© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/12 24. August 2012

Von wegen Friederisiko
Friedrich der Große hatte Mut und Entschlußkraft, die Lust am Risiko leitete ihn jedoch kaum
Manfred Backerra

War Friedrich ein „Friederisiko“, für den „die Lust am Risiko (…) ein prägender Charakterzug“ war, wie es die aktuelle Potsdamer Ausstellung behauptet? Da wird wohl einiges ausgeblendet: Sein Bemühen, Ziele friedlich zu erreichen, seine gefahrlosen ersten Züge, sein Bestreben, einen Krieg rasch zu beenden, das Kalkül seiner Schlachten.

Mit dem ersten Einmarsch in Schlesien versprach er Maria Theresia Beistand gegen die nach der weiblichen Erbfolge eintretenden Gebietsansprüche anderer Herrscher und seine Stimme zur Kaiserwahl ihres Gemahls, wenn sie die ihm erbrechtlich zustehenden Gebiete Schlesiens abträte – wie erwartet vergeblich. Er konnte stärkere Verbündete erwarten als Maria Theresia und ein Eingreifen Rußlands wegen des Todes der Zarin Anna ausschließen. Obwohl der ehrgeizige 29jährige gewiß dringend selbst eine Schlacht schlagen wollte, nachdem er vor dem Sieg in Mollwitz im Ersten Schlesischen Krieg 1741 unrühmlich das Schlachtfeld verlassen hatte, schloß er den Waffenstillstand von Klein-Schnellendorf, der ihm Niederschlesien und die Festung Neiße zusprach.

Als Bayern und Franzosen im Österreichischen Erbfolgekrieg die Gewinner zu werden drohten, griff er nur wieder ein, bis er sich im Separatfrieden von Breslau ganz Schlesien mit der Grafschaft Glatz sichern konnte. Weil dann Österreich mit Verbündeten ein für ihn bedrohliches Oberwasser bekam, begann er mit Bayern und Frankreich den Zweiten Schlesischen Krieg. Den beendete er, sobald der Status von Breslau sicher war, mit dem Frieden von Dresden 1745.

Vor dem Siebenjährigen Krieg versuchte Friedrich, Rußland, das sich mit Österreich gegen ihn wandte, durch ein Bündnis mit England zu bändigen, das Rußland per Handelsvertrag verbunden war. Da er dabei gegen Frankreichs Wunsch den Schutz Hannovers zusicherte, bewirkte er statt Kriegsverhinderung das Umkehren der bisherigen Bündnisse London-Wien und Paris-Berlin.

Als er im Juni 1756 sicher war, daß Österreich und Rußland angreifen wollten, ließ er Maria Theresia fragen, ob sie ihn 1756 oder 1757 angreifen wolle, worauf sie auswich. Auf eine schriftliche Anfrage kam erst nach fast zwei Monaten wieder Ausweichendes aus Wien. Am Tag darauf versicherte er, seine vorrückenden Truppen sofort zurückzuziehen, wenn Maria Theresia erkläre, nicht angreifen zu wollen. Die Antwort traf erst nach dem Einmarsch in Sachsen ein. Dies war wegen dessen schwacher Armee kein großes Risiko, bescherte aber reiche Kontributionen.

Nach den Siegen bei Roßbach und Leuthen bot er Frieden an, nach der Niederlage von Kunersdorf schlug er einen Friedenskongreß vor. Aber Maria Theresia, die Zarin Elisabeth und die Marquise de Pompadour blieben unerbittlich. Den Bayrischen Erbfolgekrieg 1778/79 verursachte der Sohn und Mitregent Maria Theresias, Kaiser Joseph II., der große Teile Bayerns annektieren wollte, was Preußens Macht geschwächt hätte. Friedrich versuchte diplomatisch, Joseph davon abzubringen – vergebens.

So marschierte er nach Kriegserklärung ebenfalls ohne Risiko in Böhmen ein. Aber als Maria Theresia ihm schrieb, sie werde ihren Sohn von einer großen Schlacht abhalten, auch er möge darauf verzichten, inszenierte er ein fiktives, gesichtswahrendes Quidproquo: Österreich erkannte das Nachfolgerecht des preußischen Königs in Ansbach und Bayreuth an, was völlig unbestritten war, und erhielt dafür das kleine bayrische Innviertel. Der Friede von Teschen am Geburtstag Maria Theresias bezeugt einen Friedenswillen, der oft auch heute zu wünschen wäre.

Bei allen Friedensschlüssen blieb Friedrich, der Rechtslage wie den Kräfteverhältnissen entsprechend, maßvoll und begütigend. Im Siebenjährigen Krieg mußte Friedrich oft riskant mit schwächeren Kräften angreifen, um nicht vom viel stärkeren Feind erdrückt zu werden. Doch durfte er die Risiken für kalkulierbarer halten, als sie nach den Zahlenverhältnissen erschienen. Aus seinen drei Schlachten in den beiden ersten Kriegen wußte er, daß er besser führte als seine Gegner, und daß seine Armee, selbst wenn viel schwächer (als Beispiel die Schlacht von Soor), dem Feind das Anderthalb bis Dreifache der eigenen Verluste zufügte. Tatsächlich hat Friedrich dann in vier von elf seiner weiteren Schlachten dem Feind das 1,6- bis 5,8fache seiner eigenen Verluste zugefügt, dreimal sogar mit nur der Hälfte oder einem Drittel von dessen Truppenstärke. Er verlor aber auch in den anderen Schlachten schlimmstenfalls (wie in Kunersdorf) nur wenig mehr als der Feind.

Schließlich glaubte er wohl, meist zutreffend, Fortune zu haben. Sie beruhte auf zwei Merkmalen seines „kriegerischen Genius“ (Clausewitz): dem coup d‘œil, dem raschen Blick für Chancen im Ungewissen, und dem Mut, sie zu nutzen, der Entschlossenheit.

In Friedrichs Briefen, seinen historischen und militärischen Schriften finden sich viele Abwägungen von Chancen und Risiken, aber keinerlei „Lust am Risiko“. Er war allerdings unbedingt entschlossen, ein Risiko kalkuliert einzugehen, wenn es ein höheres Ziel verlangte. Vor dem Ersten Schlesischen Krieg war dies, sich Ruhm zu erwerben, die Macht des Staates zu vergrößern, in den weiteren Kriegen war das Ziel, die gewonnene Macht unbedingt, auch unter Einsatz seiner persönlichen und Preußens staatlicher Existenz, zu verteidigen.

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