© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Bildhafte Gefechtskunst
Im Zeitalter elektronischer Reproduzierbarkeit: Eine Ausstellung widmet sich der Macht der Bilder in bewaffneten Auseinandersetzungen seit 1990
Felix Dirsch

Die enge Verbindung des Bildes zur Macht ist alt, aber gleichwohl nicht veraltet. Bis ins 20. Jahrhundert hinein, unter christlichen Vorzeichen ebenso wie in den totalitären Propagandaschlachten des 20. Jahrhunderts, werden die Einflüsse des Imaginativen in politischen Kontexten immer wieder neu manifest. Wie sieht es aber diesbezüglich in der unmittelbaren Gegenwart aus? Die Ausstellung „Bild-gegen-Bild“ im Münchner Haus der Kunst beschäftigt sich mit der Relevanz der visuell-elektronischen Bilderverbreitung in den Kriegen und kriegsähnlichen Auseinandersetzungen seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes.

Der Golfkrieg von 1991 geht als „erster totaler elektronischer Krieg“ (Paul Virilio) in die Geschichte ein. Die Asymmetrie der kämpfenden Parteien wird auch auf der Ebene der High-Tech-Vermittlung deutlich: Die „sauberen“ Bilder (angesichts des Einsatzes von Präzisionswaffen durch die Alliierten) kontert das Regime des Irak mit den „schmutzigen“ der von den Angreifern Getöteten.

In den neunziger Jahren löst der Völkermord in Ruanda weltweites Entsetzen aus. Wie läßt sich ein derartiges Grauen angemessen darstellen? In einem abgedunkelten Raum werden ausgewählte Schicksale auf Tafeln präsentiert – die Bilder dazu fehlen, was wohl die Phantasie der Betrachter anregen soll.

Im gleichen Jahrzehnt bewegen grausame Szenen aus dem Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien die Weltöffentlichkeit. Besonders beeindruckend hierzu ist die Videoarbeit „The Sniper“ der jungen Bosnierin Adela Jušić. Auf einem Bildschirm erscheint ein roter Punkt, den die Künstlerin malt und der sukzessive größer wird. Währenddessen taucht im Hintergrund ein Soldat auf. Der Punkt erweist sich als eine Stelle an seinem Kopf – jene Stelle, die von der Kugel eines feindlichen Heckenschützen durchbohrt wird. Es handelt sich bei dem Opfer um den Vater der Künstlerin, der ums Leben kommt. So ist der kreative Akt auch einer, der hilft, mit Leid umzugehen.

Zu den Ikonen des elektronischen Zeitalters gehören jene Aufnahmen vom 11. September 2001, welche Zerstörungen dokumentieren, von denen es sogleich heißt, sie veränderten in vorher kaum vorstellbarer Weise die Weltgeschichte. Obwohl inzwischen längst Publikationen vorliegen, die solche überstürzten Deutungen als unhaltbar zurückweisen, besteht das Bemerkenswerte an „Nine Eleven“ neben der Tat selbst in der Art der Darbietung: In Echtzeit wird ein Kapitalverbrechen quasi als medienkompatibles Spektakel in alle Welt ausgestrahlt. Die Performanz dieses Ereignisses ist so vollkommen, daß jede spätere künstlerische Ausgestaltung zwangsläufig resignieren muß.

Wie geht der Künstler Hans-Peter Feldmann mit dieser Situation um? Er arbeitet überaus konventionell. An der Wand hängen Reproduktionen von Titelseiten internationaler Zeitungen, die über das Szenario ausführlich berichten. Durch den Verzicht auf multimediale Aufbereitung wird ein Kontrast zu den elektronischen Bildersequenzen, die der Zeitgenosse noch im Hinterkopf hat, hergestellt und eine erhöhte Einprägsamkeit erreicht.

Auch im „Krieg gegen den Terror“ werden Bilder als strategisch-entscheidende Hilfsmittel eingesetzt. Der hingerichtete Saddam Hussein wird zur Schau gestellt; vom getöteten Osama bin Laden verbietet der amtierende US-Präsident hingegen die Freigabe entsprechender Fotos. Was offiziell nicht vorliegt, wird inoffiziell produziert: Sogar gefälschte Totenbilder des Al-Qaida-Führers kommen in Umlauf. Anders als dieser wird der entstellte Leichnam des langjährigen libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi nach heftigen Kontroversen innerhalb der großen Medienanstalten publik gemacht.

Auch die Rolle von Facebook und Twitter vor allem bezüglich ihrer Mobilisierungs- und Suggestivwirkung im Rahmen der sogenannten Arabellion vom Frühjahr 2011 wird thematisiert. Die Bedeutsamkeit dieser Medien ist in ersten wissenschaftlichen Arbeiten stark umstritten. Die elektronischen sozialen Netzwerke ermöglichen aber grundlegend neue Bilderschlachten. Sind es früher Fachleute, die die Bilderversorgung sowohl im öffentlich-rechtlichen wie auch im privaten Fernsehen sicherstellen, auswählen und nicht selten manipulieren, so finden seit wenigen Jahren massive Veränderungen statt. Mittels Plattformen wie YouTube kann jeder relativ leicht Bilder hochladen, so daß es diesbezüglich kein Monopol politischer wie medialer Eliten mehr gibt.

Der Rundgang durch die Ausstellung eröffnet einerseits weiterführende Einblicke in die Problematik; andererseits läßt er manchen Besucher wohl ratlos zurück. Mehr noch als das bei anderen Ausstellungen zu facettenreichen Themenkomplexen der unmittelbaren Gegenwartskunst der Fall ist, ist der Interessierte auf die Beschreibungen des erhellenden Katalogs „Bild-gegen-Bild“ angewiesen. Die Wirklichkeit des modernen Kunstwerks erschließt sich nur mittels eines sekundären Kommentars, was sich an dieser Ausstellung besonders exemplifizieren läßt. Sie kann der kunstwissenschaftlichen Disziplin „Politische Ikonographie“, der kürzlich durch die Veröffentlichung eines zweibändigen Handbuches im C. H. Beck-Verlag ein wichtiges Grundlagenwerk zugewachsen ist, zusätzlichen Auftrieb geben.

Die Ausstellung ist bis zum 16. September im Münchner Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, täglich von 10 bis 20 Uhr, Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Der Katalog mit 200 Seiten und etwa 130 Abbildungen kostet im Museum 29,80 Euro. Telefon: 089 / 2 11 27 113

www.hausderkunst.de

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