© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Sozialsystem nicht zukunftssicher
Euro-Krise: Versorgungswerke in Gefahr / Auch Betriebliche Altersversorgung ächzt unter Niedrigzinspolitik
Jens Jessen

In der Euro-Krise lautet die Parole von Politik und Finanzindustrie: Die Gemeinschaftswährung muß gerettet werden – koste es was es wolle! Milliarden-Rettungspakte für Griechenland, Rettungsschirme (EFSF, ESM) und schließlich eine künstliche Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sollen den Zerfall der Euro-Zone abwenden. Aber speziell die EZB-Politik zeigt schon jetzt ihre verhängnisvollen Nebenwirkungen – doch irgend jemand muß die Euro-Rettungskosten tragen.

Die Niedrigzinspolitik bedroht vor allem die Rendite der privaten Rentensysteme der etwa 800.000 Freiberufler in Deutschland, die einer Kammer angehören. Dazu zählen Ärzte, Apotheker, Zahnärzte, Tierärzte, Architekten, Notare oder Rechtsanwälte – sie erhalten ihre Altersversorgung von den berufsständischen Versorgungseinrichtungen. Die Leistungen der Versorgungswerke sind grundsätzlich beitragsabhängig. Zur Finanzierung werden kapitalbildende Verfahren eingesetzt, die das in der Lebensversicherung gebräuchliche Anwartschaftsdeckungsverfahren verwenden und das weit verbreitete offene Deckungsplanverfahren, bei dem künftige Beiträge und Versorgungsansprüche in die versicherungsmathematische Kalkulation einbezogen werden.

Im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) erhalten die berufsständischen Versorgungswerke bislang keinerlei staatliche Zuschüsse. Sie finanzieren sich alleine aus den Mitgliedsbeiträgen. Der Stammwert der in das Versorgungswerk eingezahlten Rentenanwartschaft kann den Mitgliedern, die einem Versorgungswerk angehören, nicht verlorengehen, wenn diese – etwa wegen der Euro-Krise – in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Aber wer kommt im Insolvenzfall für die Renten der Freiberufler auf? Auf diese Frage ist in einer aktuellen Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages keine abschließende Antwort erfolgt. Die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV) betont zwar, kein Versorgungswerk habe bislang „gravierende Finanzierungsprobleme“. Sollte die Niedrigzinsphase allerdings über einen langen Zeitraum andauern, werde man „über Anpassungen nachdenken müssen“, erklärte ABV-Chef Hartmut Kilger. Man könne schließlich nicht verteilen, „was man vorher nicht erwirtschaftet hat“.

Schon 1990 wurde in einer ausführlichen Studie vor den demographisch und soziologisch begründeten Gefahren für die Versorgungswerke gewarnt. Die zwangsweise versicherten Freiberufler ab Jahrgang 1985 werden demnach nicht das erhalten, was sie einbezahlt haben. Von einem Ausgleich der Inflationsrate könne keine Rede sein. Die Bundestagsabgeordneten ignorierten damals die zu erwartenden Gefahren.

Solange die Zusagen für Altmitglieder tabu sind, müssen die jüngeren Freiberufler die Lücken bei den Rentnern durch eine Verringerung ihrer eigenen Ansprüche stopfen. Sind die letzten Kapitalreserven aufgebraucht, gleichen die Erträge nicht einmal die Inflation aus. Die Krise der berufsständischen Versorgungswerke zeichnet sich schon jetzt deutlich ab: Wegen der niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt entwickeln sich gravierende Finanzierungsprobleme.

Die Finanz- und Euro-Krise erzwingt eine Entwertung von Geldvermögensbeständen. Das geht auch an den Altersversorgungen nicht spurlos vorbei. Etwa 125 Milliarden Euro verwalten die ABV-Einrichtungen. Grundlage der Rentenkalkulation ist der Rechnungszins, der in der Regel bei vier Prozent festgezurrt ist. Versicherungsmathematiker gehen davon aus, daß sich die Mitglieder künftig auf weit niedrigere Renten einstellen müssen. Ein Problem der Versorgungswerke ist auch, daß „Langlebigkeit“ und somit längere Rentenbezugszeiten nicht konkret kalkuliert werden können. Entweder müssen die Versicherten auf einen Teil ihrer angesparten Summen verzichten – oder die jetzige Rentnergeneration profitiert von den aktuellen Einzahlungen der Arbeitenden, die dann als Rentner noch weniger erhalten.

