© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

„Bereiten wir uns auf das Schlimmste vor“
Kommt alles anders als gedacht? Wird der Euro nicht an Spanien oder Italien, sondern an Frankreich scheitern? Noch gilt die Grande Nation den Deutschen als Säule der EU und als Partner in Sachen Euro-Rettung, doch die Pariser Wirtschaftsjournalistin Simone Wapler prophezeit: „Frankreich selbst wird bankrott gehen.“
Moritz Schwarz

Frau Wapler, was passiert mit dem Euro, wenn Frankreich bankrott geht, wie Sie in Ihrem Buch vorhersagen?

Wapler: Dann haben wir eine Großkrise kaum vorstellbaren Ausmaßes.

Das Ende des Euro?

Wapler: Ich glaube nicht, daß Deutschland bereit sein wird, dann die Euro-Rettung noch weiter zu finanzieren.

Das heißt?

Wapler: Das können Sie sich doch selbst ausmalen.

Wie wahrscheinlich ist es denn, daß Frankreich bankrott geht?

Wapler: Oh, ich glaube, das ist ziemlich sicher.

Wieso?

Wapler: Nehmen Sie zum Beispiel das Defizitkriterium des Maastrichtvertrags von drei Prozent des BIP, des Bruttoinlandsprodukts.

Das Frankreich 2012 aller Voraussicht nach erneut reißen wird.

Wapler: Ja, aber was ich sagen möchte: Im Grunde genommen ist das gar nicht das Defizit. Denn der Staat verfügt ja nicht über hundert Prozent des BIP. Das wahre Defizit ergibt sich aus folgender Verrechnung: Ausgaben abzüglich Einnahmen, nochmal geteilt durch die Einnahmen. Oder professioneller ausgedrückt: „Cash-out“ minus „Cash-in“, dividiert durch „Cash-in“. Dann erst wird das wahre Defizit offenbar! In Frankreich beträgt es zwischen 25 und 30 Prozent.

Also müßte der Staat seine Ausgaben eigentlich um 25 bis 30 Prozent einschränken?

Wapler: Richtig, aber Frankreich leidet leider unter dem verhängnisvollen Irrglauben, daß man mit öffentlichen Ausgaben Krisen überwinden könne. Tatsächlich aber sind es ja gerade die öffentlichen Ausgaben, die sich inzwischen unerreichbar hoch über unseren Köpfen auftürmen.

Frankreich ist – wie Deutschland – zweifellos mit viel zu hohen Staatsschulden in die Krise eingetreten. Aber ist der Nährboden für das Problem – mit Ausnahme Griechenlands – nicht die enorme private Verschuldung?

Wapler: Natürlich stimmt auch das, aber wenn die öffentlichen Ausgaben wachsen, wachsen und wachsen und es irgendwann einfach keine Möglichkeit mehr gibt, zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt zurückzukehren, dann ist aus einer Lösungsstrategie der Regierung das Problem geworden – das muß diese auch einmal begreifen. Ich gehöre wirklich nicht zu denen, die meinen, jede staatliche Intervention wäre Teufelszeug. Aber im Grunde geben wir doch längst schon das Geld künftiger Generationen aus.

Immerhin hat Präsident Hollande angekündigt, bis 2017 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.

Wapler: Daran glaube, wer will, ich nicht. Das ist doch völlig unrealistisch.

Ist sich Präsident Hollande dessen bewußt?

Wapler: Er sollte es sein.

Seine Strategie ist, aus den Schulden „herauszuwachsen“.

Wapler: Ja, mit einer lockeren Geldpolitik und Investitionen auf Pump, sehr solide. Vor allem aber: Wachstum ist nichts, was man einfach „machen“ kann. Leider sind wir aber völlig verwöhnt und haben kaum noch realistische Vorstellungen von Wachstum. Das wichtigste ist zu begreifen, daß wirtschaftliches Wachstum so etwas wie ein natürlicher Prozeß ist. Man muß das Pflänzchen hegen und pflegen in der Hoffnung, daß es wächst. Aber man kann ihm das nicht befehlen. Und selbst wenn, kein Baum wächst ewig. Wachstum beginnt meist gewaltig, wird dann aber ganz natürlich immer geringer. Wir sind nun in so einer marginalen Phase. Wachstumsraten von fünf Prozent wie einst sind heute kaum noch möglich. Heute ist ein Wachstum von ein oder zwei Prozent schon toll. Wir müssen uns eingestehen, daß die Zeit seit der industriellen Revolution tatsächlich eine Ausnahme dargestellt hat, die das Wachstum extrem begünstigte. Nämlich die Ausnahme der Verfügbarkeit von äußerst billiger Energie: Im 19. Jahrhundert die Kohle, im 20. Jahrhundert das Öl. Aber diese Ausnahme ist vorbei, die Energiepreise ziehen mächtig an, oder – ehrlich gesagt – normalisieren sich. Also: Einfach Wachstum zu postulieren und sich darauf zu verlassen, um aus den Schulden zu kommen, das, Herr Präsident, ist keine seriöse Krisenbewältigungspolitik.

