© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

„Viele ahnen nicht, was vor sich geht“
Der Denkmalpflege-Profi Konrad Fischer ist bekannt für seine unorthodoxen Ansichten: Er kritisiert den Klüngel zwischen Ämtern und Politik, warnt vor dem staatlichen Denkmalschutz und offenbart die Machenschaften der Sanierungsbranche.
Moritz Schwarz

Herr Fischer, was alt und schön ist, ist auch denkmalgeschützt – korrekt?

Fischer: Irrtum, viele Gebäude, an denen der Spaziergänger vorübergeht und sich sagt: „Oh, was für ein schönes altes Haus!“ sind nicht denkmalgeschützt und könnten ohne weiteres abgerissen werden.

Warum das?

Fischer: Ein Gebäude muß bestimmten Kriterien entsprechen, muß etwa eine besondere kulturhistorische Bedeutung haben, dann schafft es – vielleicht – den Sprung auf die Liste geschützter Baudenkmäler. Viele Bauten der Jahrhundertwende etwa, die den Bürgern wegen ihrer Schnörkel gemeinhin sehr gut gefallen, wurden lange nicht als schützenswert betrachtet. Motto: „Das ist ja nur Neo-Stil, das ist nichts wert!“ Nun, Denkmalpflege ist eben auch eine Frage des Zeitgeists.

Folglich könnte das historische Antlitz Deutschlands nach Gesetzeslage ungehindert weitgehend verschwinden, wenn es nur genug Investoren gäbe, die die historischen Altbauten zum Abriß aufkauften?

Fischer: Theoretisch ja, Denkmalschutz ist keineswegs überall dort gegeben, wo er vom Bürger oft erwartet wird – darüber sind sich viele nicht im klaren. Aber selbst wenn ein Objekt unter Denkmalschutz steht, ist es nicht automatisch wirklich geschützt.

Wieso das?

Fischer: Auch das machen sich viele Bürger nicht klar: Das Denkmalamt – also die Denkmalfachbehörde, die über den Denkmalschutz wacht – hat baurechtlich gar nichts zu sagen! Tatsächlich entschieden wird über einen Abriß oder Umbau von speziellen Baubehörden, der sogenannten Unteren bzw. Obersten Denkmalschutzbehörde, in der zudem oft genug keine ausgebildeten Denkmalschützer sitzen, sondern Verwaltungspersonal. Als Volontär am bayerischen Denkmalamt habe ich damals eine Dokumentation über die Denkmalabbrüche vergangener Jahre erstellt. Alle waren sie verwaltungstechnisch gleich abgelaufen: Das Denkmalamt stand mit seinen Einwänden allein – die baurechtlich zuständige Behörde im Kultusministerium hat dennoch grünes Licht gegeben.

Wäre eine starkes Denkmalamt, das alle Befugnisse vereint, nicht besser?

Fischer: Besser für den Denkmalschutz, aber nicht für die Politik. Ich denke, man hat das bewußt entkoppelt, um sich den politischen Einfluß offenzuhalten. Denkmalpflege in Deutschland soll gezielt „Denkmalpflege light“ sein.

Sprich, der Denkmalschutz gilt für Otto Normalverbraucher – nicht aber für den Spezi vom Bürgermeister?

Fischer: Oder für die Kommune, das Land, den Bund, für einflußreiche Investoren und Unternehmen. Als Bauleiter im Kloster Banz, einem Bildungszentrum der Hanns-Seidel-Stiftung, konnte ich selbst beobachten, wie der Bauherr – der Chef der Stiftung – mit dem Leiter der Denkmalbehörde quasi Arm in Arm über die Baustelle ging und diesem sagte: Das muß weg, diese Mauer muß fallen etc. – während der andere nur allfällig nickte. Wer Macht und Einfluß hat, der sorgt also dafür, daß der Denkmalschutz an seine Bedürfnisse sozusagen „perfekt angepaßt“ wird.

Allerdings haben die Bundesländer doch  unterschiedliche Denkmalschutzgesetze.

Fischer: Ja, dieses Prinzip finden Sie aber in allen. Und bei öffentlichen Baudenkmälern kann auch mal fast nach Belieben abgebrochen oder ohne Rücksicht auf Verluste umgebaut werden. Glauben Sie etwa, ein Normalbürger hätte zum Beispiel je die Genehmigung bekommen, dem Reichstag eine moderne Kuppel aufzusetzen? Oder ihm wäre je das erlaubt worden, was künftig für die Berliner Museumsinsel an modernen Anbauten geplant ist oder was am Dresdner Armeemuseum passierte? Wenn Politik oder potenten Investoren ein Baudenkmal im Wege ist, dann sind die Denkmalschützer in aller Regel nur Hofnarren, die mal rasseln dürfen – abgerissen oder kraß umgebaut wird trotzdem. Nur gut also, daß die Mehrheit der historischen Baudenkmäler nicht in öffentlichem, sondern in privatem Besitz ist.

Inwiefern?

