© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Der Deutschtest wird lieber nicht ausgewertet
Integration: Mit dem Kurs „Orientierung & Aktivierung“ sollen Ausländer auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet werden / Beobachtungen aus der Praxis
Kai Müller

Das Lob ausländischer Fachkräfte ist in Deutschland in aller Munde. Dabei gerät mitunter aus dem Blick, daß nicht alle Fachkräfte Ausländer, und nicht alle Ausländer hochqualifiziert sind. Doch die bundesdeutsche „Bildungsrepublik“ hat längst Mittel und Wege gefunden, diesem Mißstand abzuhelfen und hat diverse „Qualifizierungsmaßnahmen“ aufgelegt.

In ihrem Bemühen, beschäftigungslosen Migranten den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen, schicken die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die sogenannten Arbeitsgemeinschaften (ARGE) diese unter anderem in das auf drei Monate ausgelegte Training Orientierung & Aktivierung (O & A). Ein Blick in die Praxis zeigt indes, daß das vermutlich gut gemeinte Vorhaben auch in diesem Fall wie so häufig an der Realität zu scheitern droht.

Die mit dem Training der betreffenden Ausländer beauftragten Bildungsträger bieten der Zielgruppe zunächst praktische Unterstützung bei der Erstellung ihrer Bewerbungsunterlagen (Lebenslauf und Formulierung des Anschreibens).

Dazu erarbeitet der Lehrer (oder Trainer, wie er häufig auch genannt wird) zusammen mit ihnen eine auf sie zugeschnittene Bewerbungsstrategie und entwickelt individuelle Perspektiven für den lokalen Arbeitsmarkt. Zusätzlich werden die Kandidaten gründlich auf die zu erwartenden Fragen in einem Vorstellungsgespräch vorbereitet. Das Training endet mit einem drei bis vierwöchigen Betriebspraktikum.

Dieses an und für sich sinnvolle Konzept stößt in der Praxis häufig rasch an seine Grenzen. Viele Trainer in den beauftragten Schulen fragten sich beklommen, was sie tun sollen, wenn ein junger hochqualifizierter spanischer Luftfahrtingenieur neben einem älteren Analphabeten aus Westafrika seinen Unterricht bevölkert. Wie sich dann herausstellt, ist der Afrikaner längst nicht der einzige Analphabet in dem Kurs. Differenzierung ist in diesem Fall hier die Zauberformel, also wird die Klasse in mehrere leistungsgerechte Gruppen unterteilt. Aber das funktioniert in den seltensten Fällen, da selbst einfache Schulungsunterlagen von der lernschwachen Klientel trotz aller Bemühungen nicht verstanden werden. Das erforderliche Erläutern ist derartig zeitaufwendig, daß das vorgesehene Lernpensum kaum absolviert werden kann. Mit ihrem rudimentären Vokabular sind die Bildungsdistanzierten außerstande, den Ausführungen ihres Trainers zu folgen. So bleibt letztlich nur, das Textmaterial Satz für Satz in einfaches Deutsch zu übersetzen.

Auf kultursensibles Verhalten getrimmte Lehrer verhindern im Vorfeld einen etwaigen „Gesichtsverlust“ der Betroffenen, indem sie ihnen die Peinlichkeit der Auswertung eines sowieso bewußt simpel gehaltenen Deutschtests ersparen. Dennoch kommt es immer wieder zu lautstarken verbalen Übergriffen, wenn die Schüler sich mit der Misere ihrer marginalen Sprachkenntnis konfrontiert sehen. Viele Trainer begegnen der extrem unterschiedlichen Zusammensetzung ihrer Kurse mit einem hohen Maß an gutem Willen, müssen sich dann aber meist der Erkenntnis beugen, daß „gut gemeint“ eben nicht gleichzusetzen ist mit „gut gemacht“. Selbst die Wohlmeinenden unter ihnen müssen früher oder später resignieren.Eine weitere Stunde der Wahrheit wirft ihren Schatten voraus, wenn es gilt, den Lebenslauf am PC zu erstellen. Mit fassungslosem Staunen wird der Lehrer gewahr, daß manche seiner 16 Köpfe zählenden Truppe eine Erstbegegnung mit der gängigen Textverarbeitung erleben.

Den Arbeitsvermittlern, die für die Einteilung der Kurse verantwortlich dürfte dieses nicht ganz unerhebliche Manko wohl entgangen sein. Aufregung, Enttäuschung und damit verbundene Frustration könnte man zuvorkommen, wenn man zunächst feststellt, ob die Kandidaten in der Lage sind, die geschilderten Voraussetzungen für ein O & A-Programm überhaupt zu erfüllen. Auf diese Weise ließen sich auch die aufgewandten finanziellen Ressourcen vor dem Steuerzahler leichter rechtfertigen.

Aber für die betroffenen Bildungsträger bleibt es so oder so ein einträgliches Geschäft.

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