Immerhin hat die Pariser Regierung ihre Wachstumsprognose schon von zwei auf 0,5 Prozent gesenkt. Schlittert Frankreich in die Rezession?

Wapler: Da sind wir doch bereits.

Ist das nicht etwas übertrieben?

Wapler: Ich sage, Frankreich ist heute schon nicht mehr wettbewerbsfähig. Wir exportieren einfach zu wenig. Sehen Sie, keiner kauft ein deutsches Auto oder eine deutsche Maschine, weil sie billig ist. Man kauft sie, weil solche Produkte aus Deutschland gute Qualität bieten, weil man etwas bekommt für sein Geld! Warum aber kaufen die Leute französische Produkte?

Warum?

Wapler: Sehen Sie, da fällt Ihnen keine Antwort ein. Und das ist das Problem. Tatsächlich ist Frankreich nur eine kleine Nische geblieben, in der es wettbewerbsfähig ist, interessante Produkte anbietet. Insgesamt aber haben wir keine Industrie mehr, die international mithalten könnte. Ich rekapituliere also: Sinkende Wettbewerbsfähigkeit, schwacher Export, eine Außenhandelsbilanz mit einem Rekorddefizit von siebzig Milliarden Euro, hohe Arbeitslosigkeit von drei bis fünf Millionen, je nach Zählweise, ein tatsächliches Defizit von 25 bis 30 Prozent und explodierende Staatsschulden von inzwischen 85 Prozent. Ich sage, all dies zusammengenommen bedeutet, daß wir den „Point of no Return“, also den Moment, wo Umkehr noch möglich gewesen wäre, bereits passiert haben.

Die meisten Beobachter sind sich einig, daß Frankreich inzwischen zu den „wirtschaftlichen Großbaustellen“ in der Euro-Zone gehört (siehe auch Seite 12), aber dennoch geht kaum einer so weit, wie Sie. Steckt hinter Ihrem Pessimismus vielleicht nicht auch Kalkül, Ihr Buch „Warum Frankreich bankrott gehen wird“ zu verkaufen?

Wapler: Das wird natürlich immer unterstellt. Ich glaube aber vielmehr, daß die meisten Leute etwa deshalb noch nicht realisiert haben, daß wir die rote Linie bereits überschritten haben, weil wir zum Beispiel noch einen Zinssatz von zwei bis drei Prozent haben. Wären es vier Prozent, würden die Leute wohl anfangen aufzuwachen. Dann würde endlich begriffen werden, daß wir bereits voll durch die Bande gekracht sind. Denn glauben Sie nicht, daß es jetzt noch so einfach möglich wäre – selbst wenn die Regierung es plötzlich ernsthaft versuchte –, das Ruder herumzureißen. Selbst das würde inzwischen nichts mehr helfen. Denn es handelt sich um Prozesse, die sich nicht einfach von diesem auf das nächste Jahr umkehren lassen.

In Deutschland denkt man bei einem möglichen Scheitern des Euro an Staaten wie Spanien oder Italien. Daß es Frankreich sein könnte, dessen Zusammenbruch vielleicht das Ende des Euro bringen könnte, kommt den meisten Deutschen wohl kaum in den Sinn.

Wapler: Da muß ich jetzt aber mal fragen warum?

Die meisten betrachten Frankreich wohl als das Land, das Deutschland am ähnlichsten ist.   

Wapler: Da kann ich ja nur lachen. Das ist natürlich der Eindruck, den Präsident Sarkozy oder jetzt Präsident Hollande erwecken wollen, und zumindest die Franzosen glauben das auch nur zu gerne. Denn sie möchten sich natürlich auf Augenhöhe mit Deutschland sehen. Tatsächlich aber hat Frau Merkel mehr Geld, weniger Schulden und eine stärkere Wirtschaft, aber das wird geflissentlich ignoriert. Ich bin keine Expertin für Deutschland, aber schauen Sie sich die Unterschiede doch mal an, das beginnt schon mit der Mentalität: Ich würde sagen, die Franzosen sind individueller als die Deutschen, sie legen mehr wert auf den Augenblick, sie sind nicht so engagiert in einer Sache, darin, sich einer bestimmten Anstrengung unterzuordnen, weil sie ein Projekt verwirklichen wollen. Ich hatte früher in der Luftfahrtindustrie öfter mit den Deutschen zu tun. Ich sage Ihnen, der eklatanteste Unterschied etwa war, daß man bei den Deutschen die Arbeit geschafft hatte, wenn schließlich der Vertag mit ihnen unterschrieben war, dann konnte man entspannen. In Frankreich dagegen beginnt mit der Vertragsunterzeichnung erst der Ärger und Streß. Ich sage auch immer: „Wie viele Länder haben heute noch eine kommunistische Partei? Nordkorea, Kuba und Frankreich!“ Na ja, die Franzosen interessieren sich allgemein eben mehr für Politik. Wirtschaft, das langweilt sie eher. 

