© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/12 31. August 2012

Über die Einsamkeit der Konservativen in der Union
Muttis Ödnis
Konrad Adam

Nun hat es der Berliner Kreis, ein lockerer Zusammenschluß von Leuten, die glaubten, das konservative Profil der CDU schärfen zu müssen, doch noch geschafft, in die Öffentlichkeit vorzudringen. Unter Umständen allerdings, die es den Spöttern leichtgemacht haben, weil das konservative Manifest, das den unbestimmten Begriff mit Inhalt füllen sollte, alles andere als inhaltsschwer daherkam.

Doch was war anderes von einer Formation zu erwarten, die ausgerechnet einen Mann wie Stefan Mappus, der nach seinem Abschied aus dem Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten nur noch durch Skandale und Peinlichkeiten von sich reden macht, zu einem ihrer Lautsprecher erkoren hatte?

Unter der Regie von Christean Wagner, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im Hessischen Landtag, gehörten der Freiherr von und zu Guttenberg, der ehemalige Wissenschaftsminister Thomas Goppel und eben auch Mappus zu den bekannteren Parteimitgliedern, die sich in diesem Kreis gern hören oder sehen ließen.

Von den drei Wurzeln der christlich-demokratischen Allerweltspartei, den sozialen, den liberalen und den konservativen, sahen sie die letzteren vernachlässigt, ja zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft; das wollten sie ändern. Kurz vor der Wahl, die ihn selbst das Amt und seine Partei die Mehrheit im Lande kosten sollte, bekannte sich Mappus in Berlin zu seiner Überzeugung, daß sich mit konservativen Themen Wahlen gewinnen ließen; das werde er im Herbst beweisen.

Daraus ist nichts geworden, die Wahl ging für die CDU verloren, und die schwarz-gelbe wurde von einer grün-roten Koalitionsregierung abgelöst. Das ist nichts Ungewöhnliches und trifft die Union um so weniger, als die Verluste vor allem auf das klägliche Abschneiden ihres liberalen Koalitionspartners zurückzuführen waren, die noch viel tiefer stürzte als die CDU. Ungewöhnlich ist nur das Erbe, das Stefan Mappus seinem Land und seiner Partei hinterlassen hat. Je mehr über die abenteuerlichen Umstände bekannt wird, unter denen er ein milliardenschweres Aktienpaket des Energieversorgers EnBW von den Franzosen zurückkaufte, desto aufdringlicher stellt sich die Frage, wie es ein Mann von diesem Zuschnitt bis in die Spitze der Partei, der Fraktion und der Landesregierung schaffen konnte.

Es geht nicht nur um Juristisches, um Untreue und Begünstigung im Amt, sondern um den Stil, in dem ein konservativ genannter Berufspolitiker mit der Verfassung umsprang, den Landtag überging, sein Kabinett brüskierte und einen Minister unter Druck setzte, um einem Bankier zu Diensten zu sein. Es ist dies Nachspiel, das die Partei in Atem hält und sie viel länger beschäftigen dürfte als die verlorene Landtagswahl.

Konservative haben es schwer in einer Zeit, die auf Veränderung setzt und dem Fortschritt huldigt. Und nirgends schwerer als in Deutschland, wo man nur „konservativ“ mit „rechts“ und „rechts“ mit „faschistisch“ gleichsetzen muß, um einen, der sich so nennt oder nennen läßt, im Handumdrehen zu erledigen.

Es werden solche Erfahrungen gewesen sein, die Friedrich Merz dazu bestimmten, das fragwürdige Attribut namens seiner Partei, deren Fraktionsvorsitzender er damals war, demonstrativ zurückzuweisen. Als konservativ eingestuft zu werden, empfand er als abträglich; und darin, zumindest darin war er sich mit seinen politischen Gegnern einig. Auch ohne nach Inhalten und Zielen zu fragen, gilt der Begriff als ehrenrührig, weshalb konservative Positionen, wenn denn überhaupt, im Nachkriegsdeutschland allenfalls halbherzige Verteidiger gefunden haben. Wenn sie sich dann auch noch mit Aushängeschildern wie Stefan Mappus schmücken, haben sie es noch einmal schwerer.

Solange sie politisches Gewicht besaßen, waren die Konservativen stolz darauf, sich nicht an Visionen zu orientieren, sondern an der Wirklichkeit: Realismus als Leitschnur, Pragmatismus als Tugend, das war auch schon ihr einziges Programm. Tatsächlich dauerte es dreißig Jahre, bis die CDU, die unter Adenauer ja noch als konservative Partei wahrgenommen werden konnte, dazu bereit war, sich ein Grundsatzprogramm zu geben. Wo ein Bekenntnis unumgänglich schien, schwor man in Deutschland auf eine Art Bindestrich-Konservatismus.

Bismarck sprach vom „conservativen Fortschritt“, Thomas Mann von einem nicht näher umrissenen „Zukunfts-Konservatismus“: mehr oder weniger paradoxe Kompromißformeln, die von Franz Josef Strauß mit seiner forschen Behauptung, konservativ zu sein heiße, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren, noch einmal überboten worden sind. John Stuart Mill, der intellektuelle Wortführer der englischen Liberalen, hatte solche Widersprüche im Auge, als er die Tories die dümmste von allen Parteien nannte: sie hätten Argumente für alles und gegen alles, so daß man nie wüßte, wohin die Reise mit ihnen gehen würde.

Lässigkeit im Grundsätzlichen wird man den Konservativen nachsehen, vielleicht sogar als Tugend anrechnen können, soweit sie empfänglich macht für die Forderungen des Tages; den hemdsärmeligen Umgang mit der Verfassung, wie Stefan Mappus ihn vorgeführt hat, aber nicht. Enoch Powell, der große englische Konservative, hat den wahren Tory als einen Mann beschrieben, der glaubt, daß die Institutionen weiser sind als diejenigen, die sich ihrer bedienen – und damit wahrscheinlich den Kern dessen getroffen, was man als konservatives Weltbild bezeichnen könnte, wenn es so etwas denn gäbe.

Nichts hat das Ansehen Helmut Kohls stärker beschädigt als die Hartnäckigkeit, mit der er die Interessen der Partei höher stellte als das Verfassungsgebot, über die Herkunft von Zuwendungen Auskunft zu geben. Das Mißtrauen, das Angela Merkel immer dann entgegenschlägt, wenn sie den Sachzwang bemüht, um den Bundestag vor vollendete Tatsachen zu stellen und das Verfassungsgericht zu düpieren, stammt aus derselben Quelle. Was sie als Kanzlerin unter Berufung auf die Eilbedürftigkeit einer Sache zu unterlaufen sucht, ist ja nicht weniger als die Gewaltenteilung, die effektivste von allen Schutzvorkehrungen gegen die Arroganz der Macht.

Auf europäischer Bühne wiederholt sich das Schauspiel in größerem und gefährlicherem Maßstab. Unbeschwert durch nationale Traditionen, ist Brüssel der ideale Platz, um mit den umständlichen Gewohnheiten und antiquierten Regeln der Verfassung kurzen Prozeß zu machen. Als faktische Regierung beruft sich die Kommission auf die Logik der Märkte, um alle Mitgliedstaaten an die kurze Leine zu nehmen und einem einheitlichen Regiment zu unterwerfen. Wo Sachzwänge herrschen, haben die checks and balances der Verfassung, die dem ungeteilten Machtgebrauch im Wege stehen, ausgedient.

Das weiß und schätzt nicht nur Merkel. Der italienische Ministerpräsident Mario Monti hat diese Logik nur zu Ende gedacht, als er mit der Nüchternheit des Fachmanns verlangte, das Recht der Parlamente zu begrenzen, um der Exekutive den schnellen Durchgriff zu erleichtern. Der Fachmann, der die Mechanismen kennt und die Zusammenhänge durchschaut, kann auf das Volk und seine Vertreter verzichten, da er seine Legitimation nicht aus der Zustimmung der Bürger bezieht, sondern aus seinem Anspruch auf überlegenen Sachverstand. Man muß kein Nationalist, bloß Demokrat aus Überzeugung sein, um sich vor solchen Aussichten zu fürchten. Denn Montis Anregung dürfte die Machtverteilung, die sich aus dem immer engeren Zusammenwachsen der europäischen Staaten irgendwann ergeben muß, wesentlich realistischer beschreiben als die schönen Wachträume der Berufseuropäer.

