© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Kampf an allen Fronten
Islam in Deutschland: Selbtbewußte Muslime erringen mehr und mehr Sonderrechte / Verunsicherte Politik setzt auf Entgegenkommen
Josef Hämmerling

Kreischende weibliche Fans, die BHs und Slips auf den Ayatollah werfen. Was sich wie der neueste Satirefilm gegen den Islam anhört, ist in Wirklichkeit schon 25 Jahre alt. Im Februar 1987 zeigte die ARD „Rudis Tagesshow“. In dem 14-Sekunden-Filmchen nahm der holländische Showmaster Rudi Carrell den achten Jahrestag der islamischen Revolution im Iran auf die Schippe. Dies entwickelte sich zum weltweit ersten Karikaturen-Skandal. Die Folge waren eine Schließung der Konsulate und des Goethe-Instituts, die Einstellung des Flugbetriebs zwischen dem Iran und Deutschland, die Ausweisung des stellvertretenden deutschen Botschafters und des Kulturattachés sowie Massendemonstrationen vor der deutschen Botschaft.

Schlimmer noch: Rudi Carrell mußte wegen Morddrohungen unter Polizeischutz gestellt werden. Erst als er mehrfach sein Bedauern aussprach und sich formell beim iranischen Volk entschuldigte, beruhigte sich die Lage. Zu einer vom Iran geforderten Entschuldigung der Bundesregierung kam es allerdings nicht: Man billige den geschmacklosen Scherz nicht, ließ Bonn verlauten und verwies auf die Meinungsfreiheit der Medien.

25 Jahre danach sorgt die Frage nach dem Einfluß des Islam in Deutschland nicht nur für außenpolitische Spannungen, sie hat sich auch längst gesellschaftlich manifestiert. Höhepunkt bildete vergangene Woche der Verzicht des Bundesinnenministeriums auf eine Plakatkampagne gegen die Radikalisierung junger Muslime. Begründet wurde dieser Schritt mit einer „aktuellen Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes“. Die islamistische Organisation Milli Görüş jubilierte: „Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, erklärte ihr stellvertretender Vorsitzender Mustafa Yeneroğlu, allem Anschein sei das Bundesinnenministerium doch „vernünftig“ geworden und habe die „breite Kritik“ erhört.“

Gab es 1945 gerade 6.000 Muslime in Deutschland, stieg die Zahl bis Mitte der 70er Jahre auf 1,2 Millionen an und liegt nun bei knapp 4,5 Millionen Personen. Für 2030 werden 5,5 Millionen Muslime erwartet. Den größten Anteil stellen dabei die Türken mit rund 2,7 Millionen Menschen.

Parallel hierzu nahm die Zahl der muslimischen Vereine deutlich zu. Damit wurde auch das Auftreten dieser Glaubens- und Interessenorganisationen immer engagierter und der Einfluß auf Medien und Politik größer. Die bekannteste ist die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB). Binnen nur 30 Jahren stieg die Zahl der DITIB angeschlossenen Moscheen von 230 auf 900. Weitere wichtige Verbände sind Milli Görüş mit rund 30.000 Mitgliedern in 16 Landesverbänden und 250 Moscheen, der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ; 300 Moscheen), sowie der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD; 300).

Im Zuge dieser Entwicklung hat nicht nur der Moscheebau zugenommen, sondern auch die selbstbewußte Besinnung auf die Vorschriften des Islams. Stimmten im Jahr 2000 erst 27,2 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime der Aussage zu, Frauen sollten in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen, waren es 2005 bereits 46,6 Prozent. Auch die Zahl derjenigen, die eine Koranschule besuchen, wächst stetig – interessanterweise liegt sie mit 60,2 Prozent am höchsten bei den in Deutschland Geborenen. Und je länger der Koranschulbesuch, desto stärker die religiös fundamentale Orientierung!

Quintessenz: Muslimorganisationen kritisieren Diskriminierung und fordern mehr Rechte. Gebete und Gebetsräume am Arbeitsplatz sind da nur eine Seite. Vor allem in der Schule tobt seit langem der Kampf um Sonderrechte. Im Fokus hierbei der Schwimmunterricht. Hier hat das Oberverwaltungsgericht Münster nun in einem Grundsatzurteil entschieden, daß das Elternrecht vor den Erziehungsauftrag geht und daß ein muslimisches Mädchen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen braucht, wenn es nicht die vom Islam vorgeschriebene Kleidung, also Burka, tragen darf.

Mittlerweile hat sich beim Schwimmunterricht der Kompromiß des „Burkinis“ durchgesetzt, ein eng anliegender Ganzkörperanzug mit Schwimmhaube. Ähnliche Sonderregelungen gibt es auch beim Sport- und Sexualkundeunterricht. Im Gespräch sind dessen ungeachtet die Befreiung von demselben und die Forderung nach Geschlechtern getrennten Unterrichts.

Sonderwege werden auch hinsichtlich muslimischer Feiertage eingeschlagen. So hat die Hamburger Schulbehörde bereits vor einigen Jahren die Lehrer aufgefordert, mehr Rücksicht auf islamische Schüler während des Ramadans zu nehmen. Diese sollten während dieser Zeit zudem „nicht zu sehr gefordert“ werden. Auch Klassenreisen sollten nicht stattfinden, sie könnten für die islamischen Schüler „eine zu große Belastung sein“. Im August folgte dann die Entscheidung, islamische Feiertage anzuerkennen.

