© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Drogenwelle aus Tschechien
Kriminalität: Seit der Liberalisierung der Drogengesetze im Nachbarland wird Sachsen mit dem Rauschgift Crystal überschwemmt
Paul Leonhard

Sachsen hat ein Rauschgiftproblem. Seit in der Tschechei vor mehr als zwei Jahren die Drogengesetze liberalisiert worden sind, ist der Freistaat bevorzugter Absatzort für das in Tschechien hergestellte Crystal (Pervitin). Durch die Entkriminalisierung von Drogen im Nachbarland habe sich in Sachsen ein Markt etabliert, sagt der Leiter der Sächsischen Landesstelle gegen Suchtgefahren, Olaf Rilke. Hat die synthetische Designerdroge deutschlandweit unter allen illegalen Drogen gerade einmal einen Anteil von 16 Prozent, so liegt er in Sachsen bei 48 Prozent. Es ist hier das am häufigsten konsumierte Rauschgift.

Crystal sei auf dem Vormarsch, warnt der Leiter des Rauschgiftkommissariats der Kriminalpolizei, Gerd Voigt. „Im Bereich der illegalen Drogen ist Crystal derzeit die dominierende Problemsubstanz“, bestätigt der Leipziger Sozialbürgermeister Thomas Fabian. Seit es der Polizei gelungen ist, die Heroin-Connection von Nordafrika nach Leipzig zu zerschlagen, steigt in der Messestadt die Abhängigkeit von Crystal. Dabei ist Leipzig noch nicht einmal sächsischer Schwerpunkt. Viel gravierender sieht es in den Großstädten Dresden und Chemnitz sowie dem unmittelbar an der tschechischen Grenze gelegenen Vogtlandkreis aus.

In der grenznahen Region Westsachsens herrsche die höchste Problemdichte, weiß Olaf Rilke. Hier werden seit drei Jahren jährliche Zuwachsraten von mehr als 20 Prozent registriert. Im ambulanten Bereich ist Crystal längst die häufigste illegale Droge. Eine Trendwende sei aktuell nicht erkennbar, konstatiert Rilke. Durch die problemlose Herstellung von Crystal in tschechischen Kleinküchen, die kurzen Vertriebswege sowie die kleinteiligen Vertriebsstrukturen ist immer mehr Crystal verfügbar. Sachsen sei neben Bayern in dieser Beziehung eine besondere Problemregion: Man benötige die Unterstützung des Bundes und der EU sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Tschechien. Auch im sächsischen Innenministerium hat man das Problem erkannt. Es müsse rasch gegengesteuert werden, damit der Handel nicht noch größere Ausmaße annehme, heißt es in einer Stellungnahme.

Schon länger fordert der Landesverband Bayern der Deutschen Polizeigewerkschaft stärkere Kontrollen in der Grenzregion und die Stillegung der „Giftküchen“. Doch der tschechischen Polizei fehlen die finanziellen Möglichkeiten, wirkungsvoll gegen die Akteure vorzugehen. Dazu kommt, daß seit 2010 der Besitz von 15 Gramm Marihuana, einem Gramm Kokain, 1,5 Gramm Heroin, vier Ecstasy-Pillen oder zwei Gramm Amphetaminen für den Eigenbedarf in Tschechien straffrei sind und lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Das sei doppelt bis fünfmal mehr als in den Niederlanden, sagt der Mediziner Roland Härtel-Petri vom Therapiezentrum Hochstadt. Gleichzeitig würden die Präventionsausgaben in Tschechien lediglich einem Zwanzigstel der holländischen entsprechen.

Die meistfrequentierten Drogenumschlagplätze sind die Märkte in der Grenzregion, weiß der Chef der tschechischen Antidrogenzentrale, Jakub Frydrych. Diese aber sind in der Hand von Vietnamesen, der drittgrößten Einwanderergruppe in Tschechien. 89 Prozent des Crystalhandels werden nach Angaben Frydrychs über diese Märkte abgewickelt. Als Hauptumschlagplätze gelten Moldava und Dolni Poustevna. Aufgriffe gibt es kaum. Die letzten nennenswerten Erfolge sind fast ein Jahr alt. Da hatte die Polizei im westböhmischen Asch sieben Vietnamesen wegen unerlaubter Rauschgiftproduktion verhaftet.

Es sei wieder Mode geworden, wegen des vermeintlichen Scheiterns des „war on drugs“ in einigen Ländern in Deutschland eine Freigabe auch der synthetischen Substanzen zu fordern, warnte Härtel-Petri auf dem gemeinsamen Fachtag „Crystal eine Herausforderung für die Suchthilfe“, zu dem die Städte Leipzig und Dresden Anfang Juli eingeladen hatten. Auf diesem wurde übereinstimmend mehr Aufklärung über die von Crystal ausgehenden Gefahren gefordert. „Was uns Sorgen bereitet, sind Klienten, die einen erschreckend geringen Kenntnisstand zu den Folgen eines dauerhaften Konsums von Crystal haben, sagt die Leipziger Streetworkerin Jacqueline Netwall. Sie höre öfter Äußerungen wie: „Jetzt bin ich endlich clean, ich konsumiere ja nur noch Crystal.“ Dabei würden physische und psychische Beeinträchtigungen meist schon nach kurzer Zeit und sehr massiv auftreten. Dazu kommt das hohe Abhängigkeitspotential.

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