© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Bevölkerungstrachten
Trachten und Mode in einer entgrenzten Welt: Eine Ausstellung mit unklarer Begrifflichkeit im Dresdner Volkskunstmuseum
Sebastian Hennig

Die Einwirkung der Mode auf die stabile Trachtenordnung setzte ein mit der Erosion der alten Bindungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als auch die Forscher anfingen, die Trachten in den Blick zu nehmen und sie wie die Volkspoesie und -bauweise vor ihren Augen zerfielen. Steif wie die Kork-Rettungsringe an einem Brückengeländer hängen in der Dresdner Ausstellung „Sächsische Volkstrachten, Hiphop und Nadelstreifen“ die Altenburger Spenzer auf der Kleiderstange. Sie machen deutlich, wie der Zeitgeist sich an den Ärmelformen niederschlägt, von gerade über henkelförmig bis zum gebauschten Keulenärmel des Biedermeier. Eindrucksvoll in ihrer praktischen Schlichtheit ist die Grundausstattung einer verheirateten Frau aus der Gegend von Hoyerswerda: wenige Röcke, Jacken, Tücher, drei Hauben, Stricksocken und klobige Schuhe. Das alles barg ein brusthohes Schränklein.

Zwischen Trachten und Moden besteht ein gravierender Gegensatz. Die Tracht bringt überdauernde Ordnung zum Ausdruck, während die Mode befristete Vorlieben abbildet. Seit einigen Jahrzehnten hat sich eine universelle Alltagstracht durchgesetzt, die im beschrifteten oder bebilderten T-Shirt und der Jeanshose besteht, worüber dann die Wetterjacke, der Anorak getragen wird.

Im letzten Jahrzehnt ist als Kopfbedeckung für Männer aller Altersklassen die Kappe mit Schirm hinzugekommen. Eine breite Vitrine zeigt die freiwillig aufgesetzten Narrenkappen in großer Varietät. Die wechselnde Mode prägt sich aus in Änderungen der Hemd- und Mützenaufdrucke und Hosenschnitte. Die Kleidungsfabrikanten sind bestrebt, ihrem Schriftzug oder Wappen zu einer alle Moden überdauernden Präsenz zu verhelfen.

Die Fotoserie von Frank Höhler im Durchgang zwischen den beiden Ausstellungsteilen zeigt weniger Trachten als Uniformen, Kluft und Kostümierung. Ein Distinktionsbedürfnis, das angesichts der universalen Denim-Beinkleider und der Erhebung beschrifteter Unterhemden zu Oberbekleidung erwachen muß, führt zur fantastischen Vermummung: Jugendliche, die nach den Helden der Rechnerspiele und Bildgeschichten einen sehr komplizierten Kinderfasching feiern, Freizeit-Indianer, Karnevalisten, Pfadfinder, Jäger, reisende Zimmerer und korporierte Studenten in ihren Farben, die das zeitlose Bedürfnis aufzeigen, den eigenen Körper mit einer verbindlichen Fassung gegen die Umwelt abzugrenzen.

Im anderen Bereich werden die längst von der Bekleidungsindustrie übernommenen Rebellen-Uniformen ausgestellt. Mit dem Volkscharakter ist es da nicht weit her. Am Anfang stehen oft umtriebige Designer, die einige Merkmale aufschnappen und zu einem bereitwillig übernommenen Stil verdichten. Punk kam nicht von der Straße, sondern aus den Londoner Mode-Boutiquen und Art Schools. Das Volk war meist so brav gekleidet wie die Beatles 1962. Erst Manager und Stylisten formten das rebellische Air um den permanenten Aufbruch der Jugend, der immer über den ungerichteten Krawall die einen in die Saturiertheit führt, die anderen der Verkommenheit überliefert.

In Vitrinen figurieren Gruftis, Rapper, Heavy-Metal-Fans und die Devotionalien der brachialen Beatkapelle Rammstein. Deren Mitglieder haben eine Vorgeschichte als proletige Ostberliner Sauf-Punkband Feeling B, die mit dem Hit „Mix mir einen Drink, der mich woandershin bringt ...“ exakt die Feierabend- und Wochenendbeschäftigung der Lehrlinge und Jungarbeiter des realsozialistischen Manchesterkapitalismus ausdrückten: Gemischt wurden die Spirituosen während des Konzerts, sofern es zu einem solchen überhaupt noch kommen konnte, gleich im Mund des Bandleaders. Das ist Habitus ohne Brauchtum.

Auch der smarte Geschäftsmann in Nadelstreifen mit Seidenkrawatte ist Teil der Retrospektive, die verdeutlicht, daß die entgrenzte Welt nach Trachten nicht länger trachtet und keine Bräuche mehr braucht. Wenn die Monade geplatzt ist, haben wir überall den gleichen Mus.

Die Ausstellung „Sächsische Volkstrachten, Hiphop und Nadelstreifen“ ist bis zum 4. November im Museum für Sächsische Volkskunst in Dresden, Jägerhof, Köpckestraße 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 51 / 49 14 20 00

Zur Ausstellung ist ein Begleitheft erschienen.

www.skd.museum/de

Foto: Plakat zur Ausstellung „Sächsische Volkstrachten“: Die gegenwärtige Schau im Museum für Sächsische Volkskunst ist ein Essay über Trachten, Moden und Kostüme. 1896 wurde in Dresden das Große Sächsische Trachtenfest gefeiert. Initiator war der Gründer des Volkskunstmuseums, Oskar Seyffert. Die Fundgruben für seine Sammlertätigkeit erstreckten sich neben der Lausitz auf das Vogtland und das Altenburger Land. Der Dresdner Festumzug war ein gewaltiger Erfolg. Aber authentisch war diese bunte Vielfalt schon damals nicht mehr. Der Alltag hatte sich durch die Industrialisierung so gewandelt, daß die alten Orientierungen durch Kleidung und Bräuche überflüssig wurden. Aus Pietät bewahrte man die Erinnerungsstücke der Großeltern. Allenfalls in der Lausitz prägte die wendische Tracht noch den Alltag. Der Rest war ein fröhliches Kostümfest.

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