Was wäre denn von einem Europäischen Parlament zu erwarten, das die Kommission, wie Heinrich August Winkler neulich schrieb, „ebenso effektiv“ kontrolliert wie ein nationales Parlament die gewählte Regierung? Wahrscheinlich nicht viel mehr als vom Deutschen Bundestag, der sich beeilte, das Privileg der effektiven Haushaltskontrolle an irgendwelche Sechser- oder Neunerausschüsse loszuwerden, und vom Verfassungsgericht daran erinnert werden mußte, daß es so nicht geht.

Was ist von Abgeordneten zu halten, die bereitwillig über einen Vertragstext debattieren und abstimmen, den sie, wenn überhaupt, nur unzureichend kennen, weil er nur Stunden zuvor in einer der berüchtigten Nachtsitzungen abgeändert worden war? Mochte sich die Eile, mit der die Regierung das Parlament unter Druck zu setzen liebt, im Falle des temporären Euro-Rettungsschirms EFSF noch begründen lassen, so lief sie beim dauerhaften Rettungsschirm ESM, über den monatelang beraten und verhandelt worden war, auf eine Mißachtung, ja eine Nötigung des Parlaments hinaus. Erst das Gericht hat sich der faktischen Erpressung widersetzt und auf jener sorgfältigen Prüfung bestanden, die laut Verfassung Sache des Bundestags gewesen wäre. Wenn es auf diesem Wege weitergeht, könnte das Vereinigte Europa demnächst vor einer peinlichen Alternative stehen. Sie sähe etwa so aus: Entweder halten die reichen Länder des Nordens an ihrem Projekt, dem Fiskalpakt fest, der die Südstaaten einer strikten Haushaltskontrolle durch parlamentarisch unverantwortliche Gremien wie die Europäische Zentralbank, den Internationalen Währungsfonds oder den ESM unterwirft. Dann würden ganze Völker wie heute schon die Griechen unter Kuratel gestellt, politisch also entmündigt werden.

Oder die Nehmerländer setzen sich durch und bilden, begleitet von Spar-appellen und Solidaritätsparolen, die Gemeinschaft zur Schuldenunion um. Dann würde es im Europa der Zukunft so ähnlich zugehen wie im föderal verfaßten Deutschland, wo alle Versuche, die ärmeren Bundesländer auf eine solide Haushaltsführung zu verpflichten, daran scheitern, daß diese Länder in der Mehrheit sind und sich darauf verlassen können, daß ihre Schulden von anderen, den Geberländern, bezahlt werden.

Vor diesem Hintergrund könnte ein aufgeklärter Konservatismus, der die Weisheit der Institutionen gegen die Willkür, die Fahrlässigkeit oder die Dummheit ihrer Benutzer verteidigt, eine Chance erhalten. Zumindest dann, wenn man ihn ähnlich definiert wie der Engländer Michael Oakeshott, der als konservativ eine Haltung umreißt, die das Vertraute dem Unbekannten vorzieht, das Erprobte dem Risiko, das Gegebene dem Verborgenen, das Nächstliegende dem Entfernten, das Wirkliche dem Möglichen, das Überschaubare dem Unbegrenzten, das Brauchbare dem Vollkommenen „und die Fröhlichkeit dem utopischen Glück“.

Im Volk scheinen diese Vorstellungen weiter verbreitet zu sein und größere Sympathie zu genießen als in der CDU, die sich von einem Hühnerhof vor allem dadurch unterscheidet, daß es kein Gockel, sondern eine Kampfhenne ist, die hier den Ton angibt. Mehr als der Schlachtruf, mit dem Heinrich Manns Untertan in den Wahlkampf zieht – „Einziges Programm: der Kaiser!“ – ist von ihr nicht zu erwarten. Sie träumt von einer Union, die alle Macht an der Spitze konzentriert, weit entfernt vom Volk und seinen gewählten Vertretern. Deswegen weiß sie mit konservativen Ideen nichts mehr anzufangen.

 

Dr. Konrad Adam, Jahrgang 1942, Publizist, war Feuilletonredakteur der FAZ und bis 2007 Chefkorrespondent der Welt. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den Reformpädagogen Hartmut von Hentig („Entzauberter Ma-gier“, JF 45/11).

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