© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Zeitschriftenkritik: Die Gazette
Die Angst der Politik
Werner Olles

Es gibt derzeit kaum ein politisches Magazin, in dem nicht über das kriselnde Finanzsystem mit all seinen Folgen für die Bürger berichtet wird. In aller Regel erfährt der Leser dabei jedoch nur wenig Neues, die meisten Nachrichten kennt man bereits und überfliegt sie großzügig. Das vierteljährlich erscheinende politische Kulturmagazin Die Gazette präsentiert dagegen in seiner aktuellen Ausgabe (Nr. 35, Herbst 2012) eine Reihe hervorragender Beiträge, deren Lektüre sich lohnt. So legt Herausgeber Fritz Glunk in seinem Editorial den Finger in die Wunde, wenn er nach dem „guten Europa“ fragt, „von dem wir geträumt haben“: „Seit Gerhard Schröder begehen unsere Regierungen achselzuckend fortgesetzte Rechtsbrüche bei den Maastricht-Kriterien.“ Zudem schaffe sich ein Parlament, das nicht mehr versteht, was es mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) auf sich hat, selber ab.

Der Wirtschafts- und Staatswissenschaftler Helge Peukert geht der Angst der Politik auf den Grund und fragt, warum unsere Abgeordneten zu Lasten der Steuerzahler bereitwillig vor den Interessen von global agierenden Banken und gewieften Spekulanten kuschen. Er sieht ein „nicht endenwollendes Durchwursteln aus billigem Geld und entfesselten Märkten, aus Turbokapitalismus und Turbokeynesianismus, aus ‘freier’ Marktwirtschaft und extremen Regierungseingriffen unter Aushebelung üblicher demokratischer Entscheidungsprozesse“. Ein Kartell von Banken, Großunternehmen und Politikern drifte europaweit in Richtung eines kaum für möglich gehaltenen staatsmonopolistischen Finanzkapitalismus ab.

Dieser Auffassung stimmt der Diplomvolkswirt und CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch ausdrücklich zu. Er plädiert für ein Umdenken und eine notwendige Kehrtwende der seit drei Jahren verfolgten falschen Politik, da die Euro-Einheitswährung nicht allen Mitgliedsstaaten nutzt, einigen sogar schadet. Fatal findet es Willsch, daß der versammelte wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand jener 250 Ökonomen, die sich Anfang Juli gegen die Bail-out-Politik der Bundesregierung und für einen anderen Weg der Krisenbewältigung ausgesprochen haben, von den Verantwortlichen in Berlin als „Spinnerei einzelner eitler Ökonomen“ abgetan wurde.

In gewohnter Eloquenz beschäftigt sich der Unternehmensanalytiker Max Otte mit dem Finanzsystem. Anstatt den subtilen, aber effektiven Methoden der großen Finanzmarktakteure und der Schattenbanken immer weiter nachzugeben und sich von der Finanzmarktoligarchie die Richtung vorgeben zu lassen, müßten die höheren Positionen des öffentlichen Dienstes endlich für Quereinsteiger geöffnet werden, die sich in der Realwirtschaft bewährt hätten. Deutschland habe seine historische Zurückhaltung zu überwinden und sich auf preußische und (alt-)bundesrepublikanische Tugenden zu besinnen. Dafür brauche es eine Koalition aus der Bürgerschaft, dem Mittelstand, den Volks- und Raiffeisenbanken und den Sparkassen.

Kontakt: Die Gazette Verlags GmbH. Postfach 44 02 11, 80751 München. Das Einzelheft kostet 9 Euro, das Jahresabo 32 Euro.

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