© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

„Das erinnert mich an die DDR“
Meinungsfreiheit in Deutschland: Seine Entlassung sorgte in Medienkreisen für Aufregung. Erstmals spricht Radiomoderator Ken Jebsen über die Arbeitsbedingungen beim ARD-Sender RBB und erhebt schwere Vorwürfe gegen die unlängst wiedergewählte Intendantin Dagmar Reim
Ronald Gläser

Herr Jebsen, Ihre Entlassung beim ARD-Sender RBB, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg, hat im Dezember für Aufregung gesorgt. Der Anlaß war die Veröffentlichung einer privaten E-Mail an einen Hörer mit angeblich antisemitischem Inhalt. Was ist damals genau passiert?

Jebsen: Erstens habe ich keine E-Mail an einen Hörer geschrieben. Es war ein ziemlich langer Chat mit einem Historiker außerhalb des Sendegebietes, der sich auf einen Youtube-Beitrag bezog. Dieser Chat wurde dann ohne meine Zustimmung veröffentlicht und mit Vorsatz falsch interpretiert und ausgelegt. Heute habe ich gelernt, daß es seit der Erfindung des Netzes keine Trennung zwischen privat und öffentlich mehr gibt. Alles kann veröffentlicht und gegen dich verwendet werden. „In dubio pro reo“ gilt scheinbar nur in Ausnahmefällen. Jetzt zu Ihrer Frage: Mir wurde in einem zweiminütigen Telefongespräch gesagt, daß die Zusammenarbeit eingestellt würde.

Und haben Sie später eine vernünftige Begründung erhalten?

Jebsen: Die Intendantin Dagmar Reim hat dann in ihrem Neujahrsgespräch im Medienmagazin von Jörg Wagner auf „Radio 1“, also dem Schwestersender von „Radio Fritz“ – beide gehören zum RBB-Programm – öffentlich gesagt, ich hätte mich zum wiederholten Male an Vereinbarungen nicht gehalten und deswegen sei sie gezwungen gewesen, die Zusammenarbeit zu beenden. Ich dachte, das würde wie in einer Gerichtsverhandlung laufen. Da sagt der Richter, Ihnen wird das und das vorgeworfen und dann werden die Vorwürfe genau erörtert: „Am Freitag, dem soundsovielten, haben Sie Ihren Porsche zum wiederholen Male in der Feuerwehreinfahrt abgestellt ... das kostet sie jetzt den Führerschein... und hier ist das Beweisfoto von Polizist XY.“ Aber das kam nicht. Das kommt auch nicht. Sie haben es einfach behauptet, und damit war es vom Tisch.

Und haben die ein persönliches Gespräch gesucht?

Jebsen: Die Programmdirektorin Claudia Nothelle, aber nur in Gegenwart meiner Anwälte. Frau Reim hat mit mir bis heute kein einziges Wort nach dem Tumult gesprochen. Die würde mir wahrscheinlich aus dem Weg gehen, wenn sie mich heute treffen würde. So schätze ich sie ein. Sie ist ja jetzt nicht eine wahnsinnig mutige Frau, die eine Konfrontation sucht. Sie läßt ausrichten. Sie spricht auch so mit einem, als sei man etwas behindert. Ihr Verhalten war für mich die klassische Form von Feigheit. Sie steht nicht zu ihren Mitarbeitern, wenn diese von außen angeschossen werden. Sie hat gesagt, viele „Dinge hätten so nicht über den Sender gehen dürfen“. Wenn das stimmt, wüßte ich gerne welche Dinge. Warum wird die Frau nicht konkret? Ich bin in meinen Statements sehr konkret geworden. Diese schwammigen Formulierungen, was meinen Fall angeht, erinnern mich furchtbar stark an die DDR.

Sie finden, der RBB habe Sie mies behandelt.

