© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/12 10. August 2012

Der Flaneur
Auf dem Sonderweg
Cassian Heidt

Die ersten Tropfen treffen ihn nach wenigen Schritten. Er zieht das Tempo an. Dann nimmt alles seinen üblichen Lauf. Einsichtig schlendert er wieder im alten Gang. Naß, aber frei.

Im Norden rasten die Wolken wohl nie. Auf dem Trottoir gegenüber klammert sich ein betrunkener Schotte am Boden fest. Er atmet schwer, ist hochkonzentriert, der Kopf blutrot. Wie ein Seiltänzer. Die Hände suchen nach Halt, doch die Füße tragen nicht. Hier kämpft wohl jeder seinen eigenen Kampf, auch der Trinker entkommt sich nicht.

Er selbst tritt krachend in eine Pfütze. Die schmierigste im ganzen verdammten Inverness wird es sein. Dicke Schlieren rinnen die beigefarbene Hose hinunter, verlieren sich auf den schwarzen Lederschuhen. Der Zigarettenqualm bestätigt ihm, daß er endlich im Pub angekommen ist. Rauchen ist eigentlich verboten, aber Gesetze zählen in den Highlands nichts. Beigefarbene Hosen und schwarze Lederschuhe sind hier unüblich, aber geduldet. Das Trikot der Balloch Highs wird sofort durch die Tür geprügelt.

Hinter den dichten Nebelschwaden sitzen seine Bekannten. Ein Mann und zwei Frauen. Der Mann und eines der Mädchen sind Schotten, die andere ist wie er fremd in dieser Gegend. Der Whiskey fließt, mal sehen, was die Nacht noch bringt.

Eine Flasche später singen die Schotten ihr altes Lied. Ein schweres Brummen, es grollt wie die Steine in ihren Bächen. Sie fordern die zwei Fremden auf, ihr Lied zu singen. Er setzt an, doch sie fällt ihm in den Arm. „No, no. We do not sing this song.“ Er zieht die Augenbraue hoch und singt dennoch. Nach einer Zeile verläßt sie den Pub. Sie zieht eine kleine Nebelschwade hinaus in das Dunkel.

Sie kämpft ihren ganz eigenen Kampf. Auch oben im Norden, da wo die Wolken nicht rasten können, wo man erst im Regen losrennt und dann doch wieder schlendert. Auch hier geht sie ihren Sonderweg.

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