© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Pankraz,
Prof. Nan Lin und die bösen Ressourcen

Ressourcen-Konflikte“ hieß das Thema des 49. Deutschen Historikertags letzte Woche in Mainz. Der Deutsche Historikertag, der – schon seit Kaisers Zeiten – unter normalen Umständen alle zwei Jahre in wechselnden Ortschaften stattfindet, ist eine Art Familientreffen der deutschen Historikerzunft, und es kommt für die jeweiligen Organisatoren stets darauf an, einen schön allgemeinen Generaltitel für die Veranstaltung zu finden, unter dem auch noch der abgelegenste Vortrag und das skurrilste Symposion Platz finden können. Das diesjährige Thema erfüllte dieses Postulat geradezu ideal.

Alles, was geschieht, ist ja in irgendeiner Weise ein Ressourcen-Konflikt, zumal wenn man (wie es die Mainzer Organisatoren taten) ausdrücklich auch „geistige Ressourcen“ mit einbezieht, zum Beispiel religiöse Überzeugungen, politische Ideologien, traditionelle Bildungsstandards. Über all das kann man sich streiten, auf all das kann man eifersüchtig sein und deshalb Kriege vom Zaun brechen – und so entsteht Geschichte, nicht anders, als wenn man sich über Bodenschätze oder Sklavenheere in die Haare gerät.

Wieso aber „Ressourcen“? Was unterscheidet eine Ressource von bloßem Besitz, bloßem Ausbeutungsobjekt, bloßem Habenwollen? Darüber erfuhr man in Mainz nichts, soweit es Pankraz mitbekommen hat. Dabei wäre gerade das wichtig gewesen, hätte man zutage gebracht, daß das Ressourcendenken selber eine Geschichte hat, wenn auch eine recht kurze, exklusiv neuzeitliche. Kein Stammeshäuptling und auch kein mittelalterlicher Herzog oder König wäre je auf den Gedanken gekommen, seine Eroberungen als Ressourcen zu bezeichnen. Er hatte sie eben und ergötzte sich an ihnen.

Erst mit dem Aufkommen des modernen Technik- und Kalküldenkens änderte sich das; das Wort „Ressource“ stammt aus dieser Zeit des René Descartes und Francis Bacon und bedeutete „Quellgrund“ und „ein Mittel, um eine Sache immer weiter voranzutreiben“. Über Ressourcen zu verfügen, machte einen nicht zufrieden, sondern stachelte zu dauernden Weiterungen und Neuerwerbungen an. Schon Thomas Hobbes im siebzehnten Jahrhundert konstatierte dementsprechend: „Dieses Geschlecht“ (er meinte die Menschen) „ist nicht hungrig auf dies oder das, sondern es ist hungrig auf den Hunger.“

Inzwischen gibt es an vielen Fakultäten und bei innerbetrieblichen Managerkursen eine richtige, ausgedehnte Ressourcen-Wissenschaft. Man unterscheidet sorgfältig zwischen „materiellen“ Ressourcen (Erdöl, seltene Erden, Regenwälder) und „personellen“ Ressourcen (Charaktereigenschaften, besondere Begabungen, verwertbare „geistige Haltungen“), man brütet über „Ressourcenallokation“, das heißt Aufteilung von Ressourcen in „Haupt- und Nebenspeicher“, und über eventuelle „Ressourcenrisiken“.

Der bekannte Ressourcenforscher Professor Nan Lin (75) von der Duke University im US-Staat Nordkarolina vertritt vehement die Meinung, daß die personellen Ressourcen („das soziale Kapital“, wie er sich ausdrückt) für die Staaten letztlich wichtiger seien als die materiellen. Wer künftig oben bleiben wolle, der müsse sich vorrangig der Mobilisierung des sozialen Kapitals widmen, und diese Mobilisierung könne nur durch „kräftigste Investitionen in Beziehungen“ erreicht werden. Eine kräftige Vernetzung von Trägern personeller Ressourcen sei langfristig wichiger als der Erwerb von Lizenzen für neue Erdölfelder.

Ob das stimmt oder nicht, läßt sich schwer entscheiden, fest dürfte hingegen stehen, daß die Verteilung speziell der personellen Ressourcen zu völlig neuartigen Formen von Ressourcen-Konflikten führen wird. Die Ära solcher Konflikte, sofern sie für die Geschichtsschreibung belangvoll sind, wird also erst noch anbrechen; die großen kolonialistischen Abenteuer der frühen Neuzeit (Goldrausch, Gewürzrausch) und auch der europäisch-amerikanische Imperialismus des 19. und 20. Jahrhunderts waren dazu nur Vorspiele.

Hätten die zu ihrem Familientreffen in Mainz versammelten Historiker ihr Generalthema ernst genommen (statt es lediglich vergnügt als hübsches Label über ihren Gemischtwarenladen zu hängen), dann hätte sich diese Konstellation in der Struktur des Kongresses deutlich widerspiegeln müssen. Es wäre dann wohl auch in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, daß es nicht nur Ressourcen-Konflikte zwischen diversen Menschengruppen gibt, sondern längst auch einen immer bedrohlicher werdenden Konflikt zwischen den Menschen und den Ressourcen überhaupt, ausgedrückt in modernen Stichwörtern wie Ressourcen-Mißbrauch, Raubbau an den Ressourcen, definitiver Ressourcen-Verbrauch.

Nicht nur die materiellen Ressourcen werden überall knapp und laden sich dadurch zu unheimlichen Konfliktpotentialen auf, sondern nicht minder die personellen. Im selben Maß, wie sich die Bildungsanstalten immer mehr mechanisieren und digitalisieren und mit kurzbeinigen Zielvorgaben stromlinienförmig ausgedünnt werden, verfällt die Kraft zur durchschlagenden geistigen Innovation. Die Leute „verblöden“, und dagegen hilft auch die schönste Netzwerkpoesie von Prof. Nan Lin nichts. Minus plus Minus usw. gibt immer nur Minus.

Wie hieß es so schön in der Einladung zum 49. Deutschen Historikertag in Mainz? „Konflikte um Ressourcen zählen zu den bestimmenden Erscheinungen menschlicher Geschichte und prägen insbesondere Phasen historischen Strukturwandels. In einem ganz basalen Sinne sind das Überleben und die Entwicklung von Menschen und Menschengruppen davon abhängig, daß genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, durch eigene Anstrengung erzeugt oder auf andere Weise angeeignet werden können.“

Viel basaler als das Zur-Verfügung-Stehen, Erzeugen und Sich-Aneignen von Ressourcen ist aber das pure Da-Sein, das man nicht blindlings zur bloßen Ressource degradieren darf. Schließlich wollen die Historiker auch in Zukunft noch etwas zu erforschen haben.

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