© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Unbelehrbar: Nach den Ausschreitungen in Amiens ließ Le Monde von Esther Benbassa, Abgeordnete der Grünen im Senat der Republik, einen Kommentar abfassen, der als einzige Lösung eine „wirklich linke Politik“ vorschlug, in deren Zentrum: die Ursachenbekämpfung durch Errichtung eines Ministeriums gegen Ungleichheit und Diskriminierung!

Im Zusammenhang des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs ist es wieder zum Streit über den Strafvollzug gekommen. Das hat vor allem mit den exorbitanten Kosten (51 Milliarden US-Dollar pro Jahr) für die riesige Zahl von Häftlingen zu tun. Obwohl der Anteil der Vereinigten Staaten an der Weltbevölkerung nur fünf Prozent beträgt, wird auf ihrem Boden die Hälfte aller Gefangenen festgehalten. Deren Menge wuchs seit Beginn der siebziger Jahre auf das Siebenfache an und beträgt heute mehr als zwei Millionen Personen. Um die Probleme in den Griff zu bekommen, wird neben der Freilassung von – nicht gewalttätigen – Straftätern vor allem die weitergehende Technisierung der Überwachung und die Ersetzung von Wachleuten durch scharfe Hunde diskutiert. Erste Erfahrungen zeigen, daß die auf Aggressivität gezüchteten Tiere selbst hartgesottene Kriminelle einschüchtern.

Reorientation, antik: „Befiehl ihnen, Leibröcke unter dem Kleide zu tragen und hohe Schuhe an den Füßen. Und Kitharaspiel, Gesang und Handeltreiben sollen sie ihre Kinder lehren. Du wirst sehen, o König, wie bald sie aus Männern zu Weibern werden, so daß du nie mehr ihren Abfall zu befürchten hast.“ (Herodot I, 155)

Es scheint keine Ecke der weltanschaulichen Rüstkammern zu geben, in die nicht irgendwann ein zweiter Blick geworfen wird. Das gilt zum Beispiel für den „Turanismus“, eine jener Panideologien, die ihre Hochzeit in den Jahrzehnten des Zwischenkriegs hatten. Da gab es zwar kaum noch Panslawisten, aber neben Paneuropäern, Panamerikanern und Panturken auch Panturanier, die eine Zusammenfassung all jener Völker betrieben, die ihre Herkunft auf die Hunnen und deren Großreichsbildung unter Attila zurückführten. Schon damals fand diese Vorstellung eine gewisse Resonanz in Ungarn, das sich immerhin auf das Erbe des asiatischen Reitervolks der Magyaren berufen konnte und seine militärische Niederlage auch auf solche Weise zu kompensieren suchte. Wer nun annimmt, daß eine so bizarre Vorstellung nach der Katastrophe von 1945 und der Herrschaft des Kommunismus kaum noch Anknüpfungspunkte findet, sieht sich korrigiert durch das Kurultaj, das „Fest der Hunnen“, das zwischen dem 10. und dem 12. August in der Puszta südlich von Budapest stattfand, nachdem es letztes Jahr in Kasachstan durchgeführt worden war. Es sollen mehr als 80.000 Ungarn, Türken, Usbeken, Turkmenen, Jakuten, Uiguren und Kasachen teilgenommen und sich mit historischer Kostümschau, Reiterspielen und Wettkämpfen im Bogenschießen unterhalten haben. Politische Sympathie fand der Turanismus in Ungarn historisch gesehen bei den faschistischen Pfeilkreuzlern, heute in den Reihen der äußersten Rechten. Die gemäßigte, in Gestalt der Regierungspartei Fidesz, möchte natürlich lieber auf das abendländisch-christliche Erbe Bezug nehmen, aber Ministerpräsident Orbán meint doch, daß die Demokratie für seine Landsleute keine so selbstverständliche Staatsform wie für die auf friedlichen Ausgleich setzenden germanischen Nachbarn ist, handele es sich bei den Ungarn doch bekanntermaßen um ein „halb-asiatisches Volk“.

Eines kann man an der Begeisterung, mit der deutsche Linke aller Schattierungen – von Helmut Schmidt bis Joschka Fischer – der eigenen Nation die Schulden anderer auflasten möchten, ablesen: daß wir und nur wir eine „richtige“ (Mohler dixit) Linke haben. Das heißt eine, die das ganze Gerede von Universalismus und Menschheitsbruderschaft und allgemeiner Gleichheit tatsächlich glaubt, während die Bruderparteien im Ausland wenigstens soweit patriotisch eingefärbt sind, daß immer zuerst die eigenen Leute kommen und dann erst die anderen – wenn überhaupt.

Bildungsbericht in loser Folge XXVIII: Die Vorstellung, daß es unter heutigen Bedingungen leichter ist, einen Ausbildungsvertrag zu bekommen, als in der jüngeren Vergangenheit, trifft zu. Allerdings klagen die einstellungsbereiten Firmen immer häufiger über fehlende „Fachkompetenz“ der Bewerber. Was sich hinter dem modischen Begriff verbirgt? Ganz einfach: „… blieben vor fünf Jahren noch 10 von 20 Rechenaufgaben ungelöst, so sind es mittlerweile 15 oder mehr“, so der Sprecher eines großen hessischen Unternehmens.

Eins doch zum „Manifest“ des „Berliner Kreises“: Man kann Leuten nicht trauen, die sich dem Selbsterfahrungsdeutsch soweit genähert haben, daß sie die Artikel vor den Substantiven weglassen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 14. September in der JF-Ausgabe 38/12.

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