© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Ökumene der Ökonomie
Sammelband der Familienunternehmer: Vom Mehrwert der Werte und ihrer Inflationierung / Herausragende Essays von Herwig Birg bis Robert Spaemann
Christian Dorn

Die „Umwertung aller Werte“ hat in der deutschen Wirtschaft über hundert Jahre gebraucht – jedenfalls mit Blick auf die Markenkennzeichnung „Made in Germany“, die etwa so alt ist wie das Nietzsche-Diktum. Heute, so diagnostiziert der Medienwissenschaftler Norbert Bolz, wird das deutsche Qualitätskriterium von der ethischen Formel des „Made in Dignity“ verdrängt.

Der Grüne Punkt oder das Siegel „umweltfreundlich“ reichten nicht mehr, weshalb die Produkte einen „moralischen Mehrwert“ signalisierten: Selbstzuschreibungen wie „Bio“ oder „Öko“ verhießen „das Heil als Freikauf“. Das Geschäft mit der Ehtik sei nichts anderes als „moderner Ablaßhandel“. Obgleich diese Praxis auf die Ökonomisierung des Gewissens verweist, sieht Bolz uns in ein „Zeitalter der postökonomischen Werte“ eintreten – in der Dynamik eines beschleunigten „Wertekarussells“. Die Politik zeige dies im „Opportunismus in der Werteverfolgung“, wo – siehe Atomkraft – heute das Gegenteil von gestern gelte. „Niemand“, so Bolz, „beherrscht das eindrucksvoller als unsere Kanzlerin“. Angela Merkel sei „die modernste Politikerin der Welt“. Sein irritierendes Diktum begründet er mit der Einsicht des Soziologen Max Weber, der schon vor hundert Jahren vom „Polytheismus der Werte“ sprach, welcher die Politik zu einem „leistungsfähigen Opportunismus“ zwinge. Damit verbunden sei auch die Erkenntnis, grundsätzlich keine Werte verwirklichen zu können, „ohne andere Werte zu verwirken“.

Dieser Dezisionismus berührt – aus konservativer Sicht – die einst gefürchtete Gretchenfrage, die einen Entscheidungszwang zwischen einer „wertkonservativen“ und einer „strukturkonservativen“ Haltung suggerierte. Während letztere negative Assoziation implizierte, war erstere positiv konnotiert. Daß wohl beide ihre Berechtigung haben, demonstriert Bolz, wenn er darauf hinweist, Gesinnungen respektive Werte würden „nur in Institutionen wirklich wirksam“.

Wenngleich hier wohl auch der CSU-Politiker Peter Gauweiler zustimmen dürfte, betont sein Beitrag über „Wertkonservative Politik in Zeiten des Wertewandels“ allein schon durch den Titel andere Aspekte. Aus seiner Sicht sind die christlichen Werte der unverrückbare „konservative Kern“ der Union. Seine bündige Definition von Konservatismus steht unter der Überschrift „Die Beweislast trägt das Neue“. Entsprechend erscheinen Ordnung, Differenz und Distanz nicht als schädlich, sondern als ein Wert an sich. Konservative seien daher genuin „apparatekritisch“ und wollten in der politischen Klasse „mehr Individualismus und weniger Funktionärstum“.

Solange aber die Christdemokraten die gesellschaftliche Notwendigkeit des Konservatismus fürchteten, drohe ihr Untergang: „Eine Union, die sich ausgerechnet jetzt davor fürchtet, man bräuchte sie nicht mehr, enttäuscht alle. Sie würde das Volk erfolglos suchen, wie einst Talleyrand, ohne es zu finden.“

Wie sich aber zurechtfinden im Zirkus der inflationären Wertebeschwörung? Neben den Genannten bemühen sich weitere 47 Prominente von Herwig Birg über Václav Klaus bis Robert Spaemann um die Beantwortung der Frage. Unbedingt zu erwähnen ist hier der Philosoph Hermann Lübbe mit seiner Reflexion über den „moralistischen Mißbrauch“ des Werte-Begriffs in bezug auf die EU. Das Verdienst dieser „werthaltigen“ Publikation gebührt der Stiftung Familienunternehmen, deren Gründer und Vorstand Brun-Hagen Hennerkes als Mitherausgeber fungiert. Aus seiner Sicht stellt der Wertewandel für Familienunternehmer eine doppelte Herausforderung dar, da hier zwei Lebensbereiche mit unterschiedlichsten Werten miteinander in Einklang zu bringen sind: die Firma, die nach rationalen Kategorien zu führen ist, und die Familie, in der Gefühle dominieren.

Da hier Risiko und Haftung zusammengehen, haben Familienunternehmer die letzte Finanzkrise weitgehend unbeschadet überstanden.

Brun-Hagen Hennerkes, George Augustin (Hrsg.): Wertewandel mitgestalten. Verlag Herder, Freiburg 2012, 637 Seiten, gebunden, 24 Euro

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