© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ein Dirndl mit Flecken
Paul Rosen

Was treibt eine Frau, gerade 47 Jahre alt und auf der Höhe ihrer beruflichen und politischen Schaffenskraft, sich aus Bundeskabinett und Bundestag zurückzuziehen? Die Rede ist von Ilse Aigner, die ein Jahr vor der Bundestagswahl eher lapidar mitteilte, nach Bayern gehen und einen Sitz im Landtag (Maximilianeum) anstreben zu wollen. Um ein Austragshäusl, wie man in Bayern Ruhestandssitze nennt, wird es sich gewiß nicht handeln.

Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung steht bereits fest, daß mit Aigners Ankündigung „der Führungswechsel angekündigt“ wurde. Die Amtszeit von Ministerpräsident Horst Seehofer nähert sich dem Ende – ganz unabhängig davon, wie die Landtagswahl im September 2013 ausgeht und auch unabhängig von seiner Ankündigung, wieder kandidieren zu wollen. Aigner könnte ihn beerben, entweder wenn sie als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf ziehen und damit die Selbsterneuerungsfähigkeit der CSU demonstrieren würde. Oder sie könnte nach der Wahl Spitzenämter übernehmen.

Der Wechsel kommt rechtzeitig. Aigner selbst kann in Berlin nichts mehr gewinnen. Die Probleme in der Landwirtschaft häufen sich. Die von den Großagrariern massiv unterstützte Energiewende führt zu Monokulturen, massiver Schädlingsverbreitung, Landschaftszerstörung und zur Ausrottung zahlreicher Vogel- und Fledermausarten durch Windräder. Die Ministerin baute sich in den vergangenen Jahren als mutige Verbraucherschützerin gegen große Internet-Konzerne wie Google und Facebook auf. Banken wollte sie mit Testkunden schlechte Beratung nachweisen und damit die Finanzwirtschaft in die Knie zwingen. Große Überschriften waren Aigner beschieden, Erfolge nicht.

Für die CSU sieht Aigners Wechsel zunächst verlockend aus. Die bayerische Identität verkörpert sie wie kaum jemand anders. Sie kann im Dirndl mit strahlendem Lächeln eine Landwirtschaftsausstellung eröffnen. Genauso überzeugend wirkt ihr Auftreten in einer High-Tech-Fabrik, wo man sich fragt, warum sie die Geschäftsführung nicht sofort selbst übernimmt. Sie ist beinahe wie Edmund Stoiber – nur jünger und hübscher. Also iPad und Dirndl statt Laptop und Lederhose.

Aber das Dirndl hat Flecken. Gerade im alten Strauß- und Stoiber-Bezirk Oberbayern, wo Aigner die Partei führt, brach die CSU bei der vergangenen Wahl ein und verlor ein Fünftel der Stimmen. Hier schnitten die Freien Wähler mit ihrem europakritischen Kurs tief ins Fleisch der CSU. Das erklärt die Attacken von Seehofer und Generalsekretär Alexander Dobrindt gegen EU, Rettungsschirme und Europäische Zentralbank. Überzeugend war das nicht, weil Seehofer seine Meinung stets zu schnell änderte.

In diesem Punkt toppt Aigner den Ministerpräsidenten. In Interviews gibt sie Leerformeln und Worthülsen von sich, etwa wenn sie die CSU als Partei mit großer Bandbreite beschreibt und sich in der Europapolitik hinter dem Kurs der Kanzlerin versteckt. Standpunkte schnell zu wechseln, kann Aigner nicht passieren: Sie hat keine.

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