Jebsen: Ich habe beim RBB zehn Jahre die Sendung „KenFM“ gemacht und vorher sieben Jahre für den Sender gearbeitet. Ich war immer der Reporter, den sie in die Spur geschickt haben, wenn es irgendwo brannte. Daß man dann einen Antisemitismusvorwurf gegen mich ernst nimmt, ist unverständlich. Ich hätte noch Verständnis, wenn man mich aus der Schußlinie genommen hätte. Aber erst meine zwei Sendungen, bevor sie „on air“ gingen, zu beschneiden, also eigenhändig zu cutten und dann zu sagen, ich hätte mich nicht an die Auflagen gehalten, obwohl es a) keine schriftlichen Auflagen gab und b) keine Gelegenheit, sich nicht an diese zu halten, ist doch sehr merkwürdig. Alles, was man unter Zeugen vor mindestens zwei meiner Anwälte für die Zukunft eingefordert hatte war, ab sofort die Themen der Sendung nicht nur vorzulegen, sondern absegnen zu lassen. Also ein „Go“ abzuwarten. Das habe ich getan. Hier gehört ein Untersuchungsausschuß her. Ich möchte die Verstöße sehen. Ich möchte die Regeln sehen. Gibt’s das schriftlich? Gibt’s Zeugen, die das wenigstens gehört haben? Und dann möchte ich vor allem sehen, wo ich mich an das, was vereinbart war, nicht gehalten habe. Habe ich hinter dem Rücken des RBB was veröffentlicht? Habe ich was heimlich gesendet? Oder ohne Absprache ins Netz gestellt? Zeigt es mir! Zeigt mir einen falschen Satz, den ich nach unserem Gespräch veröffentlicht habe.

Den gibt es nicht?

Jebsen: Den gibt es nicht. Da war nichts. Nur, sie können nicht jemanden für etwas bestrafen, was er angeblich getan hat, bevor sie ihn „verwarnt“ haben. Trotzdem werden sie sagen: Ja, aber was der vorher so gesendet hat ... Ja, was denn? Was ist so schlimm, was ich vorher gesendet habe? Was ist an Beitrag X falsch und an jenem? Hätte ich zum 11. September keine Sendung machen dürfen, bei der ich Leute interviewt habe? Hätte ich nichts zu Uranmunition machen sollen? Was ist mit Menschenrechtsverletzungen, soll man die am besten totschweigen? Darf das nur der Spiegel? Wenn der das darf, dann darf ich das auch. Es gibt, wie überall, auch in der Bundesrepublik Sprachregelungen und Denkverbote, es wird nicht alles offen ausgesprochen, besonders nicht, wenn es um politische Themen geht, die den Nahen Osten betreffen. Mir sind diese Leute, die so agieren, die im Dunkeln arbeiten und alles schwammig halten, die sind mir nicht koscher. Das ist Teil des politischen und diplomatischen „daily business“ – weiß ich alles, aber sollte die Presse so arbeiten?

Ist Frau Reim die falsche Frau auf dem Posten?

Jebsen: Diese Intendantin hat nach meinen jüngsten Erfahrungen auf diesem Platz, auf dem sie sitzt, nichts zu suchen – und die Programmchefin auch nicht, denn beide stehen zu einer Behauptung, die sie nicht beweisen können. Und wollen. Wir alle warten nämlich auf das, was man uns vorwirft und zu unserer fristlosen Kündigung geführt hat. Das „KenFM“-Team, meine Anwälte und die Hörer. Im ganzen Satz: Die Intendantin und ihre Programmdirektorin lügen. Die Intendantin lügt und zwar extrem dreist. Sie belügt den Rundfunkrat. Wenn jemand auf dieser Position so dreist lügt, dann fordere ich jetzt die Beweise. Sie hatte seit November 2011 Zeit genug, und wenn sie sie nicht bringt, dann nenne ich sie ab sofort Lügnerin. Sie ist eine Lügnerin, und ich möchte keine Lügnerin als Intendantin.

Und Ihre Kollegen?

Jebsen: Es kam niemand und hat gefragt: „Warum haben Sie denn das jetzt wieder gemacht?“ Weil es „das“ ja gar nicht gab. Also war Ruhe im Karton. Und da habe ich gedacht: Ach, so läuft das hier. Und das stört offenbar auch gar keinen. Daß die Führung so etwas eisenhart-dreist macht, das kennen wir eigentlich nur aus Bud-Spencer-Filmen oder von Woody Allen, der aus der Kulisse herausfällt. Aber daß der Rest so tut, als hätte er das nicht bemerkt – das fand ich erstaunlich. Mit solchen Kollegen – bis auf eine Handvoll Ausnahmen – will ich auch nichts mehr zu tun haben. Was würden die wohl tun, wenn morgen wieder arisiert würde?

