie aller großen Kunst, so steht auch Beethovens Neunter ihre eigene Negation immer schon eingeschrieben, Mahlers Symphonik sowieso. Die „Schreckensfanfare“, der Beginn des vierten Satzes, gibt Ruzicka Anlaß, Eigenes, früher Komponiertes zu reflektieren und zu vergegenwärtigen und Beethoven zu überschreiben. Zum Ausgang seines Orchesterstücks kommt er mit dem Quintklang der Celesta nicht nur am Eingang der Neunten an, sondern auch in Mahlers lichten Fernen.

Hören ist Wiederholen: wieder holen, auch aus der Erinnerung, Musizieren auch Austeilen von Zurückgenommenen! Die „Einschreibung“ dirigiert Christoph Eschenbach, „…Zurücknehmen…“ dirigiert Christian Thielemann und die „Aulodie“ der Komponist selbst. Solist ist Albrecht Mayer, Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker. Besser geht’s nicht, vielleicht später einmal auf andre Weise.

Peter Ruzicka: Einschreibung Bella Musica/Thorofon CTH2589 www.bella-musica-edition.de

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