© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Wo dein Platz, Genosse, ist! / Reih dich ein
Hanns Eisler oder Die Anatomie der Trauer: Zum fünfzigsten Todestag des Komponisten und Kommunisten
Jens Knorr

Vor allem drei Kampflieder sind es, die das Bild des Komponisten Hanns Eisler noch Jahrzehnte nach seinem Tode prägen sollten: Der „Rote Wedding“ von 1929, das „Solidaritätslied“ von 1931 und das „Einheitsfrontlied“ von 1934 erlangten in der Arbeitermusikbewegung eine heute kaum noch vorstellbare Popularität. Versuche, ihren Stil zu kopieren, mußten ebenso erfolglos bleiben wie die, ihren Gedanken mittels Parodieverfahren gegenzurichten. Ein nationalsozialistischer Text ließ sich Eislers Lied nicht dauernd anhaften, der rote Wedding nicht braun lackieren. In Eislers Werk scheinen Weltanschauung und Komponierpraxis zur Deckung gekommen, keine von der andern abzuspalten. Welche Anschauung der Welt? Und welche Praxis des Komponierens?

Das dritte Kind des Philosophen Rudolf Eisler und der Tochter eines Fleischers wird am 6. Juli 1898 in Leipzig geboren. Die Familie übersiedelt 1901 nach Wien, wo Johannes Eisler Volksschule und k. u. k. Staatsgymnasium besucht und in einem „Sprechclub“ der sozialistischen Mittelschüler mit marxistischer Literatur bekannt wird. Aus zweijährigem Militärdienst kommt er 1918 als Kriegsgegner zurück.

Der weitgehend musikalische Autodidakt beginnt 1919 ein Kompositionsstudium am Wiener Konservatorium und noch im Herbst des Jahres ein Privatstudium des strengsten Kontrapunkts bei dem strengsten Lehrer, der in Wien zu bekommen ist. Von Arnold Schönberg, so äußert Eisler 1958, habe er „ein richtiges Verständnis der musikalischen Tradition der Klassiker“ gelernt. Und „etwas, was heute gar nicht mehr richtig verstanden wird: Redlichkeit in der Musik“. Sowohl Kompositionen in der Tradition der zweiten Wiener Klassik als auch solche, die sich bereits als Gegenentwürfe zu Schönbergs Denken in Musik lesen lassen, machen Eisler im bürgerlichen Musikbetrieb bekannt – und machen Skandal.

Eisler übersiedelt 1925 nach Berlin. Schon in Wien hatte er Arbeiterchöre geleitet, in Berlin engagiert er sich musikalisch und publizistisch für die Arbeiterbewegung, stellt einen Antrag auf Aufnahme in die KPD, der merkwürdigerweise nicht bearbeitet wird, entwickelt theoretisch und praktisch gegen das Konzept einer autonomen sein Konzept einer angewandten Musik. Seine Musik soll nicht die Luft von anderen Planeten atmen, sondern die Luft dieses einen gerecht zu teilen helfen, das musikalische Material von ihrem „Hauptzweck“, dem Kampf- und Bildungscharakter, bestimmt werden. Auftraggeber, Ausführende und Adressaten sind die Arbeiterklasse und ihre Partei.

In Berlin beginnen Zusammenarbeit und Freundschaft mit Bertolt Brecht und dem Schauspieler und Sänger Ernst Busch, dem „Barrikadentauber“. Kampflieder und Balladen, vor allem jedoch die Partituren zu den Lehrstücken „Die Maßnahme“ – „proletarische Passion statt der unterstellten Loblieder Stalinscher Lager“ (Gerd Rienäcker) – und „Die Mutter“ markieren Höhe- und Endpunkt der deutschen Arbeitermusikbewegung.

Doch so sie denn je in den Zwanzigern und frühen Dreißigern zusammengekommen waren: Wie sollten künstlerische und gesellschaftliche Avantgarde fürderhin zusammenbleiben, da die Arbeiterklasse vielleicht gar nicht die Avantgarde war und ihre Partei nicht die Vorhut? Wie also eine Musik schreiben, die gebraucht wird, aber nicht instrumentalisiert werden kann, die brauchbar ist, ohne sich zu verbrauchen? Seine besten Werke tragen diesen Konflikt unerbittlich aus, seine schlechten scheitern an ihm oder lösen ihn in falsche Harmonien auf. Doch den exoterischen und den esoterischen Eisler auseinanderzudividieren bringt ebensowenig Erkenntnis wie ihre innere Einheit per se zu behaupten.

Nach der Machtübergabe kämpft Eisler, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, auf allen ihm zugänglichen Ebenen, allerorten gegen den Nationalsozialismus: in Europa, dann in den USA. Er lehrt an der New School for Social Research, New York. Ab 1942 ist er in Hollywood, bei Brecht. Seit 1940 arbeitet Eisler am „Film Music Project“, das Buch „Kompositionen für den Film“, welches die Ergebnisse der Arbeit zusammenfaßt, erscheint erst im Herbst 1947. In jener späten Zeit des Exils, entstehen jene „unbrauchbaren“ Werke, die ihm seinen vornehmen Platz in der Musikgeschichte sichern, die Kammerkantaten, das Quintett „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“, das „Hollywooder Liederbuch“.