Während in Hamburg nun Politik und Muslimverteter den „historischen“ Schritt feierten, ging Nordrhein-Westfalen noch einen Schritt weiter und führte als erstem Bundesland islamischer Religionsunterricht ein. Hessen will im Schuljahr 2013/14 nachziehen.

Dem nicht genug. Die Forderungskatalog der muslimischen Organisationen in Deutschland ist lang: So soll es etwa, um nur zwei Beispiele zu nennen, eine lückenlose Kennzeichnungspflicht von Schweineprodukten in Lebensmitteln geben, und in Jugendstrafanstalten soll generell auf Schweinefleisch verzichtet werden.

Unterstützung finden all die die Forderungen bei den Moslemverbänden und in deren zahlreichen Internetforen. Beispiel: www.muslim-markt.de. Hier finden Moslems Hilfestellung zu allen Lebensbereichen, angefangen von den wichtigsten Urteilen zum Islam in Deutschland, zudem Musterbriefe für Unterrichtsbefreiungen sowie Hinweise zu Eheschließungen, Tierschlachtungsformalitäten bis hin muslimischen Gebetsstätten.

Diesbezüglich fordert in Berlin der Moscheeverein DITIB-Sehitlik mehr islamgerechte Beerdigungsstätten. Die seit 2003 freigegebenen Teile für 2.000 Grabstätten werden spätestens Anfang 2013 belegt sein. Mittlerweile leben rund 300.000 Muslime in der deutschen Hauptstadt. Und während in Berlin die Gräber nach 20 Jahren umgelegt werden, verlangt der Islam ewige Totenruhe und erlaubt kein Umbetten.

Vor allem ist es inzwischen die Rechtsprechung, die das islamische Recht immer mehr über deutsches Recht stellt: So sind seit acht Jahren Vielehen in Deutschland offiziell anerkannt. Nach einem Urteil des rheinland-pfälzischen Oberwaltungsgericht mußte die Stadt Ludwigshafen der Zweitfrau eines Irakers, der in Deutschland Asyl beantragt hatte, die Aufenthaltserlaubnis erteilen. Da die Ehe nach islamischen Recht rechtmäßig war, könne man in Deutschland diese Ehe nicht zwangs-trennen und eine der beiden Ehefrauen des Mannes ausweisen. In Gifhorn wurde ein Muslim wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung lediglich zu einer 18monatigen Bewährungsstrafe verurteilt, wobei „kulturelle Besonderheiten“ sich strafmildernd auswirkten. In Osnabrück wurde ein Moslem, der 2006 eine Elfjährige vergewaltigte, wegen „seiner kulturell geprägten Erziehung“ lediglich zu 21 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Übrigens: 1987 hielt sich die Empörung für Rudi Carrells Satire in Deutschland noch in Grenzen. „Wenn die Entfaltung der Meinungsfreiheit bei uns die religiösen Gefühle anderer Völker und Menschen verletzt, tut es mir aufrichtig leid“, bedauerte Willy Brandt (SPD).Und selbst der Grünen-Politiker Otto Schily konnte die Aufregung nicht verstehen: Im Iran würden die Menschenrechte mit Füßen getreten. „Aber wenn ein sogenannter Religionsführer mit Damenunterwäsche in Verbindung gebracht wird, dann soll die Welt untergehen.“

Fünfundzwanzig Jahre später hört man andere Töne. Die politische Botschaft „Der Islam gehört zu Deutschland“ (Ex-Bundespräsident Christian Wulff) erfährt auf politischer Ebene bis auf wenige Ausnahmen kaum Widerspruch. Kein Wunder, das der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) auf einem türkisch-islamischen Kulturfest erklärte: „Der Islam ist Bestandteil Bayerns.“

 

Deutschland im Bann des Islam

Islamkompatible Speisen

Februar 2006: Aufgrund fehlender deutscher Schüler gibt es an der Richard-Grundschule in Berlin-Neukölln nur noch islamkompatible Speisen.

Selbstzensur an Berliner Oper

Im September 2006 sorgt die Absetzung der Mozart-Oper „Idomeneo“ für Aufsehen. Kanzlerin Merkel kritisierte die „Selbstzensur“. Die Absage wurde mit Angst vor islamistischen Störungen begründet.

Kein Gebet auf Schulgelände

Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht entscheidet, daß der muslimische Schüler Yunus M. sein rituelles Mittagsgebet nicht auf dem Schulgelände abhalten darf (November 2011).

Größte Moschee eröffnet

In Duisburg-Marxloh wird im Oktober 2008 die bisher größte Moschee Deutschlands eröffnet. Die DITIB-Merkez-Moschee bietet Platz für mehr als 1.000 Menschen.

Schwieriger Schulalltag

Im September 2010 geht die Handreichung „Islam und Schule“ an die Berliner Schulen. Sie bietet Lehrern Hilfe bei Konflikten, die immer dann auftreten können, wenn islamische Normen und Wertvorstellungen mit dem Schullalltag kollidieren.

Einführung islamischer Feiertage

August 2012: Als erstes Bundesland spricht Hamburg Muslimen in einem Staatsvertrag das Recht auf religiöse Feiertage zu.

Islamischer Religionsunterricht

Nordrhein-Westfalen führt als erstes Bundesland islamischen Religionsunterricht ein (August 2012).

Selbstzensur in Plakatfrage

Das Innenministerium verzichtet auf seine Kampagne gegen die Radikalisierung junger Muslime (September 2012).

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