© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bürgerliches Rückzugsgefecht
Thorsten Brückner

Die zur Grundsatzentscheidung über elterliche Wahlfreiheit in der Familienpolitik erhobene Debatte über das Betreuungsgeld spaltet auch die Fachwelt. Bei der Sachverständigenanhörung im Familienausschuß des Bundestages bestätigten vergangene Woche die von der Union geladenen Sachverständigen, darunter auch JF-Kolumnistin Birgit Kelle, nochmals die Vereinbarkeit des vorliegenden Gesetzentwurfs mit dem Grundgesetz. Zudem thematisierten sie die Problematik frühkindlicher Fremdbetreuung. Die von der Opposition berufenen Wissenschaftler führten dagegen vor allem verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld.

Die unter der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) beschlossene Krippenpolitik wurde während der Debatte als familienpolitisches Dogma allenfalls vom Bielefelder Kinderneurologen Rainer Böhm in Zweifel gezogen. Der Speyrer Verfassungsrechtler Joachim Wieland verstieg sich gar zu der Aussage, der Ausbau der Krippenbetreuung sei Verfassungsauftrag. Ute Sacksofsky von der Universität Frankfurt sekundierte, um elterliche Wahlfreiheit sicherzustellen, sei das Betreuungsgeld in etwa so sinnvoll, als würde man jemandem dafür Geld geben, daß er nicht in die Oper gehe. Damit wurden gleichsam Argumente der Betreuungsgeldbefürworter beiseite gewischt: Etwa, daß die geplante Zahlung von 150 Euro für Eltern, die keinen Krippenplatz in Anspruch nehmen, nicht nur im Verhältnis zur Förderung in anderen Ländern, sondern vor allem im Verhältnis zu den Kosten eines Krippenplatzes unterdimensioniert sei.

Neben solch befremdlicher Einwürfe brachten die Gegner des Betreuungsgelds jedoch auch Argumente vor, die die kompaßlose Familienpolitik der Bundesregierung mit all ihren Widersprüchen schonungslos offenlegte. So wies Wieland darauf hin, daß es die Union war, die Frauen durch die Novellierung des Scheidungsrechts zur Erwerbsarbeit nötigte. Dadurch ließ die CDU die Alleinverdienerehe für Frauen zum potentiellen Armutsrisiko werden. Für die Rentenversicherung machte sie eine mehr oder weniger lückenlose Erwerbsbiographie erforderlich. Daß nun mit dem Betreuungsgeld eine Leistung geschaffen werden soll, die Frauen Anreize zur zumindest teilweisen Unterbrechung einer vollen Erwerbstätigkeit bietet, sei daher nicht nachvollziehbar.

Den erwähnenswertesten Vorschlag präsentierte unfreiwillig SPD Familienpolitikerin Caren Marks. Nach den Ausführungen Böhms, der auf die Gefahr psychischer Schäden für fremdbetreute Kinder unter drei Jahren verwies, konterte sie, daß man folglich ja Krippen für unter Dreijährige abschaffen müßte. Überhaupt der Gedanke, man könnte aus dem staatlichen Kita-Bau aussteigen, mutete allen Beteiligten so absurd an, daß Marks ihn rhetorisch einwerfen konnte, um einen Experten für frühkindliche Betreuung zu diskreditieren.

Ob das Betreuungsgeld nun im Oktober beschlossen wird oder nicht: Die Frage nach Freiheit oder Sozialismus in der Familienpolitik ist entschieden, der Kampf um das Betreuungsgeld – ein letztes bürgerliches Rückzugsgefecht.

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