© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Mühsamer Abstieg
Afghanistan: Bei der Bundeswehr laufen die Vorbereitungen für den Rückzug vom Hindukusch auf Hochtouren
Michael Martin

Thomas de Maizière bemüht gerne Bilder, um Herausforderungen zu beschreiben. Mitte März, als der CDU-Politiker wieder einmal zu Gast bei der deutschen Truppe in Afghanistan war, schilderte er dem Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung in spielerischer Art und Weise, wie er sich den Rückzug der Bundeswehr vorstellt: „Es ist wie bei einem Kind. Es ist schwieriger von einem Baum wieder runterzuklettern als raufzukommen.“

Nun ist der Bundesverteidigungsminister nicht als Dampfplauderer bekannt und daher nahm ihm niemand den Vergleich übel. Schließlich hat der Minister recht anschaulich geschildert, wie problematisch die Abwicklung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan ist. Seit mehr als zehn Jahren – so die berühmt-berüchtigten Worte des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) – verteidigt die Truppe Deutschlands Freiheit auch am Hindukusch. Afghanistan ist der größte und gefährlichste Einsatz, den die Bundeswehr bisher hatte. Er dauert bereits länger als der Erste und der Zweite Weltkrieg zusammen und kostete bislang 53 deutsche Soldaten das Leben. Die Staatengemeinschaft hat mittlerweile das Ende für 2014 festgesetzt. Dies birgt Gefahren.

Vor allem in der Heimat entsteht der Eindruck, der Einsatz würde einfach auslaufen, die Rückkehr der Soldaten fast vollzogen. Doch das Gegenteil ist der Fall, verdeutlichte der im Regionalkommando Nord zuständige Kommandeur, der deutsche Generalmajor Erich Pfeffer. Seine Aufgabe sei nicht der Abzug, sagt er dem Magazin Cicero. Seine Soldaten müßten weiter ihren Aufgaben nachgehen. Die Sicht, die sich in Deutschland breitmacht, behagt ihm offensichtlich nicht. Er kann nicht verstehen, daß Soldaten zu Hause gefragt werden, warum sie überhaupt noch nach Afghanistan gehen, wo da sowieso bald Schluß sei.

Der Verteidigungsminister warnte in der vergangenen Woche bei einem Truppenbesuch im afghanischen Kundus vor möglichen Problemen beim Rückzug: „Der Rücktransport des militärischen Materials ist ein komplizierter Prozeß, den man auf keinen Fall unterschätzen darf.“ Die Truppenstärke wurde seit Jahresbeginn bereits von einst bis zu 5.350 auf rund 4.800 Soldaten verringert. Der Abbau des Feldlagers in Feisabad – eines von drei großen Bundeswehr-Camps – hat begonnen. Bis Ende 2014 muß die Armee bis zu 1.700 Fahrzeuge von der Panzerhaubitze bis zum Mannschaftstransporter und 6.000 Container mit Ausrüstungsgegenständen abtransportieren.

Am Beispiel Feisabad zeigt sich die Schwierigkeit des Unterfangens. Rund 100 Logistiker werden im nächsten Monat beginnen, ihre Zelte und Betten, Duschcontainer und Toiletten abzubauen, Gewehre und Munition zu verstauen, Generatoren abzuklemmen – bei Temperaturen von 40 bis 50 Grad, inmitten von 2.000 Meter hohen Bergen. Um die rund 120 Fahrzeuge zurückzuverlegen, gibt es nur eine vernünftige Straße. „Ein Blick auf die Landkarte zeigt: Es gibt nicht so viele Ausgänge aus Afghanistan“, sagte de Maizière und ergänzt: „Problematisch ist vor allem, daß das im Osten an Afghanistan angrenzende Pakistan die Grenzübergänge seit Monaten geschlossen hält.“ Auslöser dafür war ein amerikanischer Luftangriff auf pakistanische Grenzposten, bei dem Ende November 24 pakistanische Soldaten getötet wurden.

Auch so gibt es genügend Probleme beim Rückzug aus dem Pulverfaß Afghanistan. „Jede einzelne Schraube“ werde man auflisten und schauen, ob sie mit heimkommt oder nicht. Kategorisieren heißt das im Bundeswehrdeutsch. Am Hindukusch nennen sie die Großinventur „aggressive housekeeping“ – wie bei jedem privaten Umzug wird bereits jetzt die Spreu vom Weizen getrennt. Ganz offensichtlich ist mit der Zeit allerlei Material an den Hindukusch transportiert worden, das bereits jetzt nicht mehr gebraucht wird. Die Versorgungsflüge von Deutschland nach Afghanistan gehen nicht mehr leer zurück, versichert man. Bisher ist nicht einmal klar, welche Transportwege zur Verfügung stehen. „Wir waren zuversichtlich, daß Pakistan wieder öffnet“, sagte der Minister vergangene Woche. „Im Moment bin ich nicht mehr so zuversichtlich, daß das schnell passiert. Von daher wird sehr viel durch die Luft oder durch den Norden erfolgen, das ist logistisch kompliziert, aber daran arbeiten wir.“ Immerhin habe sich die Sicherheitslage verbessert. Nach dem schlimmen Jahr 2010 mit vielen toten deutschen Soldaten sei die Zahl der Angriffe und Anschläge im vergangenen Jahr um 39 Prozent zurückgegangen. In den ersten Monaten dieses Jahres habe es einen weiteren Rückgang um 31 Prozent gegeben. Der Wehrbeauftragte des Bundestags warnt dennoch vor einer Überforderung der Soldaten. „Als Führungsnation in Nordafghanistan tragen wir Verantwortung bis zum letzten Tag, an dem dort ein Soldat stationiert ist, egal aus welchem Land“, sagt Hellmut Königshaus. „So lange müssen wir auch die Infrastruktur aufrechterhalten“, sagte der FDP-Politiker der Welt.

Es gibt nicht wenige in der Truppe, die sagen, daß das schwerste Stück Arbeit noch bevorstehe. Herunterkommen ist vermutlich doch leichter als hochklettern, würde de Maizière sagen.

Foto: Materialumschlag im Feldlager Kundus: Bis Ende 2014 müssen 1.700 Fahrzeuge und 6.000 Containerladungen zurück nach Deutschland

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