© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

„Noch nicht viel gewonnen“
Interview: Der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek zum Karlruher ESM-Urteil
Christian Vollradt

Herr Professor Murswiek, das Bundesverfassungsgericht hat den dauerhaften Euro-Rettungsschirm passieren lassen. Dennoch sprechen Sie als Vertreter des Beschwerdeführers Peter Gauweiler von einem „riesigen Erfolg der Kläger“ und einer „juristischen Sensation“. Worauf gründet sich diese Einschätzung?

Murswiek: Erstmals in seiner Geschichte hat das Bundesverfassungsgericht die Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages davon abhängig gemacht, daß völkerrechtliche Vorbehalte erklärt werden. Das ist juristisch ein großer Erfolg. In der Sache haben wir erreicht, daß eindeutig sichergestellt werden muß, daß Deutschland maximal 190 Milliarden Euro in den ESM einzuzahlen hat und nicht bis zu 700 Milliarden Euro, wie dies nach einer anderen Auslegung des Vertrages möglich wäre. Wir haben erreicht, daß die ESM-Gremien ihre Beschlüsse nicht geheimhalten dürfen, sondern den Bundestag umfassend informieren müssen. Anders wäre demokratische Kontrolle gar nicht möglich gewesen. Wir haben erreicht, daß das Thema „Banklizenz für den ESM“ endgültig vom Tisch ist. Wir haben also verhindert, daß der ESM sich bei der EZB unbegrenzt Geld leihen kann, um damit Staatsanleihen von Problemstaaten zu kaufen. Und wir haben erreicht, daß im Bundeshaushalt ausreichende Vorsorge für künftige Kapitalabrufe zu treffen ist. Damit wird nicht nur verhindert, daß bei verspäteter Kapitaleinzahlung das Stimmrecht der deutschen Vertreter in den ESM-Organen suspendiert wird und daß der ESM dann ohne deutsche Zustimmung über deutsche Haushaltsgelder in Höhe vieler Milliarden beschließen könnte; es wird damit auch erreicht, daß die wahren Kosten der Rettungspolitik für die Abgeordneten und die Bürger sichtbar und spürbar werden. Wir sehen das Urteil allerdings auch teilweise sehr kritisch. Das Gericht ist weder darauf eingegangen, ob nicht der ESM-Vertrag die Mitgliedstaaten zu späteren Kapitalerhöhungen verpflichtet, noch hat es sich damit auseinandergesetzt, daß die Durchbrechung des Bail-out-Verbots – des Verbots von Finanzhilfen für Eurostaaten – eine Schleuse öffnet, die man politisch nie mehr zubekommen kann, weil der politische Druck zu immer neuen Hilfen unwiderstehlich groß sein wird. Das Gericht hat leider auch nicht verhindert, daß die EZB mit ihrem Anleihenkaufprogramm aus eigener angemaßter Machtvollkommenheit neben dem ESM einen weiteren Rettungsschirm etabliert. Aber was nützt es uns, daß das Bundesverfassungsgericht die Haftungsbegrenzung beim ESM durchsetzt, wenn die EZB dann unbegrenzt und unkontrolliert Staatsanleihen ankauft? Kein Thema für Karlsruhe war auch der Umstand, daß die Rettungspolitik eine gigantische Vermögensumverteilung bewirkt, von den einigermaßen solide wirtschaftenden Ländern zu den Peripheriestaaten, im Ergebnis aber vor allem von den normalen Sparern, Rentnern und Steuerzahlern zu Großbanken und Großspekulanten.

Die Verfassungsrichter haben unter anderem entschieden, daß der Bundestag einer Erhöhung der Haftungssumme zustimmen müßte. Damit haben die Abgeordneten die Entscheidungshoheit. Aber ist sie bei ihnen wirklich in guten Händen angesichts der Tatsache, daß das Parlament in der Vergangenheit solche Beschlüsse mehrheitlich einfach abgenickt hatte?

Murswiek: Der Bundestag in seiner jetzigen Zusammensetzung hat sich leider als unfähig erwiesen, seiner Haushaltsverantwortung wirklich gerecht zu werden. Solange die Parlamentarier allem zustimmen, was ihnen von den regierenden Rettungspolitikern als angeblich alternativlos vorgesetzt wird, ist mit der vom Bundesverfassungsgericht seit einigen Jahren betriebenen Stärkung der Parlamentsrechte für die Bürger nicht viel gewonnen.

Was erwarten Sie von der gründlichen Prüfung, der das Bundesverfassungsgericht den angekündigten unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen durch die EZB unterziehen wird?

Murswiek: Das Gericht hat bereits deutlich gemacht, daß es diese Käufe sehr kritisch sieht. Ob es im Hauptsacheverfahren daraus tatsächlich Konsequenzen zieht, bleibt abzuwarten. Denkbar ist eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Würde dieser – womit zu rechnen wäre – die Anleihenkäufe absegnen, käme es zum Schwur. Dann müßte das Bundesverfassungsgericht beweisen, daß es bereit ist, sich gegen den EuGH durchzusetzen.

Der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, den Sie vor dem höchsten deutschen Gericht vertreten, hat angekündigt, er denke nicht ans Aufgeben. Wie werden Sie – auch mit Blick auf die noch anstehende Hauptverhandlung – juristisch weiter vorgehen?

Murswiek: Die zentralen Entscheidungen bezüglich des ESM sind mit dem vorliegenden Urteil gefallen; da können wir nur noch hinsichtlich einiger Fragen der organisatorischen Durchführung Verbesserungen erreichen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, die EZB zu bremsen.

 

Prof. Dr. Dietrich Murswiek lehrt Öffentliches Recht an der Universität Freiburg. Er ist Verfasser und Prozeßbevollmächtigter für die Verfassungsbeschwerde des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler gegen den ESM.

 

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