© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Brüchiger Anker der Demokratie
Konrad-Adenauer-Stiftung: Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt rät den schwächelnden Volksparteien, sich auch für Nichtmitglieder zu öffnen
Thorsten Brückner

Die Hochzeit der Volksparteien lag in den siebziger und achtziger Jahren. Seither prägen schwindende Mitgliederzahlen und sinkende Wahlergebnisse ihr Erscheinungsbild. Während bei den Bundestagswahlen 1972 bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent, 90,7 Prozent der Stimmen auf die Volksparteien entfielen, votierten bei der vergangenen Bundestagswahl, bei einer Wahlbeteiligung von etwa 70 Prozent, gerade mal noch 56,8 Prozent für SPD und Union.

Damit stellt sich automatisch die Frage nach der Zukunft der Volksparteien. Nach Ansicht des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner Patzelt (JF 36/12)haben diese nur eine Chance, wenn sie sich auch für Nichtmitglieder öffnen und das Volk stärker an der politischen Entscheidungsfindung beteiligen. An der Bedeutung der Volksparteien, ließ Patzelt bei einem Vortrag vor der Berliner Konrad-Adenauer-Stiftung keinen Zweifel. Sie seien in der Nachkriegszeit der Garant für die politische Stabilität gewesen. Der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegsjahre habe für einen Optimismus gesorgt, der den Volksparteien bei der Mobilisierung zugute kam. Die veränderte wirtschaftliche Lage unserer Tage stehe daher direkt in Zusammenhang mit der gesunkenen Kompetenz zur Problemlösung, die den Parteien heute zugeschrieben wird. Die Folgen für die beiden großen Parteien sind verheerend: Seit Beginn der achtziger Jahre hat sich die Zahl der SPD-Mitglieder von damals etwa einer Million halbiert. Die CDU büßte seit Mitte der Achtziger immerhin mehr als 200.000 Mitglieder ein und kommt derzeit noch auf rund eine halbe Million.

Gleichzeitig beklagen immer mehr Wähler, die Konturen der Volksparteien nicht mehr klar zu erkennen. Beide Parteien unterscheide in Grundsatzfragen wenig, bestätigte auch Patzelt. Bestes Beispiel hierfür sei die Euro-Politik der Volksparteien, die er die „Ziviltheologie unseres Gemeinwesens“ nannte. Ein grauhaariger Zuschauer warf mit Blick auf vorangegangene Diktaturen ein, man fühle sich in dieser Frage bei abweichender Meinung an „alte Zeiten“ erinnert. Patzelt betonte zwar, die Demokratie funktioniere in wenigen Staaten so gut wie bei uns. Gleichzeitig sei sie derzeit vor allem durch die Entmachtung des Bundestags und eine außer Kontrolle geratene europäische Integration bedroht. „Die Deutschen dürfen sich darauf einstellen, daß ihre Altersvorsorge entwertet wird. Und dann sagen Sie mal den Menschen, Deutschland sei eine gut funktionierende Demokratie“, gab Patzelt zu bedenken.

Mit zwei Lösungsmodellen möchte der Dresdner Politologe diesem Trend entgegenwirken. Mit Verweis auf die Schweiz und ihren „pluralen Einparteienstaat“ schlägt er vor, den Bürgern durch Volksentscheide in wichtigen Fragen das letzte Wort zurückzugeben. Dies würde auch dem Bundesverfassungsgericht den Druck der Letztentscheidungsinstanz nehmen. Die Gerichte hätten in Deutschland ohnehin mehr Rechte als sie in einer Demokratie haben sollten. Wichtig sei jedoch, daß solche Initiativen für Plebiszite vom Volk selbst kämen. Gegen die plebiszitäre Verbrämung einer Gesetzgebung von oben verwahrte sich Patzelt entschieden. „Bekämpfen Sie das“, rief er den Zuhörern zu.

Der zweite Vorschlag zielte auf den innerparteilichen Rekrutierungsprozeß. Parteien sollten Vorwahlen abhalten, bei denen auch Nichtmitglieder wahlberechtigt sein sollen. Dies würde die intellektuelle Ausdünnung der Parteien verhindern und gleichzeitig Seiteneinsteigern die Möglichkeit zum Mandatserwerb geben. Gerade die Mobilitätsanforderungen der modernen Arbeitswelt stießen hier auf festgefahrene Strukturen, die die Parteien um wichtiges Potential brächten. Patzelts Fazit: Nur ergänzt um solche Lösungsmodelle haben Volksparteien eine Zukunft und können dem politischen System als Eckpfeiler einer stabilen Parteiendemokratie auch weiterhin von Nutzen sein.

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