© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

CD: Peteris Vasks
Nach dem Schmerz
Sebastian Hennig

Musik perlt auf, zitternd-beschwingt, bald löst sich daraus das hochtönende Lied der Violine um gravitätische Figuren zu beschreiben. Halb flehend, halb triumphierend. Die Streicher sinken in tiefere Lagen herab und grundieren von da den durchdringenden Sang der höheren Saiten. Eine kordophone Apotheose.

Himmlisch schön ist diese Musik. Es handelt sich freilich auch um die Stimme der Liebe „Vox Amoris“, von der die Fantasie für Violine und Streicher gesättigt ist. In die Welt gesetzt wurde sie vor gut drei Jahren von einem europäischen Künstler, der auf dem Höhepunkt seines Schaffens steht. Der lettische Tonsetzer Pēteris Vasks deutet die Musikalität und den Gesang seiner Landsleute als ein Signal aus den Zeiten der Fremdbestimmung: „ein existentielles Überlebensmittel, ein Zeichen, daß wir noch da sind“.

Der reine Klang des am meisten singend-schwingenden Instruments, der Violine und ihrer Verwandten, erschloß sich seiner Kunst bald nach dem Wiedersehen mit einem Freund aus Kindertagen, dem Geiger Gidon Kremer. Als 1991 die baltischen Länder ihre Selbständigkeit zurückerrungen hatten, wurde dieser von den politischen Verhältnissen gekappte Faden wieder neu geknüpft. Mit seinem Kammerorchester „Kremerata Baltica“ übernahm Kremer die Uraufführung der beiden anderen Werke für Violine und Streicher: „Tala gaisma“(Fernes Licht, 1996/97) und „Vientulais engelis“(Einsamer Engel, 1999/2006). Die vorliegende Einspielung aller drei Werke erfolgte durch die Sinfonietta Riga mit der Solistin Alina Pogostkina.

Die Kraft des Trostes, die von dieser Musik ausgeht, ruht auf der Erfahrung echter äußerer Not. Diese Süßigkeit wurde hervorgepreßt aus einer Kelter des Leidens. Sie verschwimmt nie ins Süßliche, da sie nicht aus der spirituellen Öde hervorgeht, wie sie sich in der postmodernen westlichen Kunst kundtut mit dem Wiederaufleben melodiöser, narrativer und figurativer Formkonzepte. Die bleiben oberflächlich, weil sie mit keiner Daseinserfahrung verbunden sind.

Aber die Musik von Vasks hat sich nicht verbissen in den Verlust. Das abschließende Stück dieser Platte steht über den Qualen der Vergangenheit. „Einsamer Engel“ ist eine „Meditation für Violine und Streichorchester“. Die Solovioline verharrt mit mehreren Bogenwechseln in endlosem Gesang über mehreren Oktaven und in teils extremen Tonhöhen. Ein Choralthema prunkt feierlich durch das Stück, Motive eines lettischen Volksliedes werden eingeflochten. Hier gibt es keine Dialektik von Licht und Finsternis. Es geht allein um Linderung: „Ich sah einen Engel, der über die Welt fliegt, voller Trauer blickt er auf ihren Zustand, doch eine kaum spürbare liebevolle Berührung seines Flügels bringt Trost und Heilung. Dieses Stück ist meine Musik nach dem Schmerz.“

Das provoziert die Frage, ob mit dem Nachlassen des Schmerzes schließlich auch das Lied verklingt und überall auf der Welt, die Kunst als schöner Aufschrei, die Musik nach dem Schmerz, abgelöst wird von einem so geschwätzigen wie überflüssigen Kunstgewerbe aus Gewohnheit. Noch sind die Wunden offen und die flüchtige, immaterielle, traurige Schönheit dieser Musik ist wohl ein angemesseneres Denkmal für die Leiden als die zumeist ungefüge gebauten Mahnmale unserer Epoche.

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