Ihre Sendung war sehr politisch, zuviel für den RBB. Wie stellt sich der RBB seine Hörer vor?

Jebsen: Die haben so Bilder an der Wand: „Peter, 15, hört die und die Musik, Meinung hat er eigentlich keine. Politik muß auch nicht sein, da schaltet Peter eher ab.“ Der RBB will alles ausgewogen darstellen. Das soll mir mal einer erklären, wie das geht. Mit Ausgewogenheit kannst du doch keinen hinter dem Ofen hervorholen. Auf gar keinen Fall Jugendliche. Das geht gar nicht. Jugendliche pupertieren auch nicht ausgewogen. Oder hab ich da was bei meinen Kindern falsch interpretiert?

Nach ihrem Rauswurf sind Sie mit Ihrer Sendung ins Netz gewechselt und produzieren Ihre Sendung jetzt online.

Jebsen: Ich war schon vorher im Netz. „KenFM“ hat im Radio begonnen, das ist richtig, sich dann aber sehr schnell den Platz im Netz dazuerobert. Wer junge Hörer wirklich erreichen will, muß hier massiv vertreten sein, oder er ist tot. Wir haben wohl eher User, für die Radio gar nicht mehr vorkam, über die „KenFM“-Web-Präsenz auf „Radio Fritz“ aufmerksam gemacht. Das „neue“ Modell sieht so aus, daß wir im Internet auf unserer Homepage Werbung verkaufen, aber nicht an jeden. Wenn etwa Aral kommt und sagt, sie wollen gerne werben, dann sagen wir: „Schönen Dank, aber bei euch ist eben nicht alles super.“

Was ist an Aral falsch?

Jebsen: Aral ist eine Firma, die zu einem großen Mineralölkonzern gehört. Dessen Geschäftspraktiken sind allgemein bekannt. Wir wissen alle, was mit dem Herstellen von Benzin einhergeht. Es gibt nur leider kein Öko-Benzin. Muß ich dafür auch noch Werbung machen? Das überlasse ich anderen. Ich würde also lieber einen Werbekunden haben, der Elektrofahrräder baut und zwar mit Green Energy. Wir haben x Angebote bekommen, natürlich auch von der Alkohol- und Tabakindustrie. „Na und, dann rauchst du halt mal eine Packung X und legst sie ins Bild ...“ Das machen wir nicht.

Die haben Ihnen Schleichwerbung vorgeschlagen?

Jebsen: Immer wieder. Aber ich bin ein Nichtraucher und Nichttrinker, und das sage ich auch immer wieder. Und wenn dann plötzlich Kippen und Alkopops im Bild zu sehen sind, dann ist das nicht glaubwürdig. Ich will auch nicht unsere Jugendlichen dazu verführen. Damit will ich nichts zu tun haben.

Es gab Musikgruppen, die Sie nach dem Rauswurf beim RBB geschnitten haben.

Jebsen: Wir haben in unseren 545 „KenFM“-Shows bei „Fritz“ 1.700 Bands verarztet. Bei uns haben die Beatsteaks gespielt, „Wir sind Helden“ oder Culcha Candela. Viele sind Freunde geblieben, von denen habe ich heute noch die Telefonnummer. Aber es gibt eben auch Leute, die vergessen ihre Wurzeln, wenn sie mit dem Fahrstuhl nach oben gefahren sind. Aber das macht nichts, denn mit dem Fahrstuhl fährt man auch wieder runter. Man trifft sich wieder. Nun gab es Bands, die waren sofort abweisend, sobald wir mit einem Wort belegt waren. Das könnte ja ihre Verkaufszahlen beeinträchtigen. Viele machen es dann mit so ein paar Sätzen wie: „Ich kenne mich damit überhaupt nicht aus.“ Ich sage dann: „Du bist jetzt über 25 und hast ein Kind. Du solltest anfangen, dich mit dem Land, in dem du lebst, ein bißchen zu beschäftigen.“ Mit „kenne ich mich nicht aus“ kommst du nicht weit. Du kennst dich ja inzwischen auch mit Gema-Verträgen aus. Damit hast du dich beschäftigt. Und du triffst dich ja auch mit deinem Anwalt, wenn es um Urheberrechtssachen geht. Wenn es um deinen Vorteil geht, dann beschäftigst du dich mit dem trockensten Zeug.

