© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Der Kaufladen der Welt
Industrie: „Made in Germany“ bedeutet meist hergestellt vom Mittelstand / Weltmeister der Nischenproduktion, König der Automatisierung
Markus Brandstetter

Der 2011 verstorbene amerikanische Computer-Pionier und Apple-Gründer Steve Jobs kannte im Leben drei Leidenschaften: Funktionalität, Qualität und Design. Und weil das so war, importierte er Waschmaschine und Wäschetrockner für sein neues Haus aus Deutschland, und zwar von der Firma Miele. Das Thema war so wichtig für Jobs, daß er seinem Biographen anvertraute: „Mit den Miele-Sachen hatte ich in den letzten Jahren mehr Spaß als mit irgendeinem anderen High-Tech-Gerät.“

Und damit sind wir beim Thema: Wenn irgend jemand auf der Welt das Allerbeste sucht, dann führt ihn sein Weg nach Deutschland. Und fündig wird er dann nicht nur bei den 30 Großunternehmen, die im Deutschen Aktienindex Dax vertreten sind, sondern bei den Tausenden von Unternehmen, die den Mittelstand ausmachen. „Deutschland ist der Kaufladen der Welt“, hat der Ökonom Hans-Werner Sinn einmal treffend formuliert. In erster Linie bei den Industrieprodukten, aber auch die Hersteller von Konsumgütern brauchen sich vor niemandem zu verstecken.

Kein anderes Land kann eine solche Vielfalt in der Produktpalette bieten wie Deutschland. Die deutschen Unternehmen sind die Weltmeister der Nischenproduktion, die Könige der Automatisierung, die Vorreiter bei Industrierobotern und integrierten Fertigungsstraßen. Und all das spielt sich weitgehend im Verborgenen ab. Natürlich, BMW, Mercedes, BASF und Siemens kennt jeder, aber die Großunternehmen machen zusammen nur die Hälfte der deutschen Wirtschaftsproduktion aus.

Die andere Hälfte und das Gros der deutschen Exporte kommen von Unternehmen, von denen die meisten Menschen noch nie etwas gehört haben. Und weil sie so gut und gleichzeitig so unbekannt sind, hat der Wirtschaftsprofessor Hermann Simon diese Unternehmen „Hidden Champions“ („verborgene Meister“) genannt. Diese stillen Stars der deutschen Wirtschaft haben drei Kennzeichen: Sie mischen auf ihren Märkten weltweit ganz vorne mit, ihr Jahresumsatz liegt unter drei Milliarden Euro, und trotzdem sind sie der Öffentlichkeit kaum bekannt.

Die Bandbreite dieser Unternehmen ist erstaunlich. In Island etwa nennt man einen guten Mechaniker einen „Baader-Mann“. Das rührt daher, daß er vermutlich an einer Baader-Anlage ausgebildet wurde. Baader ist der führende Anbieter von Fischverarbeitungsanlagen und hat auf der Welt einen Marktanteil von 80 Prozent. Jeder, der schon einmal ein Fischstäbchen, einen Brathering oder einen Rollmops gegessen hat, kann davon ausgehen, daß der auf einer Baader-Ablage entgrätet und filetiert wurde. Fast jeder Mensch besitzt ein Handy oder einen Computer mit Flachbildschirm. Handys und Bildschirme werden kaum noch in Deutschland erzeugt, die in allen Bildschirmen enthaltenen Flüssigkristalle jedoch kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Firma Merck in Darmstadt. Ein Stau auf der Autobahn hat oft mit Bauarbeiten zu tun, und meist wird dann die alte Fahrbahndecke abgefräst. Dies geschieht auf der ganzen Welt mit den Maschinen der Firma Wirtgen aus dem kleinen Ort Windhagen in Rheinland-Pfalz.

Wer jetzt denkt, daß der Mittelstand nur Maschinenbau und Technologie kann, der irrt. Der Mittelstand kann und fertigt (fast) alles. Am Anfang einer Oper steht zuerst einmal nicht die Ouvertüre, sondern der geschlossene Vorhang. Erst wenn der aufgeht, fängt die Oper an. Damit der Vorhang sich aber auch wirklich vor jeder Aufführung hebt – was eine hochmoderne Maschinerie verlangt –, haben sich praktisch alle Opernbühnen und Theater auf der Welt für Vorhänge der Firma Gerriets aus Freiburg entschieden.

Manch einer trinkt nach der Oper gerne ein Glas Bier. Das wird mit Hopfen gebraut, und der kommt bei einem Drittel aller Biere von der Firma Barth aus Nürnberg, dem weltgrößten Anbieter von Hopfen-Produkten. Wer mit einer Achterbahn fährt, will zwei Dinge verbinden: prickelnden Nervenkitzel mit maximaler Sicherheit. Damit das Vergnügen nicht auf Kosten der Sicherheit geht, haben sich 500 Vergnügungsparks für das Ingenieurbüro Stengel in München entschieden, das alle großen Achterbahnen der Welt konstruiert hat. Weiter geht es mit Tieren und Skeletten. Das Lieblingsfutter der meisten Aquarienbesitzer kommt von der Firma Tetra aus Melle bei Osnabrück, die ausrollbaren Hundeleinen für fast alle Hunde produziert Flexi in Bargteheide, und Kunststoffskelette zu Lehrzwecken stammen in der Regel von 3B Scientific in Hamburg. Diese Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.