Die Rückkehr nach Europa erfolgt als „technische Deportation“ infolge der Verhöre vor dem „Kongreßausschuß zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit“. In den Verhören war auch das Wort von dem „Karl Marx des Kommunismus auf dem Gebiet der Musik“ gefallen. Über Wien kommt er nach Berlin, wird Mitglied der Akademie der Künste, an der er eine Meisterklasse für Komposition übernimmt, und Professor an der Musikhochschule, die noch heute seinen Namen trägt, wenn auch nicht mehr viel damit zu tun haben will.

Die Werke der fünfziger Jahre prägt die Suche nach einer „neuen Volkstümlichkeit“, einer Schlichtheit, die von den „Erbauern einer neuen Gesellschaft“ sofort verstanden werden könne, ohne in Seichtheit abzugleiten. In den „Neuen Deutschen Volksliedern“, eher Lieder für das Volk als Lieder des Volkes, in der Goethe-Rhapsodie oder der Kantate „Mitte des Jahrhunderts“, in den Bühnenmusiken für Brechts Berliner Ensemble und für Wien sowie in den späten Filmmusiken gehen Gelingen und Mißlingen ineinander auf.

Die Veröffentlichung seines Librettos zu einer Oper „Johann Faustus“, 1952, löst eine kulturpolitische Debatte und parteipolitische Kampagne aus und verleidet ihm die weitere Arbeit an diesem Lehrstück über den Verrat des Intellektuellen im 20. Jahrhundert. Eisler zieht sich nach Wien zurück, kann aber mit der Aussicht auf weitere Arbeiten für Brechts Theater und die Herausgabe seiner gesammelten Lieder und Kantaten zur Rückkehr bewegt werden. Der DDR-Nationalkomponist erhält 1958 den Nationalpreis 1. Klasse, ein Jahr später gibt es großen Bahnhof für die Uraufführung der „Deutschen Sinfonie“. Am 6. September 1962 stirbt er in Berlin.

Hanns Eisler, das ist der abtrünnige Sohn der zweiten Wiener Klassik, der sich erst der Arbeitermusikbewegung, dann der Arbeiterbewegung und ihrer Partei, am Ende der DDR mit Leib und Seele verschreibt. Das ist der Komponist volkstümelnden Kitsches, wie des Sputnik-Liedes, aber auch faßlicher Lieder, die dem Kitsch entkommen sind. Eisler, das ist der Komponist der Nationalhymne der DDR, der „Spalterhymne“, deren Melodie viel besser auf Brechts Kinderhymne paßt als auf Bechers pathetische Worte und deren Instrumentierung die Schwächen der Komposition gnadenlos offenlegt. Der taktierende Kommunist, der Gedichte des Renegaten Ignacio Silone einfach Brecht zuschreibt, sein 1954 in Wien, während der schweren Schaffenskrise, komponiertes Lied „Und es sind die finstern Zeiten in der fremden Stadt“ auf 1934 zurückdatiert. Der Antibürger, der die Errungenschaften bürgerlicher Kultur gegen seine Genossen verteidigt, der Experimentator, der sich in die hohe Tradition deutscher Musik stellt wie keiner seiner Zeitgenossen, Schönberg ausgenommen, der Internationalist mit dem unglücklichen deutschen Bewußtsein. „Deutschland meine Trauer, du, mein Fröhlichsein“ heißt es im zwölften Lied der „Volkslieder“.

„Um die Hoffnung hochzuheben“, sagt Eisler 1962 zu Bunge, „muß die Verzweiflung sehr tief sein.“ Aufgabe eines Künstlers sei es, „die Vergangenheit echt und scharf zu sehen und sie (…) überzuleiten in eine Zukunft. Wer das nicht macht, wird einen schmierigen Optimismus widerspruchslos übergeben, der nicht klingt und der keinen Sinn hat.“ Seine „Ernsten Gesänge“, fertiggestellt am 13. August 1962, dem ersten Jahrestag des Baus der Berliner Mauer, folgen der Dramaturgie des Requiems: „Besinnung – Überlegung – Depression – Aufschwung“.

Der Kommunist Eisler hat „die Anatomie der Trauer – oder die Anatomie der Melancholie“ als ein Zentralthema der Kunst seines Jahrhunderts nicht akzeptieren wollen. Aber nur in jenen seiner Werke, in denen sie Zentralthema geworden sind, hat der Sohn eines Philosophen und der Tochter eines Fleischers auch der Gewißheit künftigen Glückes Tongestalt zu geben vermocht, das er in seinen optimistischen Hervorbringungen vergeblich einzufangen suchte: Leben, ohne Angst zu haben.

Noch bis zum 11. September finden in Berlin die Hanns-Eisler-Tage statt mit einer Reihe von Konzerten sowie einem Symposion.  www.hanns.eisler.de

Foto: Hanns Eisler 1938 in New York: Kampflieder für die Arbeiterbewegung komponiert

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