© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Der Nichtwähler, das unbekannte Wesen
Studie: Die Konrad-Adenauer-Stiftung geht dem Phänomen der Stimmenthaltung auf den Grund und fördert Überraschendes zutage
Lion Edler

Der wachsende Anteil von Bürgern, die den Gang ins Wahllokal verweigern, beunruhigt seit langem die Parteien, gilt doch die Wahlbeteiligung in Deutschland als Gradmesser für die Stabilität der Demokratie. Vor diesem Hintergrund hat die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung diesem Teil der Bevölkerung in einer Studie einmal genauer unter die Lupe genommen und kommt zu überraschenden Ergebnissen. Danach ist, anders als in der Öffentlichkeit wahrgenommen, der Nichtwähler meist gar kein typischer, frustrierter „Überzeugungstäter“.

Für die Autorin der Studie, die Politikwissenschaftlerin Viola Neu, deutet vielmehr alles darauf hin, „daß es sich bei Wahlabstinenz überwiegend um eine temporäre und nicht um eine dauerhafte Entscheidung handelt“. Dafür spricht auch, daß nur 23 Prozent der befragten Nichtwähler behaupten, grundsätzlich nicht zu wählen. Auch wollten sich lediglich 38 Prozent derjenigen, die bei der Bundestagswahl 2009 (Wahlbeteiligung 70,8 Prozent) ihre Stimme nicht abgegeben haben, generell als Nichtwähler bezeichnen. Immerhin 57 Prozent der Wahlverweigerer von 2009 zeigten sich „einigermaßen zufrieden“ mit der Demokratie in Deutschland und dem politischen System. Als Motive für die Wahlenthaltung macht die Studie vor allem Gleichgültigkeit, Distanz und „politische Entfremdung“ aus, „gekoppelt mit dem Gefühl, daß Politik nicht auf die eigenen Bedürfnisse eingeht“.

Auch die Parteipräferenzen wurde abgefragt. Danach waren 41 Prozent der Nichtwähler der Bundestagswahl von 2005, die 2009 doch wieder gewählt hatten, mit der Politik der Unionsparteien zufrieden, 47 Prozent waren „eher enttäuscht“. Auch bei der SPD (44 Prozent zufrieden, 54 Prozent eher enttäuscht) und der FDP (13 Prozent zufrieden, 84 Prozent eher enttäuscht) überwiegen die Unzufriedenen. Dagegen war eine Mehrheit von 54 Prozent mit der Politik der Linkspartei zufrieden (eher enttäuscht: 29 Prozent) und auch eine Mehrheit von 65 Prozent der Grünen-Wähler (eher enttäuscht: 25 Prozent). Da es keine Vergleichsdaten für regelmäßige Wähler gibt, sei jedoch „schwer einzuschätzen, ob dieses Stimmungsprofil nur auf die Nichtwähler zutrifft“.

Laut der Studie zeigt eine Mehrheit der Wahlverweigerer ein eher geringes Interesse für Politik: Für die Wahl 2009 gaben neun Prozent der Nichtwähler ein „sehr starkes“ Interesse an, weitere 24 Prozent ein „starkes“ Interesse, 39 Prozent interessierten sich „etwas“, 17 Prozent „kaum“ und elf Prozent „überhaupt nicht“ für das politische Geschehen. Dieses Ergebnis wird durch die Antworten auf die Frage nach den Spitzenkandidaten gestützt: Nur 38 Prozent wußten, daß Angela Merkel 2009 die Spitzenkandidatin der Union war, für die Bundestagswahl 2005 wußten das 26 Prozent.

Bei der Sonntagsfrage zeigen sich zwischen Nichtwählern und Wählern kaum Unterschiede. Zunächst gaben 40 Prozent der Nichtwähler von 2005 an, auch bei dieser Wahl nicht abstimmen zu wollen. 27 Prozent würden die CDU wählen, die zum Zeitpunkt der Befragung bei der Gesamtbevölkerung auf 35 Prozent kam. Für die SPD hätten 32 Prozent gestimmt (Gesamtbevölkerung: 30 Prozent), für die Linke fünf Prozent (drei Prozent), für die Grünen 17 Prozent (16 Prozent) und für die FDP drei Prozent (ebenfalls drei Prozent). Das Wahlergebnis würde sich also kaum ändern, wenn alle Nichtwähler zur Wahl gingen. „Nichtwähler sind keine Reservestammwähler der Parteien“, stellt Neu fest.

Ein schizophrenes Verhalten zeigen viele Nichtwähler bei der Frage „In einer Demokratie ist die Pflicht jedes Bürgers, sich regelmäßig an den Wahlen zu beteiligen.“ 29 Prozent der Nichtwähler von 2009 stimmten dieser Aussage „voll und ganz zu“, weitere 14 Prozent „eher zu“. Für 33 Prozent trifft es teilweise zu, für nur neun Prozent „eher nicht“ und für nur 14 Prozent „überhaupt nicht“. Diese Zahlen unterscheiden sich kaum von der Meinung der Gesamtbevölkerung. Deutlich sind die Erkenntnisse bezüglich des Alters der Nichtwähler: Mit 20 Prozent war bei der Bundestagswahl 2009 bei den 60- bis 70jährigen der Anteil der Nichtwähler am geringsten. Bei den unter 21jährigen waren es dagegen 37 Prozent, bei den 21 bis 25 Jahre alten gar 40,9 Prozent. Zwischen den Geschlechtern zeigen sich bei Nichtwählern kaum Unterschiede.

Besonderes Augenmerk legte die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung wenig überraschend auf die Wähler der Union, die zu Nichtwählern werden. Der Aussage „Die CDU/CSU hält nicht mehr an ihren konservativen Tugenden und Werten fest“ stimmten 50 Prozent der ehemaligen Unionswähler zu. Die Studie folgert, daß „aktuelle sowie ehemalige Stammwähler mit den Begriffen ‘Werte’ sowie ‘konservativ’ zwar wenig anfangen“ können, deswegen beziehen diese „sich hingegen häufig auf bürgerliche Tugenden wie Anstand, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Verläßlichkeit, Ordentlichkeit“.

Weiter erklärten 18 Prozent der „unionsaffinen Nichtwähler“, daß sie als gläubige Christen nur eine Partei wählen könnten, die christliche Ziele verfolge, nämlich eben die Union. 13 Prozent sagen, daß CDU/CSU für Christen keine Heimat mehr biete. Unter den Nichtwählern sei das insgesamt jedoch nur „eine Größenordnung von vier bis fünf Prozent“.

www.kas.de

Foto: Stimmabgabe im Wahllokal: Längst nicht alle Wahlverweigerer sind „Überzeugungstäter“

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