© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Pankraz,
J. Habermas und der verbotene Tanz

Viel gelacht wurde letztes Jahr in politischen und philosophischen Kreisen, als Mohammed Waheed Hassan, der Vizepräsident der Malediven (jenes hierzulande gern als „Urlaubsparadies“ apostrophierten, streng muslimischen Inselstaats im indischen Ozean) mit mächtigem Aplomb bekanntgab, er werde demnächst in seinem Land die lupenreine Demokratie einführen, und zwar mit Hilfe der erhabenen Lehren des deutschen Philosophen Jürgen Habermas. „Habermas meets Mohammed“ wurde damals gewitzelt. Aber inzwischen ist den Spöttern der Witz vergangen.

Waheed Hassan ist jetzt nämlich mit Hilfe des örtlichen Militärs, das den halbwegs frei gewählten Präsidenten Mohammed Nasheed davongejagt hat, zu dessen Nachfolger ernannt worden, und seine erste Maßnahme war – das Verbot des „unanständigen Tanzens zwischen Männern und Frauen“! Und in den einschlägigen Richtlinien des maledivischen „Ministeriums für islamische Angelegenheiten“ heißt es weiter, auch Frauen untereinander dürften nicht mehr tanzen, und Männer dürften nur noch „bei Militärparaden“ tanzen, was immer das heißen mag.

Auch die berühmten (durch die Bank männlichen) „tanzenden Derwische“ hat es also offenbar erwischt, obwohl deren rituell vorgeschriebene Drehbewegungen gewiß nicht „unanständig“ sind, keineswegs dem gesellschaftlichen Vergnügen dienen, sondern heilige religiöse Zeremonien erfüllen. Präsident Waheed Hassan hat es allem Anschein nach darauf abgesehen, das Tanzen in seinem Machtbereich generell zu verbieten, einerlei ob es nun der Religion dient oder dem schlichten Volksvergnügen. Das Ganze erscheint ziemlich kurzsichtig, um es vorsichtig zu sagen.

Den Menschen das Tanzen zu verbieten, ist fast so hirnrissig, wie ihnen Essen und Trinken verbieten zu wollen. Der Tanz gehört zum Leben wie Sprache und Musik, ja, er ist sogar noch ursprünglicher als diese, er war und ist bei allen Völkern und Stämmen das primäre Kommunikationsmittel an sich und überhaupt. Am Anfang stand nicht das Wort, sondern der Tanz: die rhythmisch geordnete, ad infinitum wiederholbare, wenn auch durchaus individuell variierbare, in der Regel von Trommeltönen und Stimmlauten begleitete Körperbewegung.

Ob Gottesdienst oder Abendunterhaltung nach getaner Arbeit, ob Musik oder darstellende Kunst, ob sportliches Kräftemessen oder schamanische Heilpraktiken – stets lieferte der Tanz die Grundlage, von der aus sich alles Weitere ausfaltete. Und er lieferte dennoch auch die Zielvorgabe, nach der sich alle Bemühungen streckten, waren sie nun musikalisch, literarisch oder selber körperbestimmt. Tanz ist auch heute noch, wie jeder gute Pädagoge weiß, ein probates Mittel, um bei Kindern – und nicht nur bei Kindern – Lernprozesse in Gang zu setzen und sie dauerhaft zu beflügeln.

In dem Buch der Tanzhistorikerin Miriam Fischer „Denken in Körpern. Grundlegung einer Philosophie des Tanzes“ (Alber Verlag, Freiburg i.B. 2010) kann man es nachlesen: Hinter jeder ernsthaften ästhetischen speziell der künstlerischen, Ambition steht der (geheime oder erklärte) Wunsch, die jeweils bearbeitete Sache gleichsam zum Tanzen zu bringen, sie in eine Art idealen Tanz zu verwandeln. Selbst der junge Marx sah bekanntlich die Erfüllung des Sozialismus darin, daß man „die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringt, indem man ihnen ihre eigene Melodie vorspielt“.

Bleibt die Frage, woher der maledivische Putschpräsident und Habermas-Schüler Waheed Hassan seine allumfassende Wut auf den Tanz bezieht. An Habermas wird es kaum liegen, wohl auch nicht an den vielen westlichen Touristen, die – fern des örtlichen Alltags – auf ihren Pritschen in der Sonne liegen und sich abends in ihren Hotels manchmal auch einen „original autochthonen Bauchtanz“ zu Gemüte führen. Schließlich nimmt man solche westliche Dekadenz mittlerweile sogar in Saudi-Arabien hin, dem großen Patenstaat und Stichwortgeber der Malediven.

Pankraz vermutet, daß der Grund für das Verbot viel näher liegt, nämlich in dem benachbarten Indien. Die Malediver sind von Ethnie und Religion her eingewanderte hinduistische Inder, die ihrer alten, vielgestaltigen Götterwelt auch über ihr Erobertwerden durch den Islam hinweg weitgehend treu geblieben sind und die nun, im Zeichen der modernen Informationskanäle ihren ursprünglichen Glauben vehement wiederentdecken und erneuern. Überall sieht man kleine, neu etablierte hinduistische Quasi-Tempel.

Besonders der mächtige Gott Schiwa scheint es ihnen angetan zu haben, und dieser ist nun einmal der Inbegriff des Tanzes seit Urzeiten. Die ältesten erhaltenen Dokumentationen des Tanzens sind indische Höhlenmalereien aus der Zeit 5000 v. Chr., und sie zeigen Schiwa als Natraj, als „König des Tanzes“, dessen Bild – übrigens auch nach Meinung moderner indischer Physiker – das einzig mögliche Symbol abgibt für das große Geheimnis der Welt, welche ein ewiger Tanz materiefreier, rein geistiger Energien sei.

Sehr wahrscheinlich ist es die Wiederkunft Schiwas, des Tanzes an sich, die den maledivischen Neu-Präsidenten Mohammed Waheed Hassan zu seiner Verbotsorgie wider den Tanz veranlaßte. Pankraz findet, er hätte eigentlich Wichtigeres zu tun, zum Beispiel gegen die Unanständigkeiten der vielen neuen Ferienhotels vorzugehen, die ihre Abfallströme ungeniert und ungefiltert ins Meer ableiten und so, nach Auskunft seriöser, krawallfreier Ökologen, die Meeresverschmutzung rund um die Malediven in Rekordwerte vorgetrieben hätten.

Noch schlimmer steht es mit dem Pegel des indischen Ozeans, welcher steigt und steigt. Bald werden viele Inseln des maledivischen Archipels gänzlich von der Erdoberfläche verschwunden sein. Das hätte dann der Tanz des Schiwa getan, und dagegen hilft kein Habermas und kein herrschaftsfreier Dialog, allenfalls ein kaltblütiger Masterplan einheimischer und internationaler Meeresbiologen und großzügiger Geldgeber, die den Schiwa ernst nehmen.

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