© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Strikte Auslegung
Fahndungsfotos: Warum dauert das immer so lange, bis die Presse Bilder von mutmaßlichen Verbrechern veröffentlichen kann?
Ronald Gläser

Ein Mann versucht in Berlin, eine Frau zu vergewaltigen. Sie ruft um Hilfe, wehrt sich. Weil ein Passant mit Hund zu Hilfe kommt, schlägt sich der Angreifer in die Büsche. Als die Frau Anzeige erstattet, kann sie diese Täterbeschreibung abgeben: groß und kräftig, Mitte 20, kurze dunkle Haare. Kurz: Es könnte jeder gewesen sein. Aber dann fällt ihr ein, daß der Täter mit ihr in der Straßenbahn gesessen hat.

Und dort gibt es eine Überwachungskamera. Auf dem Film war der Verdächtige tatsächlich zu sehen. Sofort begann die Polizei nach dem Täter anhand des Fotos zu fahnden. Doch erfolglos. Es dauert vom Vorfall am 23. Mai bis zum 29. August, daß endlich auch Zeitungen das Fahndungsfoto veröffentlichten. In einem anderen Fall, ebenfalls aus der Hauptstadt, verging sogar ein halbes Jahr, bis die Presse endlich vier U-Bahn-Schläger zeigen durfte. Woran liegt das? Warum werden Fotos von Tätern erst nach Monaten gezeigt, wenn sich viele Zeugen an nichts mehr erinnern können?

Der Grund ist die sehr strikte Auslegung der Persönlichkeitsrechte von mutmaßlichen Straftätern. „Bevor ein Bild als Fahndungsfoto veröffentlicht wird, muß die Polizei zuvor alle anderen Instrumente ausgeschöpft haben“, so ein Sprecher der Berliner Polizei zur JUNGEN FREIHEIT. Erst wenn ein Richter auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Beschluß erlassen hat, geht das Bild an die Presse.

Und das dauert oft Monate. Eine Polizeireporterin zur JF: „Wir schreiben schon immer dazu, daß erst ein Gericht darüber entscheiden muß, damit sich unsere Leser nicht wundern, daß das Foto so spät kommt und Zeugen so spät gesucht werden.“ Klar: Es gibt Ausnahmen. Bei schweren Verbrechen wie Mord wird Bildmaterial sofort freigegeben. Aber eben nur dann.

Im eingangs geschilderten Fall hat die Fotoveröffentlichung übrigens doch etwas gebracht: Noch bevor der Täter identifiziert werden konnte, hat er sich gestellt. Über seinen Prozeß wird nun ohne Foto berichtet. Nach der Festnahme haben die Berliner Zeitungen wie der Tagesspiegel sein Bild von ihren Netzseiten entfernt. Von nun an taucht es, wenn überhaupt, paradoxerweise nur noch verpixelt auf.

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