Fischer: Die meisten Leute denken beim Stichwort Denkmalschutz an große Bauten wie Burgen, Schlösser, Kirchen, Klöster, vergessen aber – mal abgesehen davon, daß auch viele Burgen und Schlösser in privater Hand sind –, daß die Mehrheit der historischen Baudenkmale aus einfachen, privaten Objekten besteht, wie Wohnhäusern, Scheunen etc.

Also haben es doch die Bürger in der Hand, was von unserem baulichen Erbe bleibt?

Fischer: Ja, und das ist auch deshalb gut so, weil zur Selbstermächtigung der Politik in Denkmalfragen noch das Problem hinzukommt, daß bei den Objekten in staatlicher Hand mitunter zuviel Geld für den Denkmalschutz vorhanden ist.

Zuviel Geld?

Fischer: Will etwa eine staatliche Bauverwaltung den Brandschutz verbessern, wird auch mal ohne viel Federlesen die historische Decke herausgerissen und einfach durchbetoniert. Viele Bürger ahnen gar nicht, was da teilweise vor sich geht. Man kann ein Baudenkmal nämlich auch zu Tode sanieren.

In der Tat kaum vorstellbar, nach allem was man sonst über die Geldnot im Denkmalschutz liest.

Fischer: Sie müssen sich vergegenwärtigen, wie so ein Baudenkmal entsteht: Über die Jahrhunderte wird immer wieder umgebaut – so legt sich Schicht über Schicht. Dann aber kommt die Gegenwart und oftmals der Ausbruch des Geldvulkans: Dann wird alles weggerissen, was die Jahrhunderte darüber gelegt haben, nur um zum Beispiel an irgendeine Originalgestaltung aus der Gotik zu kommen. So werden mal eben en passant fünfhundert Jahre Bau- und Fassungsgeschichte entsorgt und das, was zum Vorschein kommt, ist oft nur Fragment und wird frech vom Restaurator aus der Phantasie ergänzt.

Ist es so ein altes Element denn nicht wert, wieder sichtbar zu sein?

Fischer: Sie müssen sich die Motivlage klarmachen: Ein Bauherr läßt sich eben nur zu gerne von einem herausgeputzten Denkmal verführen: „Seht her, wir haben hier etwas ganz Altes zu bieten!“ Also weg mit dem Rest! Daß aber das Ganze – und nicht nur sein ältester Teil – das Denkmal ist, dieser Umstand bleibt dabei auf der Strecke. Und wenn man bedenkt, daß vergangene Jahrhunderte die alte Fassung ja nicht aus Ignoranz überbaut und übermalt haben, sondern ganz bewußt, dann kann man diese Epochen auch nicht als Irrtum bewerten, den wir jetzt durch das Wiedersichtbarmachen des ursprünglichen Zustandes korrigieren. Vielmehr handelt es sich bei dieser Art von Denkmalpflege genauso um eine zeitgeistige Marotte. Was auch daran deutlich wird, daß wir den Ursprungszustand meist so wiederherstellen, wie wir ihn uns vorstellen, nicht wie er war: Lange etwa haben wir die Antike und das Mittelalter für „steinsichtig“ gehalten. Sprich, weil von dem, was wir seit dem 19. Jahrhundert ausgegraben haben, die Farbe abgeblättert war, wurde lange alles Alte bis auf den Stein mit Säure abgebeizt. Tatsächlich aber waren die Objekte zu ihrer Zeit meist bunt bemalt. Statt also das Denkmal so zu erhalten, wie es ist, richten wir es so her, wie wir meinen, daß es sein sollte. Deshalb gilt auch nicht umsonst: Armut ist der beste Denkmalspfleger.

Eine Devise, die der inzwischen verstorbene Gründer der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Gottfried Kiesow, in einem Gespräch mit dieser Zeitung vehement zurückgewiesen hat.

Fischer: Da müssen wir unterscheiden zwischen Erhaltungsmaßnahmen, Reparaturen und „in neuem Glanz erstrahlen lassen“. Leider führt ja die Stiftung Denkmalschutz in ihrer Zeitschrift Monumente genug Beispiele von „überrestaurierten“ Objekten voller Stolz vor. Oder nehmen Sie mal die Burgen: Wie ich aus Erfahrung weiß, befinden sich diejenigen in staatlicher Hand im Hinblick auf die „Originalquote“ oft in schlechterem Zustand als die in Privatbesitz.

Neigen Private nicht eher zu kommerzieller Nutzung, sprich Umbau oder Abriß?

Fischer: Ach, den meisten Privaten fehlt es doch an allen Ecken und Enden an Geld. Natürlich, wenn ein Besitzer professionell als Investor tätig ist, dann hat es ein Baudenkmal in der Tat schwer. Zumal gerade solche Leute oft einen guten Draht in die Politik haben – da wären wir wieder bei unserem Eingangsproblem. Aber der Regelfall ist, daß kaum genug Geld zum Erhalt da und an Investitionen daher kaum zu denken ist.