Wie viele Leute rufen Ihre Sendung auf?

Jebsen: Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Wir haben 19.000 Facebook-Nutzer, 14.000 YouTube-User, und ich habe noch einmal mehrere hundert Twitter-Follower. Wir sehen dank Google Analytics genau, wann unsere Nutzer was anklicken, welche Themen gut ankommen. Zum Beispiel sehe ich, daß alles, was mit Zensur und Internet zu tun hat, in jedem Fall besser geht als beispielsweise Geopolitik.

Und wie viele Leute klicken nun Ihre Sendung genau an?

Jebsen: Unterschiedlich: Vier- bis achttausend Leute klicken die Sendung an. Einzelbeiträge werden schon mal bis zu 200.000mal angeklickt.

Sind das weniger, seit Sie vom RBB weg sind?

Jebsen: Es sind viel mehr geworden. Die Zahl der Facebook Freunde ist seitdem von 5.000 auf 19.000 gestiegen. Zum Vergleich: Radio Eins hat 23.000.

Wann laden Sie mal Thilo Sarrazin in Ihre Sendung ein?

Jebsen: Ich habe ihn noch nicht eingeladen, weil das noch gar nicht geht. Der ist ja gerade überall gebucht mit seinem Buch. Ich werde ihn aber einladen. Ein Gespräch mit Sarrazin über den Euro kann nur spannend sein.

 

Der Fall Ken Jebsen

Er redet schnell und liebt die Provokation.

Der Berliner Radiomoderator hatte zehn Jahre eine eigene Sendung namens „KenFM“ beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). In seiner „progressiven Aktionsradioshow“, in der es um Popkultur und gesellschaftliche Themen ging, bezog er auf „gewohnt bissig-komische Art“ (Die Welt) oft einseitig Stellung. Nie schritt der Sender dagegen ein. Zum Bruch kam es, als der Publizist Henryk M. Broder Ende 2011 einen privaten E-Mail-Chat Jebsens mit einer dritten Person veröffentlichte. Wegen des darin enthaltenen Satzes „Ich weiß, wer den Holocaust als PR erfunden hat“ wurde Jebsen des Antisemitismus bezichtigt, was er mit den Worten „Ich bin vielleicht irre, aber kein Antisemit“ zurückwies und reklamierte, daß der Satz aus dem Zusammenhang gerissen sei. Programmdirektorin Claudia Nothelle stufte die Vorwürfe nach Prüfung tatsächlich als „unbegründet“ ein, bescheinigte Jebsen jedoch, „in manchen Fällen die Grenze überschritten zu haben“. Vierzehn Tage später feuerte der RBB Jebsen, da dieser sich nicht an die inzwischen getroffenen Absprachen gehalten habe, was Jebsen erneut zurückwies. Jebsen selbst, Jahrgang 1966 und deutsch-iranischer Herkunft, bezeichnet sich als „linksliberal“ und pflegt mitunter eine „linke“ Israelkritik, etwa wenn er Kritikern von Günter Grass’ Gedicht „Was gesagt werden muß“ „zionistischen Rassismus“ vorwirft oder beklagt, daß „wir seit vierzig Jahren die Fresse halten, wenn im Auftrage des Staates Israel Menschen in Massen vernichtet werden“.

Foto: Ken Jebsen: „’In dubio pro reo‘ gilt scheinbar nur in Ausnahmefällen. Mir wurde in einem zweiminütigen Telefongespräch gesagt, daß die Zusammenarbeit eingestellt würde.“

 

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