Die „Hidden Champions“ sind die Speerspitze des Mittelstandes, der Mittelstand wiederum ist der eigentliche Garant des deutschen Wohlstands. Ohne den Mittelstand läuft in Deutschland gar nichts. Kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) erschaffen 40 Prozent aller Umsätze in der Wirtschaft, beschäftigen 60 Prozent aller Arbeitenden und bilden 83 Prozent aller Lehrlinge aus. Und natürlich zahlen die Mittelständler auch die meisten Steuern von allen Unternehmen.

Die ganze Welt beneidet Deutschland um seinen Mittelstand, um das duale Ausbildungssystem und die „Hidden Champions“. Natürlich gibt es auch in Österreich, (Nord-)Italien, den Niederlanden, Großbritannien oder Skandinavien hervorragende Mittelständler. Aber dort sind sie weniger zahlreich, nicht so international aufgestellt und von der Bedeutung her zahlenmäßig mit den deutschen „Hidden Champions“ nicht zu vergleichen. Griechische Werkzeugmaschinen, irische Einspritzpumpen und spanische Industrieroboter sind anscheinend nirgendwo auf der Welt so wirklich der Brüller.

Und trotzdem muß der deutsche Mittelstand als gefährdet gelten. Die Probleme kommen gleich aus mehreren Richtungen. GE Capital (der Finanzierungsarm des amerikanischen Konzerns General Electrics) und die britische Warwick Business School haben in einer aktuellen Studie festgestellt, daß die größten Probleme für den deutschen Mittelstand weder Personal noch Eigenkapital, noch Finanzierung darstellen, sondern Bürokratie, die starren Arbeitsgesetze und die exorbitante Steuerlast für Personengesellschaften. Eine zweite Gefahr droht von der „Basar-Ökonomie“ (Hans-Werner Sinn). Das bedeutet, daß in Deutschland immer mehr Produkte aus weitgehend importierten Komponenten nur noch zusammengeschraubt werden, weil Lohn- und Energiekosten und Bürokratie dazu zwingen.

Dieses Thema betrifft Mittelständler nicht in dem Maße wie Großunternehmen, aber eine steigende Tendenz zur Verlagerung von Kapazitäten und Arbeitsplätzen ins Ausland ist auch hier zu verzeichnen, dies könnte sich künftig noch verstärken. Das dritte Problem stellt die von der Politik hausgemachte Euro-Krise dar. Ganz klar: Die niedrigen Zinsen, die der Euro den EU-Südstaaten brachte, haben dem deutschen Mittelstand jahrelang volle Auftragsbücher beschert. Aber die Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht.

Die sich nun abzeichnende Rezession der gesamten EU wird auch den Mittelstand in Mitleidenschaft ziehen. Das von Deutschland übernommene Haftungsrisiko für die sogenannte Euro-Rettung liegt aktuell bei bis zu 779 Milliarden Euro. Im Falle des Falles wird die Bürgschaft durch neue und höhere Steuern eingelöst werden müssen. Der Mittelstand als Motor der deutschen Wirtschaft wird den Großteil der Euro-Zeche bezahlen müssen. Dies und die völlig vermurkste Energiewende werden den Mittelständlern auf Jahrzehnte hinaus das Leben schwerer machen.

Der Mittelstand ist der sprichwörtliche Ast, auf dem wir alle sitzen. Vielleicht sollten die Politiker und die Teile der Gesellschaft, die vor lauter Haß auf Leistung, ehrliche Arbeit, Tradition und Nationalstaat nicht mehr geradeaus schauen können, sich einmal überlegen, daß auch sie auf diesem Ast sitzen.

 

Ist die Zukunft „Made in EU“?

Anfang dieses Jahres schreckten Medienberichte auf, wonach die EU-Kommission die Vergabe des „Made in Germany“-Siegels erschweren oder durch „Made in EU“ ersetzen wolle. Dies wurde von Brüssel dementiert: Geplant seien „einheitliche Regeln für Herkunftsbezeichnungen für Produkte, die aus Staaten außerhalb der EU in die Union eingeführt werden – nicht aber für in der EU hergestellte Waren, die exportiert werden“. Derzeit erfolgt die Markierung „Made in Germany“ in Eigenverantwortung des Herstellers. Ein Regularium in der Praxis ist Artikel 24 des europäischen Zollkodex (EWG-Verordnung 2913/92): „Eine Ware (…) ist Ursprungsware des Landes, in dem sie der letzten wesentlichen und wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen worden ist, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen worden ist und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt.“

Die IHK Stuttgart bietet einen Überblick zur Rechtslage „Made in Germany“:

www.stuttgart.ihk24.de

Foto: Mobiler Rechner mit Forscherin im OLED-Labor: Auch wenn PC-Monitore und Fernseher meist in Asien gefertigt werden – die in fast allen Bildschirmen enthaltenen Grundstoffe kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit von der deutschen Firma Merck. Das Herz der Flüssigkristall-Produktion und der Forschung ist am Stammsitz der Merck-Gruppe in Darmstadt angesiedelt.

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