© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/12 14. September 2012

Völkisches Bewußtsein
Keltenjahr 2012: Frankreich auf der Suche nach seinen Ahnen / Napoleon III. trieb die Erforschung der keltischen Vergangenheit voran / JF-Serie – Teil drei
Karlheinz Weissmann

Das französische Interesse an der eigenen Vor-Geschichte ist ungebrochen. Auch in diesem Sommer erschienen nicht nur viele der populärhistorischen Zeitschriften mit entsprechendem Thema, der linke Nouvel Observateur brachte sogar eine Titelausgabe „Wer sind unsere Ahnen?“ Die Frage nach „unseren Ahnen“ nahm bezug auf die traditionsreiche Rede von „unseren Ahnen, den Galliern“. Aber selbstverständlich gehört es zum politisch-korrekten Geschichtsbild, deren Bedeutung herunterzuspielen. Hauptangriffspunkt ist immer die Naivität, die das französische Keltenbild in der Vergangenheit bestimmt hat.

Daß man es sich damit allzu leicht macht, kann unschwer der aktuellen Nummer des Magazins Le Spectacle du Monde entnommen werden, die ganz den Kelten gewidmet ist und auf allgemeinverständlichem Niveau die Ergebnisse der neueren Forschung präsentiert. Im Zentrum steht für die Autoren die Rolle der Gallier und stammverwandter Völker, nicht nur für die Anfänge der französischen, sondern darüber hinaus der europäischen Geschichte.

Unbestritten ist aber auch für sie eine deutliche Wandlung im Verständnis der keltischen Zivilisation. Eine Einschätzung, die eine vorige Woche zu Ende gegangene Ausstellung im Nationalen Museum der Archäologie von Saint-Germain-en-Laye bestätigt hat. Anlaß ist die Wiedereröffnung der lange geschlossenen Säle mit den Fundstücken aus gallischer und galloromanischer Zeit. Man kann hier nicht nur die bedeutendsten Stücke dieser Periode besichtigen, es wird außerdem eine Verknüpfung zu den vorausgehenden Epochen bis zum Paläolithikum und zum folgenden Frühmittelalter hergestellt. „Die Wiederkehr der Kelten“ – so der Titel der Schau – diente in Saint-Germain-en-Laye gleichzeitig der Bestandsaufnahme der Geschichte des Museums. Denn gegründet wurde es 1856 auf Weisung Napoleons III. vor allem zu dem Zweck, die Gallier als Vorfahren der Franzosen in Szene zu setzen.

In Saint-Germain-en-Laye wird zu recht betont, daß Napoleon III. einer der wichtigsten Förderer der „Keltomanie“ war. Läßt man einmal die penetrante Rede von der „Konstruktion“ oder „Erfindung“ der Vorgeschichte außer acht, die vor allem die Katalogbeiträge der Ausstellung durchzieht, kann man an dem ausgebreiteten Material sehr deutlich sehen, wie das Erwachen der europäischen Nationen regelmäßig zum Entstehen eines „völkischen“ Bewußtseins führte, das sich je länger je weniger mit einem verstümmelten Konzept der eigenen Geschichte oder der Vorbildfunktion der großen antiken Kulturen zufriedengab, sondern nach Aufklärung über die eigenen Ursprünge verlangte.

Daß solche Aufklärung mit Verklärung einherging, ist unbestritten. So wie die Deutschen der Zeit dazu neigten, in den Germanen edle Wilde zu sehen, tendierten die Franzosen dazu, die Gallier ganz ähnlich aufzufassen. Nicht nur die äußere Erscheinung in den Historienbildern stimmte vielfach überein – samt Flügel- oder Hörnerhelm, blondem Haar und Schnauzbart (die für die französische Männermode generationenlang verbindliche moustache) –, auch die den Alten zugeschriebenen Charaktereigenschaften entsprachen einander: Tapferkeit, Männlichkeit, Treue.

Aber insgesamt war die Situation für die Deutschen doch einfacher, die das Römische leicht als „welsch“ aus ihrem nationalen Selbstentwurf herausdefinieren konnten, während die Franzosen niemals vergaßen, welche Funktion die Romanisierung und dann die Völkerwanderung für ihren Aufstieg als Nation besaßen.

Napoleon III., der die Erforschung der keltischen Vergangenheit nach Kräften vorantrieb und die wichtigsten Fundstücke dann in sein neues „Museum der nationalen Altertümer“ bei Saint-Germain-en-Laye bringen ließ, hat versucht, eine Art Synthese zu schaffen, die in vielem bis heute maßgeblich ist: Der zufolge war die gallische Niederlage gegen Cäsar ein zwar schmerzhafter, aber notwendiger Schritt auf dem Weg Frankreichs in die Geschichte.

Eine ähnliche Wirkung darf man mit Abstrichen auch für die Positionierung des Kaisers im Hinblick auf das Problem der „zwei Rassen“ behaupten. Die „zwei Rassen“, das sind nach französischem Verständnis die Galloromanen einerseits und die germanischen Franken andererseits.

Seit dem 17. Jahrhundert gab es eine zuerst auf die Oberschicht und die Intelligenz beschränkte, dann aber immer weitere Kreise erfassende Diskussion darüber, ob die Rolle der Franken in der nationalen Geschichte eher eine positive oder eine negative gewesen sei.

Kurz gesagt neigte die Linke dazu, die Revolution als Rache der unterdrückten Galloromanen an den germanischen Eroberern zu deuten, während ein Teil der Liberalen und die Konservativen stärker dazu tendierten, die Vernichtung der traditionellen – als fränkisch gedeuteten – Eliten als Ursache für den langfristigen Niedergang Frankreichs zu verstehen.

Napoleon III. hat sich die erste Interpretation auch aus aktuellen politischen Gründen zu eigen gemacht, wegen seines Bündnisses mit Italien und des Interesses an Belgien einerseits, der Frontstellung gegenüber Deutschland andererseits. Aber seine Motive für die Schaffung des „Museums der nationalen Altertümer“ in Saint-Germain-en-Laye kann man auf diesen Aspekt nicht reduzieren. Hier ging es in erster Linie um Überlegungen prinzipieller Natur, das heißt um den Versuch, der französischen Geschichte ein archäologisches Fundament in der „Einheit Galliens“ zu schaffen. Damit war der Kaiser außerordentlich erfolgreich, woran auch nichts ändern wird, daß gemäß heutiger Lesart die Gallier „jedermann gehören“ sollen (so der Chefkonservator des Museums Laurent Olivier), nicht den Franzosen allein.

Kontakt: Musée d‘Archéologie nationale et Domaine national de Saint-Germain-en-Laye, Château – Place Charles de Gaulle, 78105 Saint-Germain-en-Laye . Geöffnet ist das Museum vor den Toren von Paris täglich außer dienstags von 10 bis 17 Uhr.

www.musee-archeologienationale.fr

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