Auch die betriebliche Altersversorgung entwickelt sich für die Unternehmen zu einem teuren Unterfangen. Dabei hat sie von allen Säulen der Altersvorsorge bislang den besten Ruf. Die GRV verkommt wegen der demographischen Probleme zu einer symbolischen Anerkennungsprämie für ein ganzes Arbeitsleben. Die private Vorsorge (Riester, Rürup & Co.) ist eine Lachnummer. Wer vom Arbeitgeber bei der Altersvorsorge speziell subventioniert wird, ist vor derartigen Enttäuschungen eigentlich geschützt. Doch die Fimen sind je nach Art und Umfang der übernommenen betrieblichen Zusagen ebenfalls von Demographie und Finanzkrise betroffen.

In den betrieblichen Rentenkassen klafft eine Milliardenlücke, die aufgrund des Zinstiefs immer größer wird. Für viele Unternehmen wächst sich das Dauertief zu einem Riesenproblem aus. Die betriebliche Altersvorsorge war als sicherer Teil des Rentensystems gedacht. Inzwischen müssen auch diese 17 Millionen „privilegierten“ Arbeitnehmer in Deutschland um ihre Altersversorgung fürchten. Nach verschiedenen Berechnungen haben die Gesamtverpflichtungen aller 30 Dax-Konzerne wegen der Niedrigzinsen seit Jahresbeginn um gut 40 Milliarden Euro auf fast 300 Milliarden Euro zugenommen. Mit dem Rechnungszins ermitteln die Unternehmen, wieviel Geld sie für künftige Verpflichtungen heute vorhalten müssen. Gleichzeitig brechen die Gewinne wegen der schwächer werdenden Konjunktur ein. Schnelle Entlastung ist nicht in Sicht. Auch Pensionskassen wie Lebensversicherer tun sich schwer, mit ihren Kapitalanlagen ausreichend Rendite zu erwirtschaften. Für konservative Geldanlagenpolitik sinken die Zinssätze gegen null. Die Euro-Krise verschärft den Druck auf die Firmen. Unternehmen müssen wegen des Zinsproblems für die zugesagten Betriebsrenten nachschießen.

Zehn Jahre nach der rot-grünen Rentenreform zeigt sich zudem, daß der Einstieg in die kapitalgedeckte Rente gescheitert ist. Die gesetzlich garantierte GRV-Rente fällt, die private Vorsorge, welche die Lücke schließen sollte, gleicht das aber nicht aus. Der sogenannte Garantiezins (Höchstrechnungszins) ist kontinuierlich von einst vier Prozent auf aktuell 1,75 Prozent abgestürzt.

Laut Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) lag die Gesamtverzinsung in der klassischen Lebensversicherung – nach Abzug der Kosten und unter Einrechnung der Überschüsse – 2010 im Branchenschnitt bei 4,8 Prozent. Zu D-Mark-Zeiten waren es allerdings noch sieben bis acht Prozent. Die angebliche Zukunftsfestigkeit der Kapitaldeckung erweist sich als falsches Versprechen. Die Riester-Rente sollte dazu führen, daß Arbeitnehmer bis zu vier Prozent ihres Einkommens in private Rentenfonds einzahlen. Doch diese vier Prozent wurden nicht zusätzlich gespart, sie ersetzten nur andere Sparformen. Die Sparquote der privaten Haushalte hätte steigen müssen. Doch das war nicht der Fall.

Es bleibt die Erkenntnis: Die klassischen drei Säulen der bundesdeutschen Altersversorgung – gesetzliche, betriebliche und private Rente – stehen vor tiefgreifenden Problemen, für die es noch keine Lösungen gibt.

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