© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Goethes Knolle
Traditionsreiches Gemüse: Der Weimarer Zwiebelmarkt hat sich nach der Wende zum größten Volksfest Thüringens entwickelt
Paul Leonhard

Eine Siebenhäutige, die zu Tränen rührt, ist die Königin eines Volksfestes, das jedes Jahr immer am zweiten Oktoberwochenende Hunderttausende Neugierige nach Weimar lockt. Mehr als 350.000 waren es im vergangenen Jahr. Drei Tage steht hier die Zwiebel im Mittelpunkt.

Zweifarbige Zwiebelrispen, zumeist sind goldgelbe oder weiße mit rotblauen Zwiebeln verflochten und mit Trockenblumen garniert, schmücken die Altstadt. An mehreren hundert Ständen bieten Händler Zwiebeln und andere Gemüsesorten sowie handgefertigte Waren an. Und über allem liegt der süßlich-herbe Duft frischen Zwiebelkuchens.

Spätestens seit der deutschen Einheit wird der Weimarer Zwiebelmarkt kräftig vermarktet. Er gilt heute als Thüringens größtes Volksfest, und das dreitägige Programm ist randvoll mit Volksmusik, Country, Blues und Rock. Liedermacher treten auf und Showorchester. Es gibt Ritterspiele, Puppentheater, Seiltanzdarbietungen und Schauhandwerk. Eingebunden ist der Weimarer Stadtlauf.

Aber das alles ist nichts ohne die alte Kulturpflanze Zwiebel, die einst mit den römischen Legionären über die Alpen nach Deutschland kam. Seitdem ist sie in der Küche unverzichtbar. Ihre heilende Wirkung ist bekannt, auch ihr hoher Gehalt an Kalium, Magnesium und Vitamin C. Zwiebeln sollen den Appetit anregen, den Blutdruck senken, desinfizierend in Magen und Darm wirken.

Auch der in Weimar lebende Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe wußte um die gesundheitsfördernde Wirkung der Zwiebel. „Daß die vegetabilischen Späße ihre gute Wirkung getan haben, freut uns recht sehr. Versäumen Sie nur nicht, jährlich dergleichen bei uns von dem famosen Markte abzuholen“, rührte er gegenüber Caroline Sartorius die Werbetrommel. Und er hatte seine Freude am bunten Marktreiben. Nicht nur, daß er sein Haus am Frauenplan außen mit Zwiebelzöpfen schmückte, er beauftragte auch die Nachbarskinder, ihm die schönsten und längsten Zwiebelrispen zu bringen.

„Wir beluden uns damit und schleppten sie zu Goethe, der uns nun befahl, sie an einer Schnur über seinem Schreibtisch zu befestigen“, schreibt Ida Freiligrath in ihren Erinnerungen. Wie es damals zuging, beschreibt der Komponist Karl Friedrich Zelter 1827: „Heute ist hier das große Weimarische Landesvolksfest, der Zwiebelmarkt, der stets auf einen Sonntag fallen muß. Alle Bewohner, deren Fenster nach diesem Markt hinausgehen, geben nachmittags einen splendiden Kaffee, alle Fenster sind offen und mit Damen besetzt, die dem Menschengewühle zuschauen.“

Zu diesem Zeitpunkt war der Weimarer Zwiebelmarkt schon weit über die Grenzen des kleinen Landes bekannt. Als ältester schriftlicher Nachweis eines „Viehe- und Zippelmarckts“ gilt ein Schreiben von 1653 der Stadtrates von Weimar an Herzog Wilhelm III. Daraus geht hervor, daß die Bauern aus dem Umland den immerhin schon 5.000 Einwohnern der Stadt aus Zwiebeln und Stroh geflochtene Rispen als Wintervorrat verkauften. Auch Knoblauch, Sellerie, Porree, Blumenkohl, Meerrettich, Majoran und Beifuß wurden angeboten.

Dabei ist es bis heute geblieben. Aus ganz Mitteldeutschland kommen die Menschen, um sich an den Zwiebelzöpfen zu erfreuen und zumindest einen mit nach Hause zu nehmen. Wie es sich für einen richtigen Markttag gehört, beginnt dieser früh am Morgen. Zwar wird der traditionelle Zwiebelkuchen bereits am Freitag, Punkt zwölf Uhr, angeschnitten, die eigentliche Eröffnung findet aber am Sonnabend statt: Punkt sechs Uhr auf dem Marktplatz durch den Oberbürgermeister, die Zwiebelmarktkönigin, den Zwiebelmönch Theo und diverse Zwiebelbauern aus dem Kyffhäuser-Städtchen Heldrungen. Denn die meisten angebotenen Zwiebeln werden von diesen angebaut.

Der Weimarer Zwiebelmarkt öffnet vom 12. bis zum 14. Oktober seine Pforten. www.weimar.de

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