Selbst wenn Frankreich bankrott gehen sollte, warum sollte dann automatisch auch der Euro am Ende sein?

Wapler: Natürlich, wenn Deutschland bereit wäre, Frankreich zu retten – was konkret hieße, zu erlauben, Geld zu drucken –, dann könnte der Bankrott formal abgewendet werden. Dann aber stünde Frankreich in Zukunft unter der Herrschaft Deutschlands. Zahlt Deutschland dagegen nicht, wäre der Bankrott unausweichlich. Die Folge wäre, daß Frankreich seine Euro-Mitgliedschaft aufkündigen müßte. Dann aber stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, noch von einer europäischen Währung zu sprechen, wenn selbst Frankreich nicht mehr dazugehört.

Könnte Deutschland denn ein bankrottes Frankreich überhaupt finanzieren?

Wapler: Ich bin wie gesagt keine Deutschland-Expertin, ich bin nicht genug vertraut mit Ihren Zahlen, das müssen Sie jemanden anderen fragen. Womit ich mich bezüglich Deutschland dagegen aber beschäftigt habe, ist die Frage nach den Kosten für Ihr Land bei Verlassen und bei Verbleib in der Euro-Zone ganz allgemein.

Und?

Wapler: Ich kann nur sagen: Armes Deutschland.

Inwiefern?

Wapler: Weil ein Ausstieg Deutschlands aus dem Euro für Sie unglaublich teuer werden würde. Jetzt fragen Sie mich folglich sicher nach der Alternative. Natürlich: Im Euro bleiben. Nur: Das wird am Ende noch viel, viel teurer.

Gibt es keine andere Möglichkeit?

Wapler: Oh, doch. Machen Sie mal die Augen auf: Geld drucken. Da geht doch derzeit die Reise hin! Das Problem ist nur, es gibt nach meinem Wissen kein Beispiel in der Geschichte, in der eine Regierung, die sich ganz aufs Gelddrucken verlegte, auch überlebt hat. Für die Bürger ist Geld nämlich gleichbedeutend mit dem Staat: Verlieren sie das Vertrauen in das Geld, verlieren Sie auch das Vertrauen in den Staat.

Also, was raten Sie?

Wapler: Da gibt es nichts zu raten. Es ist einfach so: Ein Euro-Ausstieg wird teuer, ist für Ihr Land aber zu bewältigen. Ein Verbleib dagegen wird auch Ihre Leistungskraft irgendwann übersteigen. Das ist also, als ob Sie mich fragen, ob sie lieber leben oder sterben sollen. Da rate ich natürlich, am Leben zu bleiben. Das überrascht Sie jetzt aber nicht wirklich?

Wie können Sie so sicher sein, daß ein Verbleib im Euro Deutschland überbeanspruchen würde? Immerhin hält die gesamte politische Elite Deutschlands das für machbar.

Wapler: Weil die Kosten für die Euro-Rettung steigen und steigen und steigen werden, quasi ohne Ende. Vor gut einem Jahr ergab zum Beispiel ein Streßtest für Spanien: Falls es ein Problem geben sollte, wird es ein nicht allzu großes von höchstens zwanzig Milliarden Euro sein. Inzwischen haben wir eines, das fünfmal so groß ist. Ich sage: Bürger, hofft das Beste, aber bereitet Euch auf das Schlimmste vor! Denn es sind dieselben Politiker, die uns geradewegs an die Wand gefahren haben, die immer noch an der Macht sind.

 

Simone Wapler, die Wirtschaftsanalytikerin und ehemalige Chefredakteurin des französischen Ablegers der Anleger-Zeitschrift MoneyWeek erregt mit ihrem im Mai erschienenen Buch „Warum Frankreich bankrott gehen muß“ Aufsehen, indem sie den ökonomischen Kollaps der zweitgrößten EU-Macht voraussagt. Auch die Süddeutsche Zeitung fragt inzwischen: „Wird Frankreich das nächste Italien?“ Andere Medien prophezeien: „Frankreich vor dem Abstieg“ und sehen das Land im Bann „der Angst vor der Staatspleite“. Laut Simone Wapler würde Deutschland damit seinen wichtigsten Partner in der EU verlieren. Die Französin, 1955 in Casablanca geboren, war zunächst als Diplomingenieurin in der Luftfahrtindustrie tätig und ist heute Anlageberaterin und Chefredakteurin des Informationsdienstes l‘Investisseur Or et Matières des französischen Verlages Publications Agora.

 www.investisseur-or-matieres.com

 

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