© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Geheimdienst unter Druck
Marcus Schmidt

Wenn in der kommenden Woche der Untersuchungsausschuß des Bundestages zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zu seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammenkommt, steht wieder einmal der Verfassungsschutz im Mittelpunkt. Als Zeuge geladen ist der ehemalige hessische Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas T., der 2006 das Internetcafé in Kassel, in dem der Türke Halit Yozgat erschossen wurde, nur wenige Augenblicke vor dem Mord verlassen hatte.

Auch wenn der mysteriöse Fall, der einmal mehr die Frage aufwirft, ob der Verfassungsschutz den mutmaßlichen Tätern nicht doch dichter auf den Fersen war als zugegeben, unter den Mitgliedern des NSU-Ausschusses als „ausermittelt“ gilt und eine Tatbeteiligung von T. ausgeschlossen wird, birgt er genügend Zündstoff. Im Zentrum der Kritik steht dabei Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), der damals als Innenminister dafür verantwortlich war, daß die Ermittler der Polizei T. aus Geheimhaltungsgründen nicht selbst befragen durften, wodurch die Aufklärung des Sachverhalts deutlich verzögert wurde. Nicht nur dieses Beispiel zeigt, daß bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden vieles im argen liegt.

Niemand stellt denn auch in Frage, daß gerade beim Verfassungsschutz nach den zahlreichen Skandalen im Zusammenhang mit der Aufklärung der Mordserie, erinnert sei nur an das Schreddern wichtiger Akten, Handlungsbedarf besteht. Warum, so fragen sich nicht nur die Mitglieder der vier Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, sind die Behörden der Terrorzelle nicht auf die Spur gekommen, obwohl zumindest bis zum Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe immer wieder V-Leute Kontakt zu den dreien hatten?

Dennoch ist es unwahrscheinlich, daß die erkannten Schwachstellen beim Verfassungsschutz bald behoben werden. Erst in der vergangenen Woche war Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bei seinen Länderkollegen mit dem Versuch gescheitert, das Kölner Bundesamt auf Kosten der Landesämter zu stärken. Friedrich wollte etwa durchsetzen, daß das Bundesamt künftig die Führung bei der Beobachtung gewaltbereiter Extremisten komplett übernimmt.

Von einer umfassenden Reform der Geheimdienste spricht sowieso niemand mehr. Weitreichende Vorschläge wie etwa die Zusammenlegung der 16 Landesämter zu vier Behörden sind vom Tisch. Kein Land will auf einen eigenen Geheimdienst verzichten. Ganz abgesehen von der Frage der politischen Verantwortung. Wenn etwa ein gemeinsamer Verfassungsschutz von Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein in einen Skandal verwickelt wird, welcher Innenminister welches Landes müßte dann zurücktreten?

Aus dem Bundesamt heißt es denn auch, wichtiger sei es, die Arbeitsweise des Geheimdienstes zu ändern. Künftig werde man sich verstärkt auf die Beobachtung von Einzelpersonen konzentrieren statt auf die Überwachung ganzer Organisationen, kündigte ein Verfassungsschutzmitarbeiter an.

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