Für alle Privatleute, die ein Herz für historische Altbauten haben, haben Sie schon 2007 das Buch „Altbauten kostengünstig sanieren“ veröffentlicht. Um was geht es?

Fischer: Vor allem bei der Sanierung historischer, aber auch bei herkömmlichen Altbauten können schnell die Kosten explodieren. Die größte Falle, in die Bauherren tappen, ist zu glauben, sich den Architekten sparen zu können. Resultat ist, daß sich die Handwerker die Hände reiben und ihm vielleicht schon von den ersten drei Gewerken die Taschen geleert werden.

Sie sind selbst Architekt – sprechen Sie jetzt nicht pro domo?

Fischer: Das können Sie natürlich unterstellen. Ich halte dagegen, daß ich oft genug beobachten mußte, wie Bauherren von Handwerkern über den Tisch gezogen wurden. Und daß ich mit diesen Erfahrungen einen Ratgeber geschrieben habe, der davor warnt, was passiert, wenn man normverliebten Handwerkern oder gar dem glaubt, was gemeinhin zum Thema so in der Zeitung steht.

Zum Beispiel?

Fischer: Zum Beispiel das Mantra von der Wärmedämmung alter Bauten, die tatsächlich Kosten verursacht statt Kosten spart.

Inwiefern?

Fischer: Ganz einfach, eine Dämmung funktioniert gleichsam zweiseitig, sie kühlt das Haus also auch aus, weil es so keine Sonnenwärme mehr aufnehmen kann.

Macht die Dämmung das nicht wett?

Fischer: Nein, das wurde durch das Fraunhofer-Instituts für Bauphysik auch mehrfach experimentell belegt, ist aber kaum bekannt, weil die Branche es ignoriert. Tatsächlich beruhen nämlich alle Einsparungsmodelle mit Dämmstoffen auf Berechnungen und nicht auf empirischen Beweisen. Zudem wurden bei den Berechnungen Bedingungen angenommen, wie sie in der Realität kaum herrschen. Das ist jetzt nur ein Beispiel, wenn auch ein besonders brisantes, angesichts des Dämmwahns, in dem wir uns heute befinden. Den Schaden haben die Bauherren und ihre Altbauten, deren Sanierung möglicherweise nicht fertigstellt werden kann, wenn die Kosten nicht realistisch berechnet worden sind oder deren Energiesparinvestition zum Fehlschlag wird und nur Pfusch hinterläßt. Gleiches gilt auch für die meisten Trockenlegungsmaßnahmen gegen eine aufsteigende Feuchte, die es im Mauerwerk gar nicht geben kann. Feuchte wandert nämlich nur von großen Poren in kleine – und damit ist am Übergang vom Stein zum Mörtel Schluß.

Ihr Rat?

Fischer: Nur das machen lassen, was unbedingt nötig ist und alles erhalten, was nur geht. Es gibt eine ganze Reihe überflüssiger, aber typischer Mechanismen, an denen die Branche verdient und über die man sich informieren kann. Zum Beispiel planen Bauplaner oft gar nicht mehr selbst, sondern bekommen von Firmen komplett fertige Planungen, in denen diese dann ihre Produkte maximal unterbringen. Die sparsame Bestandserhaltung hat da keine Chance mehr. Bezahlen darf diesen geheimen Handel zwischen Planern und Firmen der Kunde, also der Bauherr. Da der selbst in der Regel Laie ist, hat er dem meist nichts entgegenzusetzen. So kann aus einem vielleicht aus Idealismus geborenen Traum von der Rettung eines Baudenkmals oder Altbaus nur allzu leicht ein Alptraum werden.

 

Konrad Fischer , der renommierte Bau- und Denkmalexperte wird immer wieder gerne von den Medien befragt, etwa von Spiegel, FAZ, Welt oder Wirtschaftswoche. Dazu kommen etliche Fernsehauftritte, etwa im NDR, WDR oder Bayerischen Rundfunk. Über vierhundert Baudenkmalinstandsetzungen hat der Architekt und Diplomingenieur bereits durchgeführt, darunter etwa das Bremer Rathaus oder die Marienkriche am Alexanderplatz, die älteste Kirche Berlins. 2006 beriet er den Hollywoodstar Nicolas Cage beim Kauf eines Schlosses in Bayern. Seit 1988 gibt Fischer Seminare, hält international Vorträge für Architektenkammern, Hochschulen und Universitäten. 2007 erschien sein Buch „Altbauten kostengünstig sanieren: Die Strategie des Planens und Bauens im Bestand“ (Verlag Gentlemen‘s Digest). Außerdem betreibt Fischer eine umfangreiche Netzseite. Geboren wurde er 1955 in Würzburg.

www.konrad-fischer-info.de

Foto: Von Konrad Fischer saniertes Blockbohlenhaus (vorher/nachher) in Untersteinach bei Kulmbach, das 2010 mit der Bayerischen Denkmalschutzmedaille ausgezeichnet wurde: „Nur gut, daß die Mehrheit der historischen Baudenkmäler nicht in öffentlichem, sondern in privatem Besitz ist.“

 

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