© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/12 17. August 2012

Mit griechischem Lebensstil gegen Alzheimer
Fragwürdige „Mittelmeerdiäten“ sollen das Demenzrisiko senken / Eindeutige Belege fehlen bislang
Peter Eichler

Nichts Neues in der Alzheimerforschung – so darf der Leser den Inhalt eines knapp hundert Seiten starken Sonderheftes der Redaktion von Spektrum der Wissenschaft auf den Punkt bringen. Dieser Befund gilt vor allem für den Untertitel „Alles zu Ursachen, Risikofaktoren und Heilungschancen“. Denn hier findet man zwar tatsächlich „alles“, was zu diesen Problemkomplexen interessiert, aber das ist eben seit langem bekannt, und es umfaßt, in erster Linie zu „Risikofaktoren und Heilungschancen“, bitter wenig an gesicherten Erkenntnissen.

Der Chemiker Gerhard Trageser, Redaktionsleiter der Spektrum-Sonderhefte, beklagt denn auch einleitend den Wissensstand über die „unheimliche Geißel des Alters“, und wie „frustrierend“ es sei, daß noch immer kein Medikament existiere, das die Krankheit heile oder ihr Fortschreiten hemme. Es bestehe derzeit nicht mehr als die Hoffnung, daß der gigantische Forschungsaufwand sich lohnt und unter den bescheidenen „Ansätzen zu neuen Therapien“ sich „der eine oder andere doch noch als Treffer erweist“.

Nach einem so kleinlauten Auftakt wundert es nicht, wenn der zentrale Beitrag der US-Wissenschaftsjournalistin Lauren Gravitz, der neu entwickelte Medikamente zur Behandlung von Morbus Alzheimer vorstellt, sich die wenig verheißungsvolle Überschrift „Ein Wirrwarr von Angriffspunkten“ gefallen lassen muß. Obwohl die von ihr befragten Wissenschaftler gerade im letzten Jahrzehnt durch „gewaltige Fortschritte“ in der Grundlagenforschung zeitweise euphorische Phasen durchlebten, herrsche inzwischen „ein Gefühl von Stagnation“. Denn das bessere Verständnis biochemischer Vorgänge im menschlichen Hirn, die zum geistigen Verfall und schließlich zur Auflösung der Persönlichkeit führen, ist ohne pharmakologisch relevante, ohne praktisch-therapeutische Konsequenz geblieben.

Seit 2003 wurde von US-Gesundheitsbehörden keine neue Substanz zur medikamentösen Alzheimer-Behandlung zugelassen. Unter den von Gravitz aufgelisteten zwölf Wirkstoffen, die sich bei US-Pharmariesen wie Eli Lilly and Company oder Pfizer derzeit in der klinischen Erprobung befinden, sind nur vier in der dritten und letzten, trotzdem von der Marktreife noch weit entfernten Phase.

Aus US-Laboren hat Gravitz zudem Stimmen eingefangen, die den Molltönen aus der deutschen Alzheimerforschung nur zu ähnlich klingen (JF 15/12). Kenne doch niemand, so gesteht Jeffrey Cummings (Cleveland Clinic/Las Vegas) den besten Punkt im Krankheitsverlauf, um den „üblichen Verdächtigen“ auszuschalten , das fehlerhaft gefaltete Peptid Beta-Amyloid, das sich in fatalen Verklumpungen (Plaques) zwischen den Neuronen des Hirns festsetzt.

Doch zum einen stellt das Beta-Amyloid eine „komplexe Biologie“ mit einem vielgleisigen Stoffwechsel dar, mit dem zu experimentieren „ausgesprochen schwierig“ sei, zum anderen, so Cummings, nähren die zahllosen Fehlschläge den Verdacht, daß Beta-Amyloid womöglich „kein günstiges Ziel“ sei, und hier Ressourcen für einen Ansatz verschwendet würden, der „vielleicht niemals Früchte trägt“. Trotzdem will die Mehrheit der internationalen Forschergemeinde sich nicht von der in zwanzigjähriger Anstrengung gewonnenen Überzeugung verabschieden, mit diesem fehlgefalteten Peptid die Hauptursache der Alzheimerdemenz entdeckt zu haben.

Wie Gravitz’ Beitrag, so stimmt auch der den Präventionsteil des Heftes eröffnende Artikel ihrer Kollegin Sarah DeWeerdt (Seattle) eher resignativ. Denn nur die letzten Freunde Griechenlands dürften entzückt sein, wenn eine US-Wissenschaftsjournalistin die Wiege abendländischer Kultur und das Geldgrab deutscher Steuerzahler als Lieferanten für Patentrezepte im Kampf gegen Alzheimer anpreist. Australische Neurologen, so DeWeerdt, sollen jedenfalls viel Bewegung mit anschließendem Verzehr von griechischem Bauernsalat plus Rotwein als probates Rezept empfehlen, um nachlassender Gedächtnisleistung abzuhelfen.

Auch aus der Datenflut epidemiologischer Studien, so referiert DeWeerdt pauschalierend einschlägige Untersuchungen, tauchen Profile von Lebensstilen auf, die das Alzheimerrisiko mindern. Und wieder ist es die Ernährung der „griechischen Landbevölkerung“, die drei unabhängig voneinander erstellte Studien aus New York, Chicago und Bordeaux rühmen, weil sie helfe, „geistig am längsten fit zu bleiben“. Der zufällig griechischstämmige Neurologe Nikolaos Scarmeas (Columbia University) befragte 1.880 New Yorker zu ihren Eßgewohnheiten und beobachtete sie über fünf Jahre lang. Wer sich unter denen überwiegend mediterran ernährte, sei einem bis zu vierzig Prozent geringeren Risiko ausgesetzt, an Alzheimer zu erkranken, als der Konsument von Schnellimbiß- und US-Hausmannskost.

Scarmeas’ sensationell anmutende Resultate hätten weltweit mehrere Teams angespornt, die in Doppelblindstudien überprüfen wollen, ob „Mittelmeerdiät“ wirklich zur Alzheimerprävention taugt. DeWeerdt, deren Recherchen zuerst 2011 in Nature erschienen, läßt immerhin erhebliche Zweifel an solchen kühnen Ideen durchblicken, wenn sie ihren Beitrag mit kritischen Einlassungen beschließt, denen zufolge Anti-Alzheimer-Effekte von Veränderungen des Lebensstils sich entweder „nicht eindeutig“ belegen lassen oder gar als „wohl eher begrenzt“ eingestuft werden.

Foto: Gesundes Essen für einen gesunden Geist: Bis zu vierzig Prozent geringeres Risiko, an Alzheimer zu erkranken?

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