© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Grüße aus Moskau
„Narren in Christo“
Thomas Fasbender

Es war ein öffentlicher Skandal, als Ende Februar fünf junge Frauen, zuvor nur eingeweihten Moskauern bekannt als Punkband mit dem Namen Pussy Riot, unter gehäkelten Tarnkappen vor der Ikonenwand der Moskauer Christi-Erlöser-Kirche ein wildes Spektakel inszenierten. Zwei Wochen vor der Präsidentenwahl erflehten sie von der Gottesmutter lauthals die Niederlage des Favoriten Putin.

Nach dem „Auftritt“ wallten die Emotionen. In Moskau demonstrierten im April 65.000 gegen die vermeintliche Schändung der größten Kathedrale der orthodoxen Christenheit. Inzwischen schreibt der Tanz unter der Bezeichnung Punk-Gebet Geschichte. Drei der Frauen sitzen seit Monaten in Haft, in der Vorwoche wurde gegen sie der Prozeß eröffnet. Unter dem Tatbestand des Hooliganismus – „grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung mit einem deutlichen Mangel an Respekt gegenüber der Gesellschaft“ – drohen ihnen bis zu sieben Jahre Haft.

Der unbestimmte Rechtsbegriff dieses Paragraphen sorgt nicht zum ersten Mal für Kontroversen. Die russische Gesellschaft ist gespalten in eine urbane Minderheit, die nach westlichem Vorbild nur eindeutig definierte Handlungen als verbotsfähig definiert, und eine Mehrheit, die Strafbarkeit auch an gesellschaftlich tradierten Verhaltensnormen festmacht.

Kritiker sehen den Prozeß als Teil eines persönlichen Rachefeldzugs des alt-neuen Präsidenten gegen die Opposition. Innerhalb der orthodoxen Kirche ist der Fall umstritten: Die Forderungen schwanken zwischen harter Strafe und christlicher Milde. Bei einem Besuch in London sprach sich jetzt auch Wladimir Putin gegen eine allzu strenge Strafe aus – entsprechend hat der Staatsanwalt nun „nur“ drei Jahre Haft gefordert.

Unter dem Stichwort Freiheit der Kunst diskutiert in Rußland niemand den Vorfall. Selbst Demokraten entdecken in dem Veitstanz vor dem Altar kaum Künstlerisches. Eher verläuft die Diskussion entlang uralter Muster der Einordnung von Außenseitern – etwa der asketischen „Narren in Christo“, die vor Jahrhunderten in ihren Gebeten auch gesellschaftliche Mißstände anprangerten.

Diese Exzentriker in Sachen Wahrhaftigkeit wurden zu Lebzeiten bekämpft und unterdrückt. Was jedoch Iwan IV. den Schrecklichen, nicht abgehalten hat, einen der bekanntesten „Narren in Christo“, Basilius den Seligen, zum Namensgeber der weltberühmten Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz zu machen.

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