© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Ann Morrison. Die US-Historikerin hat einen Film über die deutsche Vertreibung gedreht
Das Ende des Schweigens
Bernhard Knapstein

In Missouri nennt man sie die „Survivors“, die „Überlebenden“ von Flucht und Vertreibung. Deutsche Heimatvertriebene, die am Ende des Zweiten Weltkrieges ihr nacktes Leben haben retten können, in die USA auswanderten und dort „untertauchten“. Zwar ist dort bekannt, daß man in Deutschland wieder über die Heimatvertriebenen spricht, etwa am 9. September, dem „Tag der Heimat“, daß aber auch in den Staaten „Vertriebene“ leben, wurde erst 2010 einem breiteren US-Publikum bewußt. Denn im vorletzten Jahr hat die spätberufene heute 48jährige Pädagogik-Studentin Ann Morrison mit ihrem auf mehreren Kanälen gesendeten Dokumentarfilm „The forgotten Genocide“ (Der vergessene Genozid) den Opfern des Völkermords an den Donauschwaben ein Gesicht gegeben.

Als sie ihrem Professor eine Untersuchung zu den in St. Louis lebenden deutschen Vertriebenen vorschlug, stieß sie bei ihm, obwohl selbst Abkömmling deutscher Einwanderer, sowie bei den Kommilitonen auf völlige Unkenntnis. So mußte sie erst mit vier Zeitzeugenberichten belegen, daß an dem Vertriebenenschicksal von Deutschamerikanern etwas dran sei.

Was als kleine Studie begann, hat sich dann schnell zu einem umfassenden Forschungsprojekt entwickelt, das unter anderem von dem Völkerrechtler Alfred de Zayas unterstützt wird: Nach Reisen durch Ungarn, Deutschland, Kanada und die USA, nach selbst organisierten Konferenzen und Podiumsdiskussionen hat Morrison rund 180 filmische Zeitzeugenberichte und ungezählte Artefakte gesammelt – Grundlage für eine ganze Filmserie, die sie produzieren will.

Bei der Auswertung ihrer Interviews müsse sie mitunter pausieren, um den Schmerz der Erzähler und „all den Horror“ zu verarbeiten, so Morrison – und „ich bekomme dafür weder Geld noch Titel.“ Denn Ann Morrison ist nicht Guido Knopp, ihr erster Film offenbart das Fehlen eines Millionenbudgets, er besticht aber durch Authentizität und Unvoreingenommenheit.

Und ihr geht es nicht darum, einmal mehr neben dem Opfergang auch Deutschlands Schuld zu dokumentieren. Die von polnischen Einwanderern abstammende und in eine jüdische Familie eingeheiratete Filmproduzentin ist auf der Suche nach dem unerzählten Drama, nach dem verschwiegenen Trauma, nach der Wahrheit. Auf einer Konferenz erklärte sie, jeder glaube, die Deutschen seien alle Nazis gewesen. Doch die Donauschwaben etwa hätten zum Teil nie deutschen Boden betreten.

Leidenschaft hat sie gepackt: „Ich muß dieses Projekt machen, die Gerechtigkeit verlangt es!“ Morrisons Verdienst ist nicht nur, die Vertreibung als singuläres Verbrechen filmisch zu dokumentieren, sondern auch das Trauma der Opfer, die anhaltende Fassungslosigkeit über die Macht des Möglichen zu visualisieren.

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