© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

„Sie können etwas tun“
Ist es nur Vergeßlichkeit oder schon Demenz? Kann man Alzheimer vorbeugen? Und wie ist es, daran zu erkranken? Alters-Forscher Anders Wimo antwortet.
Moritz Schwarz

Herr Professor Wimo, ich werde älter und fange an, Dinge zu vergessen. Bekomme ich Alzheimer?

Wimo: Vergeßlich werden kann man auch, ganz ohne Demenz zu bekommen. Manche Leute sind ihr ganzes Leben über sehr vergeßlich, das kann alle möglichen Ursachen haben.

Gut, aber wie läßt sich zunehmende Altersvergeßlichkeit von beginnender Demenz unterscheiden?

Wimo: Es muß sich eine signifikante Veränderung einstellen. Wenn Sie zum Beispiel plötzlich nicht mehr auf den Namen eines bekannten Schauspielers kommen – Entwarnung, so etwas ist noch kein Grund zur Beunruhigung. Anders sieht es dagegen aus, wenn Sie vergessen haben, daß Sie überhaupt unlängst im Kino einen Film mit ihm gesehen haben. Die Wissenschaft geht heute allerdings auch von einem Grenzstadium zur Demenz aus.

Der sogenannten „Leichten kognitiven Störung“.

Wimo: Manchmal auch „Leichte kognitive Beeinträchtigung“ genannt. Zehn bis fünfzehn Prozent der LKB-Patienten dämmern jedes Jahr hinüber in die Demenz, andere LKB-Kranke dagegen nie, und manche erhohlen sich von der LKB sogar wieder vollständig.

Bei Krebs erhöht Früherkennung die Chance zur Heilung erheblich. Funktioniert das auch bei Alzheimer?

Wimo: Noch gibt es keine wirkliche Heilung für Alzheimer. Immerhin aber sind Medikamente in der Erprobung, die hoffentlich einmal nicht nur – wie die Mittel, die heute schon auf dem Markt sind – die Symptome bekämpfen, sondern auch die der Krankheit zugrundeliegende Schädigung beziehungsweise das Absterben von Nervenzellen im Gehirn verhindern.

Bei der Alzheimer-Früherkennung geht es keineswegs nur um Medikamente,wie der Geschäftsführer der weltweiten Dachorganisation der Alzheimer-Gesellschaften ADI, Marc Wortmann sagt (siehe Interview oben).

Wimo: Da kann ich nur zustimmen. Alzheimer ist nicht nur eine medizinische Herausforderung, sondern auch eine soziale. Es geht auch darum, Zeit zu haben, sich auf die Krankheit einzurichten, betroffene Angehörige müssen aufgeklärt, ein Pflegeplan erstellt, rechtliche Dinge müssen geregelt werden etc.

Kann ich durch „gesunde“ oder „ungesunde“ Lebensführung mein Alzheimer-Risiko mindern beziehungsweise erhöhen?

Wimo: Sie können etwas tun. Inzwischen gibt es in der Tat Erkennntisse darüber, daß der Lebensstil eine Rolle bei der Vermeidung von Demenz spielen kann. Etwa sechzig Prozent oder mehr der Demenzkranken leiden unter Alzheimer. Die danach zweithäufigste Demenz-Erkrankung ist die Vaskuläre Demenz. Diese wiederum ist eng verbunden mit Kardiovaskulären Erkrankungen, wie Gehirnschlag, Herzinfarkt oder Fettleibigkeit. Dagegen wiederum helfen Maßnahmen wie Bewegung, Gewichtsabnahme, das Rauchen aufzugeben, aber auch eine geistig aktive Lebensführung.

Gut, aber was ist mit Alzheimer?

Wimo: Es besteht begründete Hoffnung, daß dies auch gegen Alzheimer hilft. Das Problem ist nur, daß Studien, die darauf hinweisen, daß dem so ist, noch nicht durch Interventionsstudien gegengeprüft worden sind. Somit können wir leider nur von Hoffnung sprechen, noch haben wir keinen wissenschaftlich stichfesten Nachweis dafür. Da diese Maßnahmen aber auch so für Ihre Gesundheit förderlich sind, schlage ich vor: Warten Sie nicht auf Alzheimer-Interventionsstudien, beginnen Sie einfach jetzt mit einem gesunden Lebensstil!

Wie ist es, Alzheimer zu bekommen?

Anders: Zu Beginn erlebt man die Demenz noch bewußt mit, manchmal ja sogar ohne zu wissen, daß es sich schon um Demenz handelt. Aufgrund des Kommunikationsproblems mit schwer dementen Menschen ist es aber schwierig für uns, Klarheit darüber zu erlangen, wie sie später ihren Zustand empfinden. Auf jeden Fall aber benötigen diese Patienten eine 24-Stunden-Rundumbetreuung, sonst verwahrlosen sie. Und sie haben auch im Zustand völliger Verwirrung noch alle menschlichen Bedürfnisse, etwa nach Gesellschaft, Liebe, Freude, Schutz vor Angst und Schmerz.

Stirbt man eigentlich an Alzheimer?

Wimo: Alzheimer – Demenz allgemein – verkürzt das Leben in der Tat, so etwa um zwei bis vier Jahre. Im Schnitt leben Demente noch zehn bis fünfzehn Jahre. Dabei ist die Demenz selbst aber nicht der Grund für das Sterben, sondern etwa Lungenentzündungen oder Infektionen, die sich aber leichter einstellen, da der Körper im dementen Zustand abbaut und die Person auf umfassende Betreuung angewiesen ist. Auch haben demente Menschen meist Probleme mit dem Kommunizieren. Sie können nicht mitteilen, wenn sich etwa ein Herzschlag durch Schmerzen in der Brust ankündigt. Pflegende müssen deshalb lernen, die Kommunikationssignale Dementer und ihre Bedürfnisse optimal zu erkennen.

 

Prof. Dr. Anders Wimo lehrt am Alzheimer-Forschungszentrum des schwedischen Karolinska-Instituts bei Stockholm, das als eine der besten medizinischen Forschungseinrichtungen der Welt gilt.

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen