© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Haltungsnote
Flirt mit der Content-Mafia
Christian Schwiesselmann

Sie lebt im Netz, sie kommt aus dem Netz, und sie wird irgendwann im Netz verschwinden. Julia Schramm ist eine jener Digitalmiezen in der Piratenpartei, die wie die ehemalige Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband nicht zuletzt wegen ihrer Optik in den Vorstand der ansonsten doch ziemlich pickligen Computernerds aufgestiegen ist.

Ihren jüngsten medialen Coup hat die 27jährige Doktorandin an der Humboldt-Universität Berlin im Knaus-Verlag gelandet, wo kürzlich ihr Buch „Klick mich“ erschien. Laut FAZ hat die zum Bertelsmann-Konzern gehörende Verlagsgruppe Random House mehr als 100.000 Euro lockergemacht, damit die selbsternannte „Privilegienmuschi“ ihre „Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin“ zu Papier bringt – und nicht etwa ins Netz stellt, wie man es von der „Linkspartei mit Laptop“ erwartet hätte.

„Mein Name ist Julia und ich lebe im Internet. Ich bin da ziemlich glücklich, habe Freunde, die ich nur digital kenne und abschalten kann, wann ich will“, lauten die Plattheiten dieses narzißtischen Manifestes. „Ich kann im Internet alles sein: Mafiaboß, Barbie, Hitler, Hotelbesitzer und ein kleines grünes Krokodil. Am Computer bin ich Gott“, gibt die bekennende Atheistin Einblick in die Konstruktionsmöglichkeiten ihrer Barbie-Welt.

Dumm nur, daß sich im Internet sogleich Spötter fanden, die das gesamte „Geschrammel“ als PDF-Datei kostenlos online stellten und mit einem Zitat aus dem Parteiprogramm der Piraten würzten: „Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern.“ Prompt ließ der Verlag im Namen Schramms die illegale Kopie sperren. Ihr Flirt mit der sonst heftig attackierten „Content-Mafia“ kostete die Oberpiratin eine große Portion Glaubwürdigkeit.

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