© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/12 07. September 2012

Falsche Fotos, alte Videos
Syrien: Westliche Medien sind manipulierbar / Fehlinformationen über das Bürgerkriegsland grassieren
Günther Deschner

Am Anfang blutiger Kriege stehen oft Falschinformationen und krasse Lügen. Die „Brutkastenlüge“ ist dafür eines der besten Beispiele. Sie bezeichnet die Behauptung, irakische Soldaten hätten 1990 bei der Invasion Kuwaits Säuglinge in einem Krankenhaus getötet. Eine damals fünfzehnjährige Kuwaiterin erklärte vor dem Menschenrechtsausschuß des US-Kongresses unter Tränen, sie habe freiwillig im Al-Adnan-Krankenhaus in Kuwait-Stadt gearbeitet und dabei „selbst gesehen, wie irakische Soldaten in das Krankenhaus eindrangen, die Säuglinge aus den Brutkästen nahmen, die Brutkästen mitnahmen und die Kinder auf dem kalten Boden liegenließen, wo sie starben“.

Dies war eine Lüge, die einen amerikanischen Krieg legitimieren sollte. Die angebliche Krankenschwester war in Wirklichkeit eine kuwaitische Diplomatentochter und hatte nie in einem Krankenhaus gearbeitet. Ferner stellte sich heraus, daß eine PR-Agentur für zehn Millionen Dollar beauftragt worden war, die Brutkastenlüge weltweit zu verbreiten. Die Folgen waren weitreichend. Waren Bevölkerung und US-Kongreß zuvor gegen einen Irak-Krieg, so stimmte sie diese Lüge um – und bald darauf schickte George Bush senior seine Truppen zum ersten Krieg gegen den Irak.

Vielleicht in Erinnerung daran, daß diese Lügengeschichte so gut funktionierte, verbreitete die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ in London, die in Wirklichkeit nur aus einem Mann besteht, schon bald nach Beginn des innersyrischen Konflikts ein neues Brutkastenmärchen, das auch Sender wie CNN und weitere Medien übernahmen. Wenig kreativ wurde darin behauptet, in syrischen Krankenhäusern hätten Assads Truppen den Strom abgestellt, wodurch „die Babys in Brutkästen starben“. Ein passendes Foto, das tote Säuglinge zeigte, sollte die Geschichte „beweisen“.

In übertriebener Parteilichkeit und häufig mit manipulierten  Bildern und Videos „bewiesen“ werden soll im Propagandakrieg um Syrien, daß es sich um einen Konflikt zwischen den „Guten“, vom Westen unterstützten Rebellen, und den „Bösen“, den staatlichen Sicherheitsorganen Syriens handelt. Und zahlreiche „Leitmedien“ des Westens spielen mit.

Die Berichterstattung über das Massaker von Hula Ende Mai, bei dem 108 Menschen, unter ihnen 49 Kinder, getötet wurden, ist dafür ein Beispiel. Am 27. Mai bebilderte die BBC auf ihrer Webseite einen Bericht über Hula mit einem Foto, das angeblich die Opfer in weiße Tücher verhüllt zeigt und ein Kind, das darüber hüpft.

Tatsächlich wurde dieses Bild schon vor neun Jahren aufgenommen. Der Fotograf Marco di Lauro schoß es – allerdings nicht in Hula 2012, sondern am 27. März 2003 südlich von Bagdad. In der Bildzeile erklärte der Sender, „syrische Widerstands-Aktivisten“ hätten das Hula-Massaker-Bild „zugeliefert“. Es ging um die Welt – das Dementi weniger.

Auf derartigen „Aktivisten“-Infos und ihrer unüberprüften Verwendung basiert ein großer Teil der derzeitigen Stimmungsmache. Auch gebührenfinanzierte  deutsche Sender spielen mit.  Ein schönes Beispiel dafür ist der Beitrag, den Dunja Hajali im Morgenmagazin von ARD und ZDF vom 17. Mai moderierte. Sie präsentierte den Kollegen Christian Sievers, Leiter des ZDF-Auslandsstudios Tel Aviv, der sich in unstillbarem Rechercheeifer bis an die jordanisch-syrische Grenze gewagt hatte und den Zuschauern erklärte, die Berge, die in der Ferne zu sehen seien („Mit dem Zweiten sieht man besser!“), lägen bereits in Syrien. Oppositionelle hätten ihm ein grausames Video zugespielt, „unter Einsatz ihres Lebens“.

Es seien „schreckliche Bilder“, „Uniformierte, die Gefangene gräßlich mißhandeln, mit Peitschen, mit Knüppeln, gespickt mit Nägeln, schlagen sie ihre Opfer zusammen“ – was im dann folgenden Video auch zu betrachten ist. Allerdings: Der Zuschauer kann leicht erkennen, daß die Menschenschinder in dem „Beweisvideo“ andere Uniformen tragen als die syrische Armee. Was auch nicht weiter überraschend ist: Mit der Nachfrage bei einem einzigen Experten oder ein wenig Internetrecherche hätte die Redaktion herausfinden können, daß das „sensationelle Beweisvideo“ ein Film aus dem Jahr 2007 ist, der die Zustände im Irak zu dieser Zeit zeigt, Taten, die unter amerikanischer Besatzung von Saddam-Gegnern an ihren Landsleuten begangen wurden – im Irak.

Kein Wunder, daß unabhängige Journalisten oft zu korrekteren Urteilen kommen: Jürgen Todenhöfer, der von Afghanistan bis Syrien aus jahrzehntelanger Beschäftigung den Orient genau kennt und der das Land auch seit Beginn der inneren Konflikte mehrfach bereist hat und sich um ein unparteiisches Urteil bemüht, kam in einem langen Welt-Interview zu dem Urteil: „Wir bekommen im Westen immer nur zu hören, welche Untaten die staatlichen Sicherheitskräfte verüben. Aber die Untaten der anderen Seite werden totgeschwiegen. Die internationale Berichterstattung ist extrem einseitig. Die Hälfte der Meldungen zu Syrien ist falsch.“

Foto: Lügenbilder: Im Netz finden sich viele Beweise für fragwürdige Videoaufnahmen, so wie dieser ARD-Bericht

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