© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Schnodderiger Charme
Henning Hoffgaard

Ein Sozialdemokrat, der vor „Kulturrelativismus“ warnt? Einer, der den schleichenden Austausch der Bevölkerung anspricht? Einer, der von Einwanderern verlangt, die deutschen Normen zu akzeptieren? Kein Traum, nur Heinz Buschkowsky. Der Neuköllner Bezirksbürgermeister hat in den vergangenen Tagen für sein Buch „Neukölln ist überall“ heftige Kritik einstecken müssen. „Rechtspopulismus“ und „Rassismus“ soll er angeblich geschürt haben. Davon ist bei seiner Buchvorstellung in der vergangenen Woche allerdings nichts zu spüren.

Das Publikum ist bunt gemischt: alle Altersklassen aus fast allen Gesellschaftsschichten. 800 sind in die Berliner Urania gekommen. Sie erleben einen Buschkowsky, der alles hat, was man an Thilo Sarrazin vermißt. Eloquent, auf schnodderige Weise charmant und immer zu einem Scherz aufgelegt. Wenig Zahlen und Statistiken, dafür um so mehr aus dem Alltag eines Bürgermeisters, der um seinen Job nicht zu beneiden ist. 75 Prozent der Kinder in Neukölln leben in Hartz-IV-Haushalten. Im deutschen Durchschnitt sind es sieben bis neun Prozent. Viele verlassen die Schule ohne Abschluß. Der Einwandereranteil liegt in den nördlichen Stadtteilen bei mehr als 80 Prozent. In vielen Klassen gibt es schon keine deutschen Schüler mehr. Doch Buschkowsky denkt gar nicht daran, sich einen „Strick zu nehmen“.

 „Wem das Leben hier zu liberal und zu gottlos ist, dem sei viel Erfolg bei der Suche nach einem Ort gewünscht, der ihm genehm ist“, sagt er unter donnerndem Applaus. Buschkowsky legt den Finger tief in die Wunde: Werteverfall („Die deutschen Normen sind für die Zuwanderer nur so lange interessant, wie sie ihnen nutzen“), steigende Kriminalität („Dieses auf den Kopf treten, immer und immer wieder, gab es früher nicht“) und Islamisierung („Es kann nicht sein, daß wir bei den Frauenrechten wieder zurückfallen“). Wenn schon das Beschreiben dieser Probleme rassistisch ist, sei man in Deutschland im freien Denken nicht weit gekommen, meint der SPD-Politiker. „Politische Korrektheit hat mich noch nie interessiert!“ Und weil das so ist, haben sich vor der Tür etwa 20 linke Gegendemonstranten eingefunden. Umgeben von genauso vielen Polizisten, kämpfen sie vergeblich darum, sich gegen den Lärm der Straße zu behaupten. Von den Besuchern werden sie im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehengelassen. Drinnen stellt Buschkowsky derweil seine Lösungen vor. Kita-Pflicht, mehr Ganztagsschulen und junge Lehrer. Während die Bundesregierung immer neue Demographie-Gipfel abhält, legt er die Karten offen auf den Tisch. „Manche Parallelgesellschaften sind wohl irreversibel.“ Wer einen Blick auf die Geburtenrate werfe, stelle schnell fest: „Neukölln ist die Zukunft.“ Jetzt gelte es, diese zu gestalten. „Eine Gesellschaft, die keine Integration verlangt, darf sich nicht wundern, wenn sie keine bekommt.“ Die Zuhörer feiern ihren Buschkowsky und applaudieren im Stehen. In der Lobby bringt ein Gast die Stimmung auf den Punkt: „Das ist aber gar nicht der Kurs der SPD.“

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