© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

„Hier ist alles wunderbar“
Berlin: Weil türkische Eltern unzufrieden mit der Zusammensetzung von Schulklassen sind, ordnen die Behörden eine „Durchmischung“ an
Ronald Gläser

Eltern und Lehrer einer Schule treffen eine stillschweigende Übereinkunft: Die wenigen deutschen Kinder werden in einer Klasse konzentriert, um sie von den Ausländerkindern zu trennen. Was dem Zweck dient, die Schule für deutsche Familien attraktiver zu machen, geht nach hinten los, als sich die Sache herumspricht. Türkische Eltern wittern rassistische Diskriminierung. Ihr Protest wird erhört. Folge: Die Schule macht die Regelung rückgängig. Die deutschen Eltern schweigen. Richtig zufrieden ist keiner.

Vorsicht. Hier kommt eine neue Geschichte aus einer Berliner Grundschule in einem „Problemviertel“. Es geht um die Lenau-Schule im Stadtteil Kreuzberg. Am Eingang hängt eine Anordnung der Direktorin Karola Klawuhn: „Aufgrund der Vorkommnisse an Berliner Grundschulen dürfen Kinder nur noch zu zweit auf die Toilette.“ Das „Vorkommnis“ war die brutale Vergewaltigung einer Achtjährigen durch einen Drogensüchtigen an einer Schule im Wedding im März. So geht es zu an Berlins Grundschulen.

Vor zwei Jahren berichtete der RBB über den schlechten Ruf der Lenau-Schule mit einem Ausländeranteil von 76 Prozent: „Jedes Jahr, wenn der Bezirk die Schulzuweisungen verschickt, ist das Geschrei groß.“ 2010 wollten daher vierzig Eltern ihr Kind lieber auf die nahe gelegene Charlotte-Salomon-Schule bringen. Dort sei die Ausländerquote „lediglich bei rund 30 Prozent, Kinder aus Hartz-IV-Familien gibt es auch nicht so viele“, so der RBB.

Damals hat Klawuhn nach Möglichkeiten gesucht, ihre Schule wieder attraktiver für Deutsche zu machen. Gar kein so abwegiges Vorhaben, denn die Lenau-Schule liegt in einer der aufsteigenden Ecken des Problembezirks. Der Rückzug der Deutschen ist gestoppt. Linksbürgerliche Grünwähler entdecken die Gründerzeit-Altbauten neu für sich und ihre Familien und verdrängen sukzessive die unteren Einkommensklassen. In Kreuzberg ist die Gentrifizierung voll im Gange.

Vor allem Türken und Araber, die seit langem in Kreuzberg wohnen, fühlen sich an den Rand gedrängt. Ihre Welt ist plötzlich auf den Kopf gestellt. Die neuen Schulklassen für deutsche Kinder sind für sie nur das Tüpfelchen auf dem i. Die Deutschen hingegen tun sich schwer damit, sich einzugestehen, daß sie ihre Kinder lieber in eine deutsche Klasse schicken. Eltern und Lehrer wirken, als hätten sie ein Schweigegelübde abgelegt. Eine Mutter um die Fünfzig auf Nachfrage: „Ich habe genug gesagt, jetzt nichts mehr.“ Ein Vater mit Dreitagebart: „Ich muß weg.“ Eine Mutter mit Kinder-Fahrradanhänger: „Hier ist alles wunderbar.“ Es klingt zynisch.

Von fünf Angestellten der Schule redet nur eine Klartext. „Das ist dumm gelaufen“, sagt die Lehrerin, die ungenannt bleiben will. Die Reaktion der türkischen Eltern nennt sie „total bescheuert“, denn nun sei zu befürchten, daß die deutschen Kinder auf andere Schulen kommen.Zunächst ist die Einrichtung deutscher Schulklassen nicht aufgefallen. Die Schulleitung und die deutschen Eltern hatten sich 2010 informell auf folgenden Trick geeinigt: Kindergartengruppen meldeten sich gemeinsam an. So war ein Schlupfloch gefunden, um die politisch gewollte „Vermischung“ zu umgehen.

Als sich vor zwei Wochen, unmittelbar nach Beginn des neuen Schuljahres, die Sache herumsprach, waren die ausländischen Eltern empört. Eine aufgebrachte Mutter schimpfte in einer TV-Sendung, deutsche Eltern sollten ihre Kinder nach Marzahn oder Lichtenberg bringen, wenn es ihnen in Kreuzberg nicht passe. Zunächst versuchte die Schulleitung die Eltern zu beschwichtigen. Doch die wandten sich an den Schulstadtrat Peter Beckers (SPD). Dieser stellte fest: Eine solche Aufteilung der Kinder sei nicht im Sinne des Bezirks.Die Kinder der (deutschen) Klasse A3 werden auf Ausländerklassen verteilt. In einer anderthalbstündigen Sitzung wurden die Eltern darüber informiert. Niemand hat dagegen protestiert. Im Gegenteil: Alle begrüßen offiziell die neue Linie.

Die türkischen Eltern sind dafür noch immer aufgebracht. Eine Mutter explodiert geradezu: „Ich hasse das. Mir steht das so bis hier“, sagt sie und zeigt mit der Hand aufs Kinn. Zurückgehen wolle sie in die Türkei, weil die „Blicke der DH’s“ sie ärgern. „DH“, das heißt „deutscher Hintergrund“. Das Gegenteil ist „NDH“, also nichtdeutscher Hintergrund. Warum sie sich über die Blicke der DH’s ärgert und dennoch ihre Tochter in einer Klasse mit deutschen Kindern sehen will, bleibt ihr Geheimnis. Die Türken fühlen sich diskriminiert. Auch ein weiterer türkischer Vater, der mit seinem Geländewagen zwei seiner drei Kinder abholt, findet: „Wenn die Kinder zusammenleben sollen, dann müssen sie auch in eine Klasse gehen.“ Nur eine kroatische Mutter spricht aus, was von den deutschen Eltern niemand zu sagen wagt: „Es gibt ein Problem mit den Moslems. Weil wir Katholiken sind, gehen die auf Abstand.“ Ihr älterer Sohn geht in die dritte Klasse, in der kein deutsches Kind ist. Die Frau wünscht sich, er könnte in eine deutsche Klasse wechseln, „damit er sich gut in Deutschland integriert“. Stattdessen werde er nun diskriminiert. „Als er mal ein Schinkenbrot mithatte, sagten die anderen: ‘Du bist ein Schwein, weil du Schweinefleisch ißt.’“

Klaus Wowereit hat in einem Anflug von Populismus einmal gesagt, er würde seine Kinder nicht auf eine Kreuzberger Schule schicken. Es spricht einiges
dafür, daß die deutschen Eltern ihre Kinder klammheimlich an anderen Schulen
anmelden. Spätestens zum nächsten Schuljahr.

Foto: Berliner Lenau-Schule: Die deutschen Schüler werden jetzt gezielt in Ausländerklassen geschickt

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