© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Die heimlichen Weltmarktführer
Wirtschaftsliteratur: Der Unternehmensberater Hermann Simon analysiert in seinem Kompendium die Stärken deutscher Firmen
Markus Brandstetter

Die Würth-Gruppe im schwäbischen Künzelsau ist Weltmarktführer im Handel mit Montage- und Befestigungsmaterial. Das Großunternehmen beschäftigt mehr als 65.000 Mitarbeiter in über 80 Ländern. Vor zwei Wochen nun hat Reinhold Würth, der Seniorchef des Hauses, seinen 3.100 deutschen Vertretern einen Brief geschrieben, in dem er sie aufforderte, damit aufzuhören, ihre Zeit zu verplempern, wieder wie früher um 7.30 Uhr beim ersten Kunden aufzukreuzen und das mickerige Wachstum im laufenden Jahr endlich anzukurbeln.

Der nunmehr 77jährige Reinhold Würth ist nicht irgendwer. Er hat in einem halben Jahrhundert aus einer Eisenwarenhandlung mit zwei Mitarbeitern einen Weltkonzern geschaffen, der Kunden begeistert, Mitarbeiter bestens bezahlt und den Wettbewerbern das Fürchten lehrt. Dieser Brief ist von Gewerkschaften und Presse in einem Aufschrei geheuchelter Empörung förmlich zerlegt worden, dabei ist er nur ein Beweis für die Arbeitsauffassung, die den deutschen Mittelstand groß gemacht hat: Fokussierung, Innovation, Wachstum und altmodische harte Arbeit.

Womit wir beim Thema sind: den deutschen Mittelständlern und dem Autor, der viel zu Verständnis und Analyse des Mittestandes beigetragen hat. Die Rede ist von Hermann Simon und seinen „Hidden Champions“. Die Hidden Champions, das sind die heimlichen Weltmeister der heimischen Wirtschaft, die stillen Stars der deutschen Industrie, die Unternehmen, die zur Hälfte für das deutsche Exportwunder verantwortlich sind und maßgeblich für Arbeit, Wohlstand und Steuereinnahmen sorgen. „Hidden“ („versteckt“) nennt der Unternehmensberater und Wirtschaftsprofessor Simon sie deshalb, weil sie kaum einer kennt, obwohl bei ihnen allein in Deutschland 1,4 Millionen Menschen arbeiten, also kaum weniger, als bei den deutschen Dax-Konzernen, die jeden Tag in der Presse auftauchen.

Wie schaut der idealtypische Hidden Champion aus? Er hat 2.000 Mitarbeiter, einen Jahresumsatz von 325 Millionen Euro, wurde vor 50 Jahren gegründet, stellt Industriegüter her, ist Weltmarktführer auf einem ziemlich engen Gebiet, kann hohe Preise verlangen, verdient exzellent, erfindet beständig neue Sachen, genießt größte Kundenzufriedenheit und wird vom Sohn oder Enkel des Gründers schlank, persönlich und im positiven Sinne aggressiv geführt. Genau 2.734 dieser betriebswirtschaftlichen Zwölfzylindermotoren hat Simon auf der ganzen Welt identifiziert, die Hälfte davon (1.307 Unternehmen) hat seinen Sitz in Deutschland, insgesamt 1.506 Firmen kommen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, was wiederum 55,1 Prozent der Hidden Champions auf der ganzen Welt ausmacht.

Warum diese Firmen sich in Deutschland konzentrieren und andere Länder so wenig davon haben (beispielsweise Frankreich 75, Spanien elf, Australien zehn), wird aus Simons Klassiker, der nun in der dritten Auflage vorliegt, nicht ganz klar, aber die Wurzeln liegen in der Geschichte. Simon nennt die deutsche Kleinstaaterei vor der Reichsgründung 1871 als einen Faktor und die im mittelalterlichen Zünftesystem wurzelnde duale Ausbildung. Aber es gibt auch andere Gründe, zum Beispiel die im 19. Jahrhundert überall im Reich gegründeten polytechnischen Hochschulen und Deutschlands späten Start an die wirtschaftliche Weltspitze, der über Qualität und technische Innovationen ging und nicht über Kolonien und Handel.

Wer sind nun die Hidden Champions und was tun sie? Hier ein paar Beispiele: Jedes Auto hat ein Kennzeichen, und das kommt meist von der Firma Utsch aus Siegen, in 120 Ländern der Welt. Alltagsgegenstände wie Reißnägel oder Büroklammern braucht jeder einmal. Herstellen tut sie praktisch immer Rolf Gottschalk aus Arnsberg im Sauerland, am Tag etwa zwölf Millionen Stück davon. Wer fliegt, dessen Gepäck wird vor dem Abflug durchleuchtet. Die Röntgenapparate für Gepäck und Fracht stammen in 150 Ländern auf der Welt von Smiths Heimann in Wiesbaden. Den Burda-Verlag kennt jeder, aber wer weiß schon, daß die Modezeitschriften des Verlages Aenne Burda in 17 Sprachen und über 90 Ländern erscheinen und seit 1961 Weltmarktführer sind? Diese Liste ließe sich mühelos fortsetzen.

So sehr haben die deutschen Mittelständler und ihre Produkte die Märkte der Welt durchdrungen, daß ihre Firmennamen in den Wortschatz mancher Sprachen eingegangen sind. Etwas mit hohem Druck reinigen heißt auf französisch „karchériser“, und dahinter verbirgt sich nichts anderes als die französisierte Form des Firmennamens Kärcher, des Weltmarktführers bei den Hochdruckreinigern. In Island nennt man einen guten Mechaniker einen „Baader-Mann“, was daher rührt, daß der vermutlich an einer Baader-Anlage ausgebildet wurde. Baader aus Lübeck ist der führende Anbieter von Fischverarbeitungsanlagen. Das Maß aller Dinge bei Industrie-Steckverbindern ist die Firma Harting aus Minden, und wenn irgendwo auf der Welt Ausschreibungen gemacht werden, dann steht da oft: „Harting oder gleichwertig“.

Welche Bedeutung haben die Hidden Champions für uns alle? Wird sich an ihrer Wichtigkeit zukünftig etwas ändern? Und welche Rolle spielt die Globalisierung dabei? Die Bedeutung liegt zuerst einmal in den Arbeitsplätzen. Jedes Jahr schaffen diese Firmen zirka 100.000 neue und bestbezahlte Arbeitsplätze. In den letzten zehn Jahren haben sie also eine Million neuer Stellen geschaffen, während die Dax-Unternehmen im selben Zeitraum rund 200.000 Jobs abgebaut haben.

An jedem guten Arbeitsplatz hängen mindestens fünf andere Gewerbe dran, die dabei mitverdienen. Der Ingenieur mit einem Jahresgehalt von 100.000 Euro baut ein Haus, kauft Autos, Sportgeräte und Computer und bezieht Dienstleistungen aus der Region – vom Friseur über den Gärtner bis zum Orthopäden. Überall, wo Geld verdient wird, kassiert der Fiskus kräftig mit. Ohne die Hidden Champions hätten ganze Landstriche viel weniger von dem Geld zur Verfügung, das nun ungebremst nach Brüssel und Griechenland fließen kann.

Nur wird das immer so bleiben? Hermann Simon sagt ja, wenn auch mit Vorbehalten. Die Hidden Champions aus Deutschland, Österreich und der Schweiz tragen ein Viertel zum Gesamtexport ihrer jeweiligen Heimatländer bei. Ohne die Hidden Champions wäre Deutschland nie Exportweltmeister geworden. Aber die Globalisierung birgt auch Risiken: Produkte werden kopiert, neue Wettbewerber herangezüchtet, Umsätze, Fabriken und Mitarbeiter immer mehr ins Ausland verlagert und Kritiker à la Attac oder Occupy auf den Plan gerufen. Dennoch sieht Simon die Hidden Champions bestens für das 21. Jahrhundert gerüstet, was auch die rasche Überwindung der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise gezeigt habe.

Hermann Simon: Hidden Champions – Aufbruch nach Globalia. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2012, gebunden, 447 Seiten, 42 Euro.

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