© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Letzte Ausfahrt D-Mark
Euro-Krise: Der Ökonom Dirk Meyer liefert in seinem neuesten Buch eine Sprenganleitung für eine marode politische Kunstwährung
Christian Schwiesselmann

Was ist der Unterschied zwischen einer Physikerin und einem Ökonomen aus Hamburg? Die Physikerin denkt vom Ende her, der Ökonom denkt die Sache zu Ende. Jedenfalls gilt dies für Dirk Meyer, der an der Bundeswehruniversität Ordnungsökonomik lehrt. In seinem neuen Buch „Euro-Krise. Austritt als Lösung?“ hat der 1957 in Kiel geborene Professor für Volkswirtschaftslehre alle denkbaren Austrittsszenarien aus der europäischen Gemeinschaftswährung nicht nur durchdekliniert, sondern auch durchgerechnet.

Für Meyer gibt es nur zwei realistische Szenarien: die Fiskal- und Transferunion – ein Weg, den die deutschen Eliten von den Grünen bis zur CDU beschreiten wollen – oder den Austritt aus der Euro-Zone. Das Szenario B war bislang eine Außenseiterposition, werde jetzt aber politisch diskussionsfähig, schreibt der vierfache Familienvater im Vorwort: „Die mangelnde Wirksamkeit der an Spar- und Reformauflagen gekoppelten Hilfsprogramme, eine mögliche Überforderung der Krisenstaaten und die auf das Wirtschaftswachstum kontraproduktiv wirkenden Maßnahmen lassen ein Nachdenken über Alternativen zu.“

Meyer hält die Währungsunion für gescheitert – und das nicht erst seit Beginn der Finanzkrise 2007/2008. Bereits bei Euro-Einführung prophezeiten er und hellsichtige Kollegen Konflikte in dem „nicht-optimalen Währungsraum“: Verteilungskämpfe um die Notenbankgewinne (Seigniorage), Auseinandersetzungen zwischen den an Geldwertstabilität interessierten Nordländern und den inflationsgewöhnten Mittelmeeranrainern, wachsende Zahlungsbilanzdifferenzen und wirtschaftliche Ungleichgewichte sowie einen abflauenden Wettbewerb der Systeme – „mit entsprechend negativen Konsequenzen für politische Innovationen und Problemlösungen“.

Die Währungsgeschichte lehre, daß gemeinsame Währungen nur dann gelingen, wenn sich realwirtschaftlich integrierte Mikrostaaten größeren benachbarten Währungsräumen anschließen wie etwa Italien und San Marino oder der Vatikan, Frankreich und Monaco, Liechtenstein und die Schweiz oder Belgien und Luxemburg. Größere Währungsblöcke wie die Lateinische (1865) oder Skandinavische Münzunion (1872), die Kronen- (1918) und die Rubelzone (1991) zerbröselten schnell. Seit 2010 bröckelt nun die Europäische Währungsunion, jene geldpolitische Uniform, die so unterschiedlichen Ländern wie Griechenland und Deutschland übergestülpt wurde und nun den Großen zwickt und beim Kleinen hängt.

Warum Deutschland dennoch den Stabilitätsanker einholte, die Nichtbeistandsklausel im EU-Recht preisgab und nun ein Rettungspaket nach dem anderen mitträgt, hat nach Meyer viele Ursachen: Zufälle wie Wolfgang Schäubles plötzliche Erkrankung als deutscher Verhandlungsführer im Mai 2010, Einflüsterungen wie die des heutigen EZB-Direktoriumsmitglieds Jörg Asmussen (SPD), ökonomisch unbeleckte Politiker, vage Informationslagen über mögliche Ansteckungsgefahren und Domino-Effekte „bildeten eine fruchtbare Grundlage für die Einflußnahme externer Berater“. Zudem würden Politiker nicht über die Wahlperioden hinaus denken – „ein genereller Defekt unserer parlamentarisch-demokratischen Strukturen“.

Das Hauptaugenmerk richtet Meyer auf mögliche Austrittsszenarien: Während Griechenland, so Meyer, die permanente Überforderung aus dem Euro-Raum treiben könnte, wäre es im Falle Deutschlands die dauerhafte Frustration als europäischer Zahlmeister. Die Bundesrepublik müßte dabei behutsam vorgehen, um den gemeinsamen Markt nicht zu gefährden und Spekulationsgeschäfte von vornherein zu unterbinden. Allerdings wäre die Exportindustrie durch Aufwertung einer Neuen Deutschen Mark weniger betroffen, als manche „Eurofighter“ meinen: Wo Exporte teurer werden, wird dank höherer Kaufkraft der Neuwährung der Import von Rohstoffen und Bauteilen günstiger, was bei einer 40prozentigen Vorleistungsquote der deutschen Industrie durchaus nützen könnte. Auch die reiselustigen deutschen Konsumenten profitieren.

Aufgrund der hohen Netto-Gläubigerposition Deutschlands käme es per Saldo zu einem erheblichen Vermögensverlust, zerstört der Wirtschaftswissenschaftler die Illusion, eine Rückkehr zur D-Mark wäre kostenlos zu haben. Inländer mit Auslandsforderungen – Banken, Versicherungen, Unternehmen und Privatpersonen – wären besonders betroffen. Dagegen kassierte der Staat wegen seiner Netto-Schuldenposition von minus 395 Milliarden Euro eine satte „Aufwertungsprämie“ und wäre mit einem Schlag einen Teil seiner Schulden los. Mittelfristig lägen die jährlichen Kosten einer Fiskal- und Transferunion von 75 bis 150 Milliarden Euro aber deutlich über den Einmalkosten der deutschen Ausstiegsoption von 295 bis 390 Milliarden Euro, schätzt Meyer.

Der Ökonom hat alle Alternativen von der Parallelwährung über die duale Währungsunion bis hin zur Rückkehr zum ECU-Wechselkurssystem auch rechtlich geprüft. Die Aufspaltung in einen Nord- und Süd-Euro hält er wegen der Gefahr eines Austrittswettlaufs im Süden für unwahrscheinlich; eine „Desintegration“ der defekten Euro-Zone hingegen für unerläßlich. Ein Weiterdurchwurschteln der Euro-Zone verbiete sich bei Strafe des Untergangs. Am Ende wäre nicht nur das Binnenmarktprinzip „Geschichte, sondern auch das Gemeinsame Haus Europa“.

Summa summarum glänzt Meyers Buch durch fundierte Berechnungen, abgewogenes Urteil und Detailschärfe. Sein ziemlich konkreter Ausstiegsplan läßt sich als Sprenganleitung für eine marode politische Kunstwährung lesen – mit dem einzigen Zweck, das „Projekt Europa“ zu retten.

Dirk Meyer: Euro-Krise. Austritt als Lösung? Lit Verlag, Berlin 2012, broschiert, 125 Seiten, 19,90 Euro

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