© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

„Deutschlandbraucht Sie“
Rückkehr deutscher Akademiker: Netzwerker wie die des German AcademicInternational Network informieren und helfen bei der Wiedereingliederung
Sverre Schacht

Der Wissenschaftsstandort Deutschland braucht Sie.“ Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Helge Braun, nahm kein Blatt vor den Mund, als er vor knapp 300 deutschen Wissenschaftlern in Boston um deren Rückkehr nach Deutschland warb. In diesem Kontext unterstrich der CDU-Bundestagsabgeordnete den eklatanten Fachkräftemangel im Bereich von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) und verwies auf die Vorteile einer Rückkehr. Während in Deutschland, so Braun, die Investitionen in Bildung und Forschung gerade vor dem Hintergrund der dritten Förderrunde der Exzellenzinitiative (siehe Infokasten) in den nächsten Jahren ansteigen würden, führe die anhaltende Wirtschaftsschwäche in den USA zu einer Verschlechterung der Lage.

Geladen zur 12. Jahrestagung des German Academic International Network (GAIN) am Bostoner Marriott Copley Place, auf der sich Anfang September auch rund 50 Aussteller, die über 70 deutsche Hochschulen, Unternehmen, Forschungs- und Fördereinrichtungen präsentierten, hatten der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).

GAIN, gegründet im Jahr 2003 und 4.500 Mitglieder stark, ist das Netzwerk deutscher Wissenschaftler in Nordamerika. Es dient der besseren Kommunikation zwischen Wissenschaftlern in Deutschland und Nordamerika, zeigt Karriereoptionen und Zukunftsperspektiven für Rückkehrwillige auf und unterstützt Akademiker bei der beruflichen Wiedereingliederung in Deutschland.

Deren Anzahl ist groß. Abgewanderte deutsche Wissenschaftler wollen vermehrt in die Heimat zurück. Doch hier treffen sie trotz vieler um sie werbender privater wie staatlicher Initiativen auf die Probleme von einst. Akademischer Klüngel bei der Postenvergabe, schlechte Bezahlung und mangelnde Anerkennung im Ausland erworbener Leistungen stehen Bemühungen zur weiteren Trendumkehr der lange gefürchteten Abwanderung der Bildungselite (Brain Drain) im Weg. Es fehlt an Geld und Organisation.

„Es ist ein Zurück, von dem ganz Deutschland profitiert“, schreibt die Alfred Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung zu ihrem nun abgeschlossenen Rückkehrförderprogramm. Die Stiftung hat dank Ausführung durch die German Scholars Organization e.V. (GSO) binnen sechs Jahren 52 deutschen Wissenschaftlern ermöglicht, aus der Fremde wieder an hiesige Universitäten zu gelangen. Maximal 100.000 Euro pro Lehrstuhl wurden im Rahmen des 5,8 Millionen Euro umfassenden Projekts bewilligt. Fünf Jahre beträgt die Höchstförderdauer.

Allerdings klammerte das Projekt Doktoren aus und betraf mehr als zur Hälfte die MINT-Fächer. Viele deutsche Studenten wie Forscher gehen derweil nach dem Abschluß des Studiums weiter in die Fremde. Laut HIS-Institut für Hochschulforschung gehen in zwei bis drei Jahren jährlich allein 11.000 Bachelor-Absolventen, um im Ausland weiteren Abschlüssen und Studien nachzugehen. Der Bologna-Prozeß der EU beschleunigt die Mobilität. Wie viele Forscher genau gehen, wird nicht statistisch erfaßt. Schätzungen gehen von bis zu 100.000 Akademikern jährlich aus.

Die dank der Initiative Heimgeholten „bringen durch ihre Rückkehr nun Forschung und Lehre in Deutschland voran“, so das Papier von Krupp und GSO. Das Programm ist trotz großer Nachfrage beendet, was von Anfang an so vorgesehen gewesen sei, heißt es seitens der GSO. Mit Krupp als Partner geht es demnach nicht weiter, ob es eine Neuauflage gibt, ist noch unklar.

Der Wunsch deutscher Bildungseliten im Ausland, sich ihren Wurzeln zuzuwenden, hält seit geraumer Zeit an. Im Sommer letzten Jahres schrieben einhundert auf Rückkehr hoffende Akademiker dem damaligen Bundespräsident einen Brandbrief. Reformen gingen den zumeist jungen Forschern zu langsam voran. „Deutschland ist definitiv auf dem richtigen Weg“, erklärten stellvertretend Katrin Arnold und Eva-Jasmin Freyschmidt von der Harvard Medical School in Boston zu Exzellenzinitiativen und Juniorprofessuren. Allein „Angst vor zu viel frischem Wind und der Unglaube, daß man nach mehreren Jahren im Ausland überhaupt noch in ein deutsches System passe“ würde ihnen in Deutschland noch immer begegnen, heißt es in dem Brief.

Laut Angaben von Krupp und GSO ist der Andrang von Professoren wie Universitäten bei der Vermittlung von Rückkehrerlehrstühlen groß. So groß, daß die GSO zeitweise einen Aufnahmestopp verkünden mußte. In Gesprächen mit Rückkehrern haben die beiden Organisationen „erörtert, wie sich deutsche Universitäten im globalen Wettbewerb um international renommierte Akademiker behaupten können – damit aus der Rückkehr von einigen Fortschritt für viele entsteht“.

Dieser forschende Blick schweift vor allem Richtung USA. Gut 6.000 deutsche Akademiker arbeiteten dort laut DAAD im Jahr 2008. Vier Jahre später sind es inzwischen „nur“ noch 5.000. Der Trend dreht somit Richtung Rückwanderung: Mehr in den USA tätige deutsche Forscher orientieren sich heimwärts.

Der Drang, in die „alte Welt“ zurückzukehren, beruht nach Aussagen der Forscher in den USA vor allem auf den dortigen harten Einsparungen, nicht etwa vorrangig auf positiven Veränderungen in der alten Heimat. Viele unterbezahlte Juniorprofessuren und zu kleine, international so kaum konkurrenzfähige Fachbereiche in Deutschland stehen nach wie vor ganz oben auf der Mängelliste. Das hält viele noch von Rückwanderung ab.

Schon 2008 stellte die GSO ein Finanzierungsproblem deutscher Hochschulen bei der Einrichtung von Stellen fest: „Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß den Universitäten in vielen Fällen nur vergleichsweise geringe Mittel fehlen.“ Die von der Krupp-Stiftung betreuten Wissenschaftler machen deutlich, daß ohne die Überbrückung von Finanzierungslücken durch die Initiative so manche selbst aktiv am Rückkehrer interessierte deutsche Universität die Einstellung nicht hätte stemmen können. Dabei haben die Auslandsprofessoren nach wie vor die Wahl.

Nur die wenigsten wollten zurück, weil eine Stelle im Ausland auslief. Undurchsichtige Berufungsverfahren aber auch fehlende Unterstützung, beispielsweise für Familien, wirkten sich dennoch negativ auf Rückkehrpläne aus. Andererseits lobten die befragten Professoren die allgemein bessere personelle Ausstattung deutscher Unis.

Die Krux: GAIN ist nur eine Organisation unter den Netzwerken und Initiativen des DAAD, der Humboldt-Stiftung und Deutschen Forschungsgemeinschaft. Um herausragende Nachwuchswissenschaftler für den Forschungsstandort Deutschland zu gewinnen, so die DFG, sei man international aktiv: „Wissenschaft ohne internationale Zusammenarbeit ist undenkbar, denn viele Forschungsziele können nur in Kooperationen mit den weltweit besten Partnern erreicht werden.“

Entsprechend breit gefächert gibt sich der DAAD bei der Rückkehrförderung. Die Institution, die 2011 in 250 Programmen gut 70.000 Deutsche und Ausländer unterstützte, veröffentlichte im Februar eigens ein „DAAD-Positionspapier zu akademischer Mobilität und Fachkräftemigration“. Das legt fest: „Eine merkantilistische Beurteilung akademischer Migration als ‘Brain Drain’ oder ‘Brain Gain’ ist einseitig und durch die aktuelle Forschung nicht gestützt.“ Will heißen, wer auf nationaler Ebene Zu- mit Abwanderung von Bildungseliten vergleicht, hat keine Ahnung.

Die Organisation fürchtet offensichtlich durch betonte Rückholförderung ihr Hauptanliegen zu gefährden, den weltweiten Austausch von Studenten und Wissenschaftlern. Der DAAD ist hierbei nach eigenen Angaben Weltspitze. Aktuelle Zahlen der Organisation legen dennoch nahe, daß Deutschland im Wettbewerb um die klügsten Köpfe noch zulegen kann: „Einen akademischen Wanderungsgewinn von 4,1 Prozent“ bescheinigt der DAAD Deutschland derzeit. Das sei mehr als der Durchschnitt der OECD-Staaten (3,6 Prozent). Frankreich verzeichnet trotz wirtschaftlicher Probleme Wanderungsgewinne von acht Prozent.

Bei derartigen Zahlenspielen um internationale akademische Mobilität spielt die Rückkehr deutscher Akademiker nur eine Nebenrolle. Dennoch werten die Besucher die Bostoner GAIN-Jahrestagung als Erfolg. Michael Giese, Postdoctoral Fellow, Department of Chemistry an der Universität in British Columbia, hob hervor, daß ihm „Wege aufgezeigt“ wurden, eine „eigene akademische Karriere in der deutschen Wissenschaftskultur zu starten“ und Staatssekretär Braun freute sich, jemanden aus seiner Gießener Heimat zu treffen.

Und Sven Anders, in Gießen geboren, an der Justus-Liebig-Universität promoviert und heute als „Associate Professor“ an der University of Alberta in Kanada lehrend, machte gegenüber Staatssekretär Braun keinen Hehl daraus, daß Deutschland in den letzten zwei bis drei Jahren „enorm aufgeholt“ habe. Ob er dies jedoch zum Anlaß nehme, zurückzukehren, hänge „letztendlich aber von einem konkreten Angebot mit langfristiger Perspektive ab“.

 

Exzellenzinitiative

Die Exzellenzinitiative wurde im Jahr 2005 von Bund und Ländern beschlossen. Ziel der Initiative ist, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandortes Deutschland zu verbessern, diesen nachhaltig zu stärken sowie Spitzenforschung im Universitäts- und Wissenschaftsbereich sichtbarer zu machen. Sie ist in drei Stufen unterteilt. Für die ausgewählten Hochschulen standen im Rahmen der ersten beiden Auswahlrunden in den Jahren 2006 bis 2012 insgesamt 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung. Für den Zeitraum 2012 bis 2017 stellen Bund und Länder für die dritte und letzte Runde insgesamt 2,7 Milliarden Euro bereit. Mitte Juni 2012 hat der Bewilligungsausschuß aus Wissenschaft und Politik insgesamt 39 Universitäten ausgewählt. Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung sind von den geförderten Projekten bis dato rund 4.200 Wissenschaftler rekrutiert worden. Etwa ein Viertel der Rekrutierten kam aus dem Ausland, „viele“ davon kehrten als „Bildungsheimkehrer“ nach Deutschland zurück.

www.gsonet.org

www.gain-network.org

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