© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Pankraz,
die Anführer und der Sommer der Rebellen

Der sogenannten „Occupy-Bewegung“ ist es zwar bisher nicht gelungen, irgendeine Bank zu besetzen, aber Partys hat sie schon so manche okkupiert. Kürzlich in Freiburg im Breisgau war es wieder einmal soweit. Zwei 15jährige Jungen, allein zu Haus, hatten einige Freunde via Facebook zu einer „gemütlichen Kuschelparty“ eingeladen, doch statt der erwarteten zwanzig Gäste erschienen 350 Typen, davon viele mit der scheußlich grinsenden Guy-Fawkes-Maske vor der Visage, und die wollten keineswegs kuscheln, sondern „einen Beitrag zum Sommer der Rebellion“ leisten.

Sie grölten herum, zerschlugen das Mobiliar der Gastgeber, und als diese die Polizei zu Hilfe riefen, kam es zu regelrechten Flur- und schließlich Straßenkämpfen. Steine und Flaschen flogen, Autos brannten, das Getümmel weitete sich im Nu auf das nahe gelegene Bahngelände aus, so daß der Zugverkehr nach Basel für eine halbe Stunde unterbrochen werden mußte. Verantwortliche für den kostspieligen Radau ließen sich den Nachrichtenagenturen zufolge nicht identifizieren, alles verlief spontan und ohne Anführer.

Immerhin, Pankraz erfuhr dadurch zum ersten Mal, daß wir heuer keinen regnerisch kühlen und auch keinen drückend heißen Sommer absolvieren, sondern einen „Sommer der Rebellen“ (summer of rebels). Und er erfuhr auch, daß das Generalthema dieses Rebellensommers 2012 lautet: „Wir wollen keine Anführer!“ (no commanders!) Alles in der Politik und in der Gesellschaft soll sich spontan entfalten wie jene Kuschelparty in Freiburg. Sollte sich bei sozialen Zusammenballungen welcher Art auch immer je ein Stichwortgeber oder gar richtiger Anführer zu erkennen geben, so sei er sofort niederzubügeln.

Es kommt also für die Occupy-Bewegung und verwandte Formationen, zum Beispiel die deutsche Piratenpartei, zur Zeit offenbar darauf an, das Leben ohne Anführer zu „üben“, gewisse Routinen von Kommunikation und tätiger Verwirklichung auszuprobieren, wo alles wie von selbst, „von unten“, in Bewegung gesetzt wird. „Schwarmintellgenz“ soll entstehen, wo sich die einzelnen Mitglieder nur noch an dem orientieren, was ihnen die „Pheromone“, die biologischen Botenstoffe, übermitteln: Geschlechtsreize etwa, Freßreize usw. Pankraz zögert nicht, solche Übungen und Absichten als ruchlosen Blödsinn zu bezeichnen.

Sicherlich, auch pheromon-gesteuerte Lebensverbände, Ameisenstaaten oder Sardellenschwärme, können – völlig anführerlos – zu höchsten Leistungen aufsteigen. Man betrachte zum Exempel den normalen Arbeitsalltag eines Volks der Blattschneiderameisen! Was man sieht, ist an Sorgfalt und Raffinesse jeder menschlichen Organisation ebenbürtig, übertrifft sie teilweise sogar noch. Faktisch jeden Tag kommen neue Forschungsergebnisse, die das bestätigen,

Lange Reihen von „Arbeitern“ – jede Ameise trägt ein Blattfragment – werden von „Soldaten“ geschützt, die höchste militärische Technik ausgebildet haben. Es gibt Sonderabteilungen auf strategisch optimal positionierten Beobachtungspunkten, welche das – ja nur in Streifen auf den Urwaldboden fallende – Sonnenlicht mittels besonders glatter, spiegelähnlicher Blätter reflektieren, um den Transportzügen ihren Weg zu weisen. Und so geht es weiter, es wimmelt geradezu von technischen Tricks und Einfällen.

Aber (und dieses „aber“ ist entscheidend) wir Menschen sind nun mal keine Ameisen oder Sardellen. Unsere Entscheidungen resultieren nicht aus dem Empfang von Botenstoffen, sondern aus Nachdenken und sprachlicher Verständigung. Die Differenzierung zwischen Arbeitern, Soldaten und Beleuchtungstechnikern verdankt sich nicht blindem Naturmechanismus, sondern ist das Resultat von Lernen, permanentem Erkennen und Sich-Neuorientieren, bewußter Weltaneignung und Weltveränderung.

Wer aber A sagt, muß auch B sagen. Ausdifferenzierung im Licht menschlicher Vernunft bedeutet in jedem Fall auch Hierarchisierung. Herausbildung vielfältiger Entscheidungs- und Herrschaftsniveaus; das ist ein Gesetz des Lebens, und jede lebendige Gattung folgt diesem Gesetz, von der Affenhorde bis zum Wolfsrudel, von der Strandgesellschaft der Seelöwen und Walrösser bis zum Ameisenstaat, wo es nur eine einzige Königin gibt, deren Bedürfnissen sich alle übrigen Stammesmitglieder total unterordnen, auch wenn es sie ihr eigenes Leben kostet.

Für die Menschen kann es immer nur darum gehen, die Bezirke von Herrschaft und Entscheidungskompetenz von grober Gewaltanwendung möglichst freizuhalten, sie bedachtsam einzuhegen und den personellen Nachschub für sie offen zu halten, also keinen allzu frechen Nepotismus zu dulden und großen Talenten und Begabungen nie die Türen zum Aufstieg zu verschließen. Das haben übrigens, im Unterschied zu den heutigen Occupy-Leuten, auch die klassischen Anarchisten des neunzehnten Jahrhunderst gewußt. Nicht jeder ist zum Anführer geboren, doch jeder geborene Anführer, auf welchem Gebiet auch immer, sollte seine Chance erhalten.

Hingegen die Anführer „abschaffen“ zu wollen und den Lauf der Dinge vollkommen dem Drang „von unten“ und den spontanen Bauchgefühlen beliebiger Schwarmmitglieder zu überlassen – das ist eine der schlimmsten Schnapsideen, die unsere vertrackte Gegenwart hervorgebracht hat. Und fast das Komischste daran ist, daß sich diejenigen, die dieser „Idee“ verfallen sind (siehe die deutsche Piratenpartei), das auch noch mit dem Namen der „Demokratie“ schmücken. Die Piraten haben sich damit bereits höchst lächerlich gemacht.

Es ist ja auch wahr: Nicht einmal Partys lassen sich in diesem Zeichen feiern, die beiläufigste Feierabendunterhaltung verwandelt sich in Gegröle und Steineschmeißen. Indes, vielleicht hat der Sommer der Rebellen 2012 doch sein Gutes; er hat Klarheit geschaffen über die Übung „Abschaffung der Anführer“. Es geht nicht. Die Bewertungsnote für die, die das Gegenteil behaupten, ist „Noch 4 bis 5 plus“.

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