© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

Finanz- und Schuldenkrise
Rechthaberisches
Wolfgang Ockenfels

Die Finanzkrise ist die Folge eines permanenten Rechtsbruchs“, sagte jüngst Paul Kirchhof. An dieses jetzt schon klassische Zitat des Rechtsgelehrten wird man sich noch zu erinnern haben. Vor allem dann, wenn die Folgen der Finanzkrise für alle oder wenigstens „pro multis“ spürbar werden – und weitere Rechtsbrüche nach sich ziehen. Denn es scheint über politische Rechtsbrecher ein schicksalhaftes Verhängnis zu walten, daß sie nicht die Ursachen der Krisen, also die Rechtsbrüche, korrigieren, sondern diese noch verdoppeln, um die Krisen zu beherrschen.

Den Teufel durch Beelzebub auszutreiben ist so verfehlt wie der Versuch, Feuer durch Benzin zu löschen. Wie soll die rechtswidrige Staatsverschuldung durch weitere Verschuldung der europäischen Staaten finanziert werden? Wie läßt sich permanentes Wirtschaftswachstum durch immer mehr Staatsschulden herbeizaubern? Wie können die geschwächten Rettungsschwimmer die vielen Ertrinkenden – durch „bailout“ – retten, ohne selber abzusaufen? Diese Fragen beantworten sich von allein, und zwar durch die Ereignisse, die wir Realität nennen. Die werden jenen realitätsfernen Idealpolitikern auf den Leib rücken, wenn es für politische Kurskorrekturen bereits zu spät ist.

Aber wo bleibt bei den vielen Verstößen gegen das Grundgesetz und Europarecht die Rechtsstaat-lichkeit, ohne die unsere Demokratie ihr Fundament verliert? Immerhin durften wir bisher darauf vertrauen, daß diese Rechtsordnungen geeignet sind, die Lösungen realer Probleme in einer sinnvollen Weise „gerecht“ zu regulieren.

Die Einhaltung rechtlicher Regeln setzt freilich bei Politikern wie bei Bürgern Gesetzestreue voraus. Die ist das Ergebnis von reflektierter Erfahrung, Loyalität zum Gemeinwohl und strengem Gerechtigkeitssinn, also kühler Rationalität. Erfordernisse, die dem politischen Schamanentum, der magisch-ökonomischen Geldmacherei völlig entgegengesetzt sind. Die Alchimisten des 18. Jahrhunderts sind zurückgekehrt mit ihrer schwindelerregenden, durch Schwindel erzeugten Konstruktion imaginärer Werte. Zum Feudalabsolutismus gehörte auch die Attitüde der Fürsten, sich über die Gesetze zu stellen, ohne sich ihnen zu unterwerfen. Mit rechtsstaatlicher Demokratie hat dieses rechthaberische Verhalten nichts zu tun.

 

Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist Publizist und Professor für